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"Afghanistan ist eine politische Mission"

Dennis Stute18. April 2013

Bis zu 800 Bundeswehrsoldaten sollen nach 2014 in Afghanistan bleiben. Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig glaubt jedoch, dass ganz andere Faktoren als militärische über die künftige Stabilität des Landes entscheiden.

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Soldaten der Afghanischen Nationalarmee (ANA) werden am Samstag im Camp Pamir nahe Kundus von Bundeswehrsoldaten an Waffen ausgebildet (Archivfoto von 2011: dpa)
Soldaten der Afghanischen Nationalarmee (ANA) werden am Samstag im Camp Pamir nahe Kundus von Bundeswehrsoldaten an Waffen ausgebildet (Archivfoto von 2011)Bild: picture-alliance/dpa

DW: Nach dem Ende der ISAF-Mission 2014 sollen noch 600 bis 800 Bundeswehrsoldaten zur Ausbildung, Beratung und Unterstützung der afghanischen Armee im Norden des Landes und in der Hauptstadt Kabul bleiben. Nach zwei Jahren sollen dann nur noch 200 bis 300 Soldaten in Kabul stationiert sein. Wie bewerten Sie die Pläne?

Thomas Ruttig: Dass Deutschland weiterhin die Führungsmacht im Norden bleibt, soll Kontinuität vermitteln und das ist auch erst einmal richtig. Die Beschränkung auf zwei Jahre bedeutet, dass man damit rechnet, sich bis dahin aus den Provinzen zurückziehen zu können - dass also die afghanischen Streitkräfte in der Lage sein werden, alleine zu handeln. Doch da gibt es große Zweifel. Selbst der afghanische Innenminister hat neulich auf große Defizite hingewiesen.

Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network (Foto: AAN)
Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts NetworkBild: picture-alliance/dpa

Wie schätzen Sie die Einsatzfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte denn ein?

Laut ISAF-Statistiken hat sie sich verbessert. Aber ob das die reale Lage widerspiegelt, muss man doch bezweifeln. Momentan können die Soldaten in manchen Gebieten die Sicherheit gewährleisten, in anderen dagegen nicht. Wir haben immer wieder Vorfälle in Provinzen, in denen die Verantwortung schon an die afghanischen Sicherheitskräfte übertragen worden ist. Dort fahren die Taliban Angriffe und werden dann vor allem wegen der Luftunterstützung durch westliche Truppen wieder zurückgeschlagen. Luftunterstützung wird es nach 2014 nicht mehr geben.

Wo liegen die Probleme bei Armee und Polizei?

Die sind nicht so sehr eine Frage der Fähigkeiten, sondern der Motivation und der Loyalität. Das hängt mit den großen Unsicherheiten darüber zusammen, was nach 2014 tatsächlich passieren wird. Es gibt große Zweifel, ob die Regierung und die Institutionen stabil genug sein werden; auch deshalb gibt es Absetzbewegungen, selbst in den Sicherheitsorganen, oder lokale Deals mit Aufständischen. Wichtig ist auch, wie die Streitkräfte in der Bevölkerung wahrgenommen werden. Wir haben gerade im Offizierskorps der Armee und auch der Polizei noch immer eine ethnische Schieflage: Die meisten stammen aus dem Norden, die härtesten Kampfgebiete sind aber im Süden. Dort werden die Soldaten oft als Auswärtige angesehen und sie benehmen sich der Bevölkerung gegenüber häufig auch so. Zudem gibt es große Probleme mit der Loyalität gegenüber der Zentralregierung. Weil noch alte Strukturen aus dem Widerstandskampf gegen die Taliban existieren, sind viele Kämpfer ihren Kommandeuren gegenüber loyal - und nicht der Regierung in Kabul.

Werden die Sicherheitskräfte nach dem ISAF-Abzug für Stabilität sorgen können?

Das wird stark von der politischen Situation abhängen und davon, ob die Regierung, die Präsident Hamid Karsai nachfolgt, von den Sicherheitskräften als stabil angesehen wird. Außerdem stellt sich die Frage, ob die Taliban es schaffen, eine Offensive vom Zaun zu brechen und ob die Sicherheitskräfte dann standhalten. Wir haben in den vergangenen Runden der afghanischen Bürgerkriege gesehen, dass eine Partei oft nicht deswegen siegreich war, weil sie tatsächlich militärisch stärker war, sondern weil sich die Gegenseite lieber auf die Seite der erwarteten Sieger geschlagen hat.

Welche Rolle werden die Wahlen im April 2014 spielen?

Es kann sein, dass die Wahlen zu einer Polarisierung führen, falls, wie 2009, für die Verlierer nicht klar ist, dass der Gewinner wirklich mit fairen Mitteln gewonnen hat. Das kann auch erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheitslage haben. Im Moment haben wir eine starke Polarisierung zwischen dem Lager von Karsai und der zivilen Opposition, deren Mitglieder überwiegend aus dem Norden kommen und ethnischen Minderheiten angehören. Diese ethnische Polarisierung wird von beiden Seiten gefördert und ist sehr gefährlich.

Müssen die Taliban in eine politische Lösung einbezogen werden?

Das halte ich für unerlässlich. Gleichzeitig sollte man nicht optimistisch sein, dass das schnell geht. Die Gespräche mit den Taliban liegen weiter auf Eis, das vergangene Jahr war verschenkt. US-Präsident Barack Obama konnte sich im Wahlkampf nicht durchringen, auf eine Verständigung zu setzen und auch Karsai hat nicht gerade geholfen. Die Taliban haben erklärt, dass die im April 2012 abgebrochenen Gespräche mit den USA nicht so bald wieder aufgenommen würden; mit Karsai reden sie sowieso nicht.

Was sollte die Bundesregierung tun?

Die Bundesregierung hat bei der Bekanntgabe der Pläne für die Zeit nach 2014 wieder die militärische Komponente in den Vordergrund gestellt. Dabei ist Afghanistan eine politische Mission. Es geht nicht vorrangig darum, wie viele Soldaten dort sind, sondern darum, eine nachhaltige Stabilisierung zu erreichen. Wichtig ist deshalb auch, dass die Entwicklungszusammenarbeit auf dem derzeitigen Level bleibt, wie die Bundesregierung es versprochen hat. Man muss dabei aber stärker auf die Qualität achten. In den USA wird gerade ein Fall nach dem anderen aufgedeckt, dass Projekte, die über das Militär liefen, halbfertig liegen bleiben. Wichtig ist auch, eine Atmosphäre zu schaffen, in der tatsächlich eine politische Lösung erreicht werden kann.

Thomas Ruttig ist Ko-Direktor der unabhängigen Recherche-Organisation Afghanistan Analysts Network in Kabul.