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PolitikBelarus

Todesurteil gegen Deutschen in Belarus: Was dazu bekannt ist

Marta Sakavik | Elena Doronina
23. Juli 2024

In Minsk wurde der deutsche Staatsbürger Rico K. zum Tode verurteilt. Wer ist er und was wird ihm vorgeworfen? Welche Ziele könnte das Regime von Alexander Lukaschenko damit verfolgen?

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Fünf Angehörige von Sicherheitskräften des Regimes in Belarus hinter Stacheldraht
Sicherheitskräfte des Regimes in BelarusBild: Evgeniy Maloletka/AP Photo/picture alliance

Mit vier Wochen Verzögerung wurde bekannt, dass gegen den deutschen Staatsbürger Rico K. bereits am 24. Juni in Belarus die Todesstrafe verhängt wurde. Auf Anfrage der Deutschen Welle teilt das Auswärtige Amt in Berlin mit, der Betroffene werde über die Botschaft in Minsk konsularisch betreut und man setze sich bei den belarussischen Behörden intensiv für ihn ein. "Die Todesstrafe ist eine grausame und unmenschliche Form der Bestrafung, die Deutschland unter allen Umständen ablehnt. Wir setzen uns weltweit für ihre Abschaffung und bei allen Betroffenen intensiv gegen ihre Vollstreckung ein", erklärt das deutsche Außenministerium.

Alexander Lukaschenko an einem Rednerpult mit einer Staatsflagge im Hintergrund
Machthaber Alexander Lukaschenko hält in Belarus als einzigem Land in Europa die Todesstrafe aufrechtBild: Belarusian Presidential Press Office/AP/dpa/picture alliance

K. wurde in insgesamt sechs Anklagepunkten gemäß des belarussischen Strafgesetzbuches schuldig gesprochen - wegen Söldnertums, Spionage, Beteiligung an einer extremistischen Vereinigung, Zerstörung eines Verkehrsobjekts und illegalen Umgangs mit Waffen, Sprengstoff und Munition sowie Terrorismus.

Wer ist der Verurteilte?

Über Rico K. ist wenig bekannt. So gibt es im LinkedIn-Netzwerk zwei Profile mit identischen Daten und Fotos. Beide Profile wurden im August 2023 eingerichtet. Jüngst tauchte in einem propagandistischen Telegram-Kanal ein Foto aus einem belarussischen Gericht auf, wo der Angeklagte mit der Person übereinstimmt, die auf den Fotos jener LinkedIn-Profile zu sehen ist.

In einer Bewerbung auf eine offene Stelle schrieb der Profilinhaber, er sei 29 Jahre alt (jetzt wahrscheinlich 30), in Berlin geboren und in Deutschland wohnhaft, wolle aber innerhalb des nächsten Jahres in die USA ziehen. Er hinterließ eine amerikanische Telefonnummer zur Kontaktaufnahme. Ferner gibt es einen Telegram-Account, wo dasselbe Foto wie bei den LinkedIn-Profilen verwendet wird.

Auf LinkedIn bezeichnet sich K. als Mechaniker, Wachmann, Sozialarbeiter und Rettungssanitäter. Als solcher begann er im Juni 2021 eine Tätigkeit beim Deutschen Roten Kreuz in Niedersachsen. Das DRK bestätigte, dass Rico K. für die Organisation gearbeitet hat. Dies habe aber nichts mit seinem Aufenthalt im Ausland zu tun.

Was ist über den Fall bekannt?

Nach Angaben des Anwalts des belarussischen Menschenrechtszentrums "Wjasna" (Frühling), Pawel Sapelko, geriet K. am 6. Oktober 2023 in belarussische Untersuchungshaft. Unbekannt ist, wo er vom Regime des Machthabers Alexander Lukaschenko festgenommen wurde. Propagandamedien in Belarus berichteten, Rico K. habe im Herbst 2022 angeblich Kontakt zum ukrainischen Geheimdienst aufgenommen und sich dem Kastus-Kalinouski-Regiment anschließen wollen. Das ist ein Verband aus belarussischen Freiwilligen, die an der Seite der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg kämpfen. Das Regiment hatte nach eigenen Angaben nie etwas mit K. zu tun. 

"Es ist unklar, warum er angeblich zum Kastus-Kalinouski-Regiment wollte und nicht zur Internationalen Legion der Ukrainischen Armee, die für Ausländer eingerichtet wurde. Und warum sollte er ausgerechnet nach Belarus wollen?", fragt sich der belarussisch-deutsche Historiker Alexander Friedman.

Dem belarussischen Gericht zufolge war K. am 2. Oktober "mit Telefonen und einer Drohne" als Tourist nach Belarus eingereist - aus welchem ​​Land und mit welchem ​​Visum ist unbekannt. Privatpersonen dürfen seit September 2023 keine Drohnen nach Belarus einführen und die Kontrollen an der Grenze zur Europäischen Union sind sehr gründlich.

Angebliche Explosion

K. wird Terrorismus vorgeworfen, weil er an einer Explosion beteiligt gewesen sein soll, berichtet Pawel Sapelko der DW. Um was für eine Explosion es sich handelte und wo genau sie sich ereignete, ist unbekannt. Beim Prozess hieß es unter anderem, K. habe vom Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) den Auftrag erhalten, in Ossipowitschi rund 100 Kilometer südöstlich von der belarussischen Hauptstadt Minsk zu spionieren und Objekte zu fotografieren.

So soll K. laut Gericht am 4. Oktober die dortige Militärkaserne und Ausrüstung sowie am nächsten Tag das Gelände des Bahnhofs Oserischtsche am Rande von Minsk fotografiert haben. Angeblich habe K. das gesamte Material an den ukrainischen SBU geschickt und daraufhin die Koordinaten eines Verstecks mit einem Sprengsatz erhalten, den er dann an den Gleisen jenes Bahnhofs angebracht haben soll.

Wenn man dies mit dem Datum von K. angeblicher Einreise nach Belarus vergleicht, dann deckt sich das mit der Nachricht über eine Explosion am 5. Oktober 2023 in Oserischtsche. Der unabhängige "Verband der belarussischen Eisenbahner" berichtete, die Sprengkraft sei recht stark gewesen, doch es habe keine ernsten Schäden oder Verluste gegeben.

Gefängnis in der belarussischen Hauptstadt Minsk, in dem zum Tode verurteilte Straftäter einsitzen
In diesem Gefängnis in der belarussischen Hauptstadt Minsk sitzen zum Tode verurteilte Straftäter einBild: Christian Thiele/dpa/picture alliance

Der Pressesprecher des belarussischen Außenministeriums, Anatoli Glas, berichtet von Gesprächen mit deutschen Diplomaten über den Fall K.  Auf Wunsch des deutschen Außenministeriums habe die belarussische Seite mögliche Optionen vorgeschlagen, erklärte Glas. Das Auswärtige Amt äußerte sich bisher nicht zu diesen Vorschlägen.

"Sie haben diesen ganzen Prozess nicht geführt, um K. hinzurichten, sondern um ihn auszutauschen und etwas dafür zu bekommen", meint Alexander Friedman. Und der aus Russland geflohene Anwalt Wadim Prochorow sagt der DW, das Regime von Wladimir Putin habe einen deutschen Staatsbürger gebraucht, um mit Hilfe seines Vasallen Alexander Lukaschenko jetzt schachern zu können.

Urteil ist in Kraft getreten

Die belarussischen Staatsmedien berichten, K. habe gegen das Urteil nicht protestiert, es sei in Kraft getreten und könne jederzeit vollstreckt werden. Seit 1991 wurden in Belarus mehr als 300 Todesurteile vollstreckt.

Menschenrechtsorganisationen haben Belarus aufgerufen, die Hinrichtung zu stoppen. Das Todesurteil sei besonders alarmierend, weil es vor belarussischen Gerichten zahlreiche und systematische Verstöße gegen das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren und einen fairen Prozess gebe, teilte die NGO Libereco in Berlin mit. Zu den Unterzeichnern des Appells gehören auch belarussische Organisationen im Exil.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

In einer früheren Version hatten wir den vollen Namen von Rico K. genannt, dies aber auf Wunsch des Vaters nachträglich geändert.