Tony Blair muss hoffen
27. September 2004Dummerweise lässt sich das Thema Irak-Krieg und seine Folgen nicht einfach aus den Schlagzeilen verdrängen - sehr zum Verdruss Tony Blairs. Und so hat der britische Premier denn auch die Labour-Partei und die Bevölkerung aufgerufen, angesichts von "Chaos und Terror" im Irak hinter ihm zu stehen. Blair verglich in einem Zeitungsinterview die Lage im Irak mit der Situation im Zweiten Weltkrieg. "Es gab 1941 auch mehr Blutvergießen als 1938, aber das bedeutete ja nicht, dass sich die Situation nicht ändern würde", sagte er. Ausgerechnet zum Labour-Parteitag in Brighton bewegt das ganze Land das Schicksal einer britischen Geisel im Irak, was den Druck auf den Premierminister zusätzlich erhöht. Nun musste Blair noch vor dem offiziellen Beginn des Parteitages eine erste Niederlage hinnehmen. Eine ausreichende Zahl von Delegierten sprach sich am Sonntagabend (26.9.) dafür aus, über Forderungen nach einem Rückzugsdatum für die Briten im Irak abzustimmen. Blair hatte immer gesagt, man könne kein Rückzugsdatum festlegen, weil niemand wisse, wie sich die Dinge im Irak weiter entwickelten.
Truppenabzug oder Verstärkung?
Nach Meinungsumfragen ist die Stimmung im Land ganz klar: Nach wie vor betrachtet eine Mehrheit den Irak-Krieg als Fehler, den Blair auf keinen Fall eingestehen will. Hinzu kommen neue Anschuldigungen: So soll Blair bereits Monate vor dem Krieg Warnungen über ein mögliches Chaos und einen Bürgerkrieg im Nachkriegs-Irak in den Wind geschlagen haben. Und auch er selbst hat eingeräumt, dass die ihm zugänglichen Informationen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein "falsch" waren.
Mittlerweile erwarten 71 Prozent der Briten von Blair einen baldigen Abzug der Truppen aus dem Irak. Gleichzeitig aber fordert das Militär Verstärkung für die Einheiten, die im Süden Iraks versuchen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist schwer vorstellbar. Am letzten Tag der Beratungen in Brighton wird es möglicherweise deswegen sehr eng: Das unvermeidbare Thema Irak steht auf der Tagesordnung. Blairs innerparteiliche Gegner bereiten einen Antrag vor, der den Abzug britischer Truppen fest schreibt. Die entscheidende Frage lautet: Wird diese Debatte mit einer peinlichen, aber folgenlosen Abstimmungsniederlage oder einer Demontage Blairs als Partei- und Regierungschef enden?
Mit Themen taktieren
Ausschlaggebend wird sein, wie die Rede Blairs am Dienstag (28.9.) bei den Delegierten ankommt. Im Vorfeld hat er bereits geschickt Themen aufgegriffen, die bei denjenigen beliebt sind, die seine Irak-Politik verurteilen. So hat er das Thema Umweltschutz und erneuerbare Energien entdeckt, die Fuchsjagd verboten und eine Initiative für die Entwicklung Afrikas gestartet. Mit anderen Themen, wie die Kriminalitätsbekämpfung und Verbesserungen des Schulsystems und des Gesundheitswesens, spricht er die politische Mitte gezielt an.
Und das zeigt Wirkung: Schon prognostizieren Meinungsumfragen Blair eine Mehrheit von über 100 Sitzen bei den nächsten Unterhauswahlen. Das sind zwar ein Drittel weniger Mandate als jetzt, aber immer noch eine satte Mehrheit zum Regieren. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Parteitagsregie Blair am Donnerstag (30.9.) aus der Schusslinie der Linken heraushalten können.
Rivalen raus
Blairs Rivalen, wie etwa Schatzkanzler Gordon Brown, werden voraussichtlich weiterhin warten müssen. Denn zwei Wochen vor dem Parteitag ernannte Blair seinen Intimus Alan Milburn zum Minister ohne Geschäftsbereich im Rang eines Kabinettsmitglieds. Der ehemalige Gesundheitsminister soll sich um den Wahlkampf kümmern, eine Aufgabe, die früher Brown zufiel. Damit, so wird spekuliert, habe Blair seinem Dauerrivalen seine Grenzen aufgezeigt und einen loyalen Gefolgsmann zum Kronprinzen gemacht. Gleichzeitig habe Blair nun den Rücken frei für eine dritte Amtszeit an der Spitze der Regierung - ein Rekord für Labour. "Wir werden immer weitermachen", erklärte Ehefrau Cherie Blair vor wenigen Tagen selbstbewusst. Ob es so kommt, entscheidet der Wähler, voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2005.