"Der Konkurs ist nicht aufzuhalten"
22. Juni 2015Deutsche Welle: Herr Sinn, Sie als konservativer Ökonom wollen einen Schuldenerlass. Der linksgerichtete griechische Ministerpräsident Tsipras auch. Eigentlich liegen Sie beide bei der Lösung der Krise gar nicht so weit auseinander, oder?
Hans-Werner Sinn: Das ist richtig. Die Frage ist nur, ob ein Schuldenschnitt alleine reicht. Meiner Meinung nach muss Griechenland zunächst einmal wettbewerbsfähig gemacht werden. Und wettbewerbsfähig macht man Griechenland nur durch eine Abwertung der Währung. Das Land ist durch die inflationäre Kreditblase, die der Euro seinerzeit ausgelöst hat, schlicht zu teuer geworden. Jetzt müssen die Preise wieder runter auf ein erträgliches Niveau. Das geht im Euro kaum, denn die Leute haben sich verschuldet und müssen ihren Schuldendienst leisten. Wenn man jetzt die Preise und die Löhne halbiert, dann können sie das nicht mehr. Also ist eine sozialverträgliche Lösung die Abwertung. Dann werden alle Kreditkontrakte auf die neue Währung umgestellt.
Letzten Endes bedeutet das also: Grexit ?
In letzter Konsequenz ja. Denn der Konkurs lässt sich ja kaum noch vermeiden. Das ist nicht schön, da dadurch einiges in der griechischen Bankenwelt durcheinander kommen wird. Aber wir können ja nicht ernsthaft immer wieder neues Geld nach Griechenland schütten und so deren Lebensstandard finanzieren. Sobald die Staatengemeinschaft die Nase voll hat, ist ein Konkurs zwangsläufig. Wenn dieser dann stattgefunden hat, lässt sich auch ein Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands nicht vermeiden. Das Wesen des Konkurses ist nun mal der, dass der Schuldner, in diesem Fall Griechenland, sich von den Schulden befreit. Und in einem nächsten Schritt muss die Abwertung her. Nur so kann ein Neustart gewährleistet werden.
Für Ministerpräsident Tsipras ist der Grexit "der Anfang vom Ende des Euro". Wie begegnen Sie Befürchtungen, dass Währungsspekulanten nur darauf warten, dass das erste Land aus dem Euro ausscheidet?
Diese Risiken gibt es, das will ich gar nicht abstreiten. Aber die Risiken sind noch viel höher, wenn das Land in der Eurozone bleibt. Stellen Sie sich die Ansteckungseffekte vor, wenn wir die Griechen dauerhaft durchfinanzieren. Dann können wir das mit den anderen gefährdeten Ländern auch noch machen. Das ist ein Fass ohne Boden. Ich halte die Destabilisierung des gesamten Staatswesens in Europa für viel gefährlicher bei der Fortführung der jetzigen Politik. Dagegen ist eine Finanzkrise wirklich ein Klacks.
Sie halten eine Finanzkrise für einen "Klacks"?
Ich will nicht sagen, dass die Finanzkrise kein Problem sein könnte. Momentan sind die Kapitalmärkte unglaublich ruhig. Die Investoren haben zwar fürchterlich Angst, dass Griechenland Pleite geht, aber erwarten das nicht von den anderen Ländern. Das liegt daran, dass sich die Investoren schon aus Griechenland zurückgezogen haben. Sie wären ja gar nicht mehr betroffen. Wir haben die letzten fünf Jahre darauf verwendet, die privaten Forderungen gegenüber Griechenland durch öffentliche zu ersetzen. Das hat es den Banken und den Versicherungsgesellschaften ermöglicht, sich aus dem Staub zu machen. Das ist ja immer das, was Varoufakis betont. Nur ist der Effekt nicht so groß, wie er meint. Ein Drittel der Gelder, die verwendet wurden, diente dazu, den griechischen Lebensstandard zu finanzieren und ein Drittel diente dazu, den Griechen die Kapitalflucht ins Ausland zu ermöglichen.
Da schwingt ja ganz schön viel Misstrauen gegenüber den Griechen mit. Meinen Sie nicht, dass Europa Griechenland mit einer solchen Rhetorik von sich wegtreibt - und geradewegs in die Arme Russlands?
Ich sehe nicht, warum die Griechen das machen sollten. Immerhin ist das Land noch Mitglied der Europäischen Union und der NATO. Im Übrigen sollte man ihnen die Rückkehroption in die Eurozone anbieten. Das ist ein viel stärkerer Anreiz, Reformen anzupacken und sich anzupassen an das Notwendige, als wenn man ihnen Ewigkeitsgarantien im Euro gibt.
Für Ex-EZB Präsident Trichet wäre der Grexit "der Beweis, dass Europa es nicht geschafft hat, in der Region für Stabilität zu sorgen." Halten sie es nicht allein aus politischen Gesichtspunkten für besser, Griechenland in der Eurozone zu halten?
Herr Trichet hat ja Recht, aber an dem Dilemma hat er selbst ja Schuld. Die ganze Misere liegt ja auch an dem EZB-System, welches diese Garantien ausspricht. Erst auf Basis dieser Verfügbarkeiten der Garantien haben sich die Investoren nach Griechenland gewagt und es kam zu dieser übermäßigen Kreditblase. Dazu kommt noch die Regulierung der EU, die die Banken ja geradezu ermuntert hat, sich ihre Bilanzen mit griechischen Staatspapieren vollzuladen, ohne dass da Eigenkapital vorgehalten werden musste. Das alles hat die Blase hervorgerufen. Hätten die Griechen den Kredit nicht bekommen, hätten sie auch ihre Löhne nicht schneller als die Produktivität erhöhen können. Das war ja alles kreditfinanziert. Und dann wäre heute die Misere nicht da.
Müssen sich die europäischen Regierungen nicht auch selbst eine Mitschuld an der Misere geben, anstatt immer alles auf Athen zu schieben?
Die Einschätzung, dass man auch seitens der EU Fehler gemacht hat, ist sicherlich richtig. Allerdings sollte man jetzt die Fehler nicht noch weiter vergrößern, indem man den Investoren immer mehr öffentliche Garantien und immer mehr Sicherheit gibt. Die Stabilität der Eurozone kann ja nur kommen, wenn die Investoren selber die Konsequenzen spüren. Das heißt, wenn sie Staaten finanziert haben, die nicht zurückzahlen können, dann müssen sie selber die Konsequenzen zu tragen haben und nicht einfach auf die Steuerzahler abwälzen. Nur dann sind sie vorsichtig. Nur dann kommt es nicht zur Überschuldung.
Momentan jagt ein Gipfel zu Griechenland den nächsten. Was erwarten Sie vom Sondergipfel?
Ich befürchte, dass man Frau Merkel bedrängen wird, dass jetzt, da der IWF die Reißleine zieht und sagt, dass er das nicht mehr mitmacht, dass dann das Verlangen da sein wird, Griechenland ohne den IWF weiter zu finanzieren und auch die Schulden des IWF zu übernehmen. Das würde bedeuten, Griechenland Geld geben zu müssen, welches dieses dann wiederum an den IWF zurückzahlen kann. Diese Entwicklung halte ich für extrem gefährlich. Der ganze Druck der Griechen und anderer Länder, die da noch kommen mögen, wird sich auf Deutschland entladen. Es gibt starke Kräfte in der EU, die eine Lösung der Schuldenkrise darin sehen, dass die noch funktionsfähigen Länder die Schulden der anderen mitübernehmen. Gegen diesen Druck konnte man sich bislang nur deswegen wehren, da der IWF mit im Boot war und feste Regeln aufgestellt hat. Wenn diese wegfallen, dann gnade uns Gott.
Hans-Werner Sinn (67) ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Chef des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung.
Das Gespräch führte Daniel Heinrich.