Tunesien: Harter Kurs gegen Oppositionelle und Kritiker
30. März 2024Wann genau werden sie stattfinden, welche Kandidaten werden teilnehmen? Noch sind mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Tunesien mehrere Fragen offen. Festgelegt sind diese auf den Zeitraum zwischen September und Dezember dieses Jahres, doch ein konkretes Datum ist noch nicht bekannt. Ebenso ist noch nicht ganz klar, ob der amtierende Staatspräsident, Kais Saied, sich noch einmal zur Wahl stellen wird.
Dass er dies tun wird, gilt aber allgemein als wahrscheinlich. Als Indiz dafür gilt manchen Beobachtern der Umstand, dass der tunesische Staat unter der Herrschaft des seit 2021 zunehmend autokratisch regierenden Said verschärft gegen Journalisten, politische Gegner und die Zivilgesellschaft vorgeht.
"Die jüngste Repressionswelle steht offenbar in engem Zusammenhang mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Tunesien", sagt Marwa Murad, Sprecherin der Schweizer Menschenrechtsorganisation Komitee für Gerechtigkeit, der DW. Durch die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und die Einschränkung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit wolle Saied seine Macht festigen und seine Autorität gegen mögliche Anfechtungen im Vorfeld der Wahlen verteidigen.
Ähnlich sieht es Lamine Benghazi vom Thinktank Tahrir Institute for Middle East Policy in Washington. "Das mit der Überwachung der Wahlen beauftragte Wahlgremium hat seine Unabhängigkeit verloren. Darum ist das Wahljahr in Tunesien von Angst, Unterdrückung und fehlender Rechtsstaatlichkeit geprägt."
Unabhängige Gremien seien demontiert, die Unabhängigkeit der Justiz eingeschränkt worden, so Benghazi. Ein großer Teil der politischen Opposition sei inhaftiert oder sehe sich Prozessen gegenüber, sagt Benghazi. Zudem unterlägen die Medien einer drakonischen Zensur. Darum gebe es ernsthafte Sorgen, dass Saied die Zivilgesellschaft noch stärker unter Druck setzen könnte, so Benghazi.
Journalisten verhaftet und zum Schweigen gebracht
Erst kürzlich verhaftete die tunesische Staatsanwaltschaft den beliebten TV-Journalisten und Saied-Kritiker Mohamed Boughalleb. Zuvor war er von einer Einheit für Cyberkriminalität verhört worden.
Lokalen Medien zufolge hatte eine Mitarbeiterin des tunesischen Ministeriums für religiöse Angelegenheiten Boughalleb in Facebook-Posts beschuldigt, er habe "ihre Ehre und ihren Ruf" beschädigt.
"Die Inhaftierung von Mohamed Boughalleb spiegelt eine systematisch betriebene Politik wider, die darauf zielt, Journalisten zum Schweigen zu bringen und rechtliche Verfahren zu verletzen", sagt Ziad Dabbar, Leiter des tunesischen Journalistenverbandes, der DW. Die Inhaftierung verstoße gegen das tunesische Pressegesetz.
Angriff auf die Meinungsfreiheit
Auch die in der Schweiz ansässige Menschenrechtsorganisation Euro-Med Human Rights Monitor zeigt sich zunehmend besorgt über das, was sie als "gefährliche Ausweitung der staatlichen Repression in Tunesien" bezeichnet. Mit ihrer Erklärung reagiert die Organisation auf einen weiteren Fall, in dem der tunesische Staat gegen Journalisten vorgeht: Ghassan Ben Khalifa, Chefredakteur der Website Inhiyaz, wurde zu sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, hinter einer Facebook-Seite zu stehen, die sich gegen Kais Saied richte.
Ebenso zeigt sich die Menschenrechtsorganisation besorgt über die Vorladung von Lotfi Mraihi, dem Generalsekretär der Partei der Republikanischen Volksunion. Er hatte kurz zuvor in einem privaten Radiosender den Präsidenten kritisiert.
"Das gezielte Vorgehen gegen Mraihi ist ein Beispiel für das seit zwei Jahren anhaltende systematische Vorgehen der Regierung gegen Persönlichkeiten aus der Politik", so Euro-Med Human Rights Monitor. Dies gelte insbesondere für die Zeit vor den Präsidentschaftswahlen.
Allerdings genieße die Regierung Saied weiterhin sichtbare Zustimmung in der Bevölkerung, sagt Uta Staschewski, Leiterin des Tunis-Büros der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung, im DW-Gespräch. Vieles deute darauf hin, dass die Politik des Präsidenten bei einem bedeutenden Teil der Bevölkerung gut ankomme. Andere hingegen gingen zuletzt gegen den Präsidenten auf die Straße.
Aufschwung trotz Repression in Tunesien
Saied selbst legitimiert seine Herrschaft mit dem Hinweis, dass die Wirtschaft sich stabilisiere. So konnten Angaben der Regierung zufolge die Auslandsschulden abgebaut werden, und zwar ohne Inanspruchnahme internationaler Kredite. Da zudem der Tourismus wieder das Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht habe, sei das Geschäftsklima positiv. Zudem sank nach Angaben des tunesischen Statistikamtes die Inflation im März 2024 weiter auf 7,8 Prozent.
Einem kürzlich erschienenen Bericht der Financial Times zufolge plant die Europäische Union, den tunesischen Sicherheitskräften über einen Zeitraum von drei Jahren bis zu 164,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Die Mittel stehen im Zusammenhang mit einem 2023 vereinbarten Migrationsabkommen.
Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass das Wirtschaftsmodell des Landes trotz der wirtschaftlichen Stabilisierung nicht reformiert worden sei. "Man kann von einem Auseinanderdriften der offiziellen Narrative und der gelebten Realität sprechen", so Staschewski. Offiziell werde seitens der Regierung immer wieder von einer wirtschaftlichen Erholung gesprochen. Das treffe zu einem gewissen Teil auch zu. "Aber für die Menschen auf der Straße ist dies eher weniger spürbar."
Wahlkampf und Wirtschaft
Anfang März noch gingen viele Tunesier auf die Straße, um gegen ihren sich verschlechternden Lebensstandard zu protestieren. Die Fähigkeit des Staates, seine Auslandsschulden bis 2023 zu bedienen, gehe zu Lasten der Bevölkerung und habe zu einer Verknappung von Grunderzeugnissen geführt, sagte der Vorsitzende des tunesischen Gewerkschaftsbundes (UGTT), Noureddine Taboubi, kürzlich auf einer Kundgebung.
Die Kandidaten für das Präsidentschaftsamt werden also auch erklären müssen, wie sie den wirtschaftlichen Druck von Land und Bevölkerung zu nehmen gedenken. Unter anderem daran dürften sie am Wahltag wesentlich gemessen werden.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.