Ein Schlag für die Beziehungen zu den USA
1. November 2019Es war ein Paukenschlag für das politische Ankara: Mit überwältigender Mehrheit hatte das US-Repräsentantenhaus in Washington eine Resolution verabschiedet, in der das Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1917 als Völkermord anerkannt wird. Bei der Vertreibung der Armenier aus Anatolien waren bis zu 1,5 Millionen Menschen ums Leben gekommen. Die Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches gibt zwar den Tod von 300.000 bis 500.000 Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu. Die Einstufung als Völkermord weist sie jedoch strikt zurück. Das Votum aus Washington empörte türkische Politiker über die Parteigrenzen hinweg.
Die wütende Reaktion von Präsident Erdogan kam daher umgehend. Der Schritt habe keinen Wert und werde von der Türkei nicht anerkannt, erboste sich Erdogan. Der Beschluss sei die "größte Beleidigung unseres Volkes". Im islamischen Glauben sei Völkermord strikt verboten, sagte der Präsident. Ebenso erbost äußerte sich der Vorsitzende der größten Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu: "Diese Entscheidung wird nicht nur den Beziehungen zu Armenien schaden, sie wird auch die türkisch-amerikanischen Beziehungen negativ beeinflussen. Wir wollen in unseren Regionen keine neuen Spannungen." Auch die rechts-konservativen Parteien IYI Parti und MHP teilten geschlossen mit, dass sie die Völkermord-Resolution nicht akzeptieren können.
Nur die pro-kurdische HDP zeigte Verständnis für die Entscheidung der Abgeordneten im US-Repräsentantenhaus. "Die große Katastrophe des armenischen Volkes ist immer Gegenstand von ausländischen Parlamenten. Doch das einzige Parlament, das die Wunden des armenischen Volkes heilen kann, ist die türkische Nationalversammlung selbst", sagte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan.
Entscheidung mit Signalwirkung
Die Resolution ist rechtlich nicht bindend, aber sie hat große Symbolkraft und durchaus Gewicht für die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei. Lange Zeit konnte sich der US-Kongress nicht entschließen, die Massaker an den Armeniern als Völkermord zu bezeichnen, um das Verhältnis zum NATO-Partner Türkei nicht zu belasten. Doch nun scheint die türkische Regierung die Geduld vieler Abgeordneten überstrapaziert zu haben: Mit dem Einmarsch in Nordsyrien und der Bekämpfung verbündeter Kurdenmilizen wurden die Beziehungen der beiden Länder schwer belastet. Zuvor hatte Ankara die amerikanische Regierung bereits düpiert, als sie sich entschied, die türkischen Luftabwehrkräfte mit dem russischen Raketensystem S-400 auszustatten.
So sieht es auch Ilhan Uzgel, Politologe an der Universität Ankara und Experte für Internationale Beziehungen: "Washington ist noch immer nachtragend dafür, was in Syrien geschehen ist. Die Militäroperation und auch der Kauf des Raketensystems S-400 machen den Eindruck, dass die Türkei gerade mit Russland flirtet. Daher versucht man, die Türkei ein wenig in die Ecke zu drücken." Die Türkei könne sich einen solchen Streit jedoch nicht erlauben: "Man darf nicht vergessen: Die wirtschaftlichen Bedingungen sind nicht besonders gut in der Türkei. Daher hat die Türkei nicht die Kapazitäten, um einen harten Schlag (der USA - d. Red.) gegen ihre Wirtschaft wegzustecken. Ich denke, dass wir nun bei der schwierigsten Phase in den türkisch-amerikanischen Beziehungen während Erdogans Regentschaft angelangt sind."
Ein Trumpf in der Hand
Auf einen Zusammenhang zwischen der Militäroperation in Nordsyrien und dem Votum im Kongress deutet auch, dass das Repräsentantenhaus zusätzlich zu der Resolution einen Gesetzentwurf verabschiedete, der strenge Sanktionen gegen die Türkei vorsieht, darunter Strafmaßnahmen gegen hochrangige Regierungsvertreter und ein Verkaufsverbot für Waffen, die die Türkei in Syrien einsetzen könnte.
Mustafa Serdar Palabiyik von der TOBB-Universität in Ankara ist Experte für das Massaker an den Armeniern. Er misst der Resolution große politische Bedeutung zu: "Das Repräsentantenhaus unternahm diesen Schritt in einer Zeit der Spannungen in den türkisch-amerikanischen Beziehungen - das ist ein Schritt, der diese Spannungen bewusst vergrößern soll. Bei künftigen Kontroversen - wie der in Syrien oder der um den Kauf des russischen Raketenabwehrsystems - werden solche Gegenaktionen zu erwarten sein. Jetzt haben die Amerikaner gegen die Türkei einen wirksamen Trumpf in der Hand."
Das Timing ist heikel, denn die Resolution des Kongresses kommt kurz vor dem geplanten USA-Besuch Erdogans am 13. November. Prompt stellte Erdogan die Visite in Frage: "Ich habe mich noch nicht entschieden. Aber da ist ein Fragezeichen", sagte er zur türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Dass der geplante Besuch durch das Votum aus Washington nun auf der Kippe steht, ist nicht verwunderlich. Wie sensibel dieses Thema für Ankara ist, zeigte sich bereits im Jahr 2016: Damals verabschiedete der Deutsche Bundestag eine Resolution, die die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft hat. Das Votum hatte die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Der neue Beschluss aus den USA dürfte Ähnliches für das amerikanisch-türkische Verhältnis bedeuten.