Türkei hält Kulturmäzen Kavala weiter in Haft
21. Februar 2022Der Fall dürfte einzigartig sein. Seit mehr als vier Jahren sitzt der türkische Kulturförderer Osman Kavala bereits im Gefängnis, ohne dass gegen ihn ein Urteil ergangen wäre. Ein Gericht in Istanbul beschloss nun, dass der 64-Jährige das Gefängnis noch immer nicht verlassen kann. Es setzt die nächste Anhörung für den 21. März fest.
Die türkischen Behörden werfen Kavala den Versuch einer Destabilisierung des Landes vor. Der Geschäftsmann war ursprünglich am 18. Oktober 2017 wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gerichteten sogenannten Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Nach einem Freispruch im Februar 2020 kam er kurzzeitig aus der Untersuchungshaft, wurde dann aber erneut festgenommen. Mittlerweile werfen die Behörden dem Verleger eine Beteiligung am Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 sowie Spionage vor. Ihm droht lebenslange Haft. Kavala weist die Vorwürfe zurück
Mit dem jüngsten Beschluss der Justiz weigert sich die Türkei abermals, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) umzusetzen. Der EGMR ist der juristische Arm des Europarats, dessen Mitglied die Türkei ist. Als Mitgliedsstaat des Europarats ist die Türkei zur Umsetzung des Urteils verpflichtet; sie kommt dem aber bisher nicht nach. Der Gerichtshof stufte Kavalas Inhaftierung als unrechtmäßig ein und ordnete seine Freilassung an. Ankara ignorierte dies und verbat sich jegliche "Einmischung" in seine Justizangelegenheiten.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Ankara
Der Europarat leitete daraufhin im Dezember ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Türkei ein, das in den Verlust des Stimmrechts oder sogar der Mitgliedschaft in der Länderorganisation münden könnte. Mit dem Vertragsverletzungsverfahren erreicht der Streit um die Rechtsstaatlichkeit der türkischen Justiz eine neue Ebene. Am Ende könnte die Frage stehen, ob die Türkei zu Europa gehören will.
Der Berichterstatter des EU-Parlaments für die Türkei, Nacho Sánchez Amor, sagte der Nachrichtenagentur AFP im Anschluss an die Gerichtsverhandlung, es sei "schwer zu verstehen, warum die Türkei den Anordnungen des Gerichtshofs nicht nachkommt, obwohl sie Teil dieser Gerichtsbarkeit ist". Ankara werde "den Konsequenzen nicht entgehen".
Neben dem EU-Vertreter waren auch Kavalas Ehefrau sowie mehrere Diplomaten - insbesondere aus Deutschland, Frankreich und den USA - im Gericht anwesend. Die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, Luise Amtsberg, äußerte scharfe Kritik: "Rechtsstaatlichkeit bedeutet Vertrauen in den wirksamen Schutz jedes und jeder Einzelnen vor staatlicher Willkür. Die andauernde Inhaftierung von Osman Kavala in der Türkei lässt dieses Vertrauen seit über vier Jahren erodieren."
Diplomatischer Eklat
Der Fall Kavala hatte im Oktober 2021 für einen diplomatischen Eklat gesorgt: Weil sie die Freilassung von Kavala gefordert hatten, drohte Präsident Erdogan zehn westlichen Botschaftern, darunter den Vertretern der USA, Frankreichs und Deutschlands, wegen Einmischung in die "unabhängige Justiz der Türkei" die Ausweisung an. Sie müssten "von hier verschwinden, wenn sie die Türkei nicht verstehen". Erst nach der Zusage, sich nicht in innere Angelegenheiten einzumischen, durften die Diplomaten bleiben.
Aus keinem der 47 Mitgliedsstaaten des Europarats kamen im vergangenen Jahr so viele Beschwerden vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wie aus der Türkei: 9.548 waren es, mehr als ein Fünftel aller neuen Fälle. Oft geht es um Meinungs- und Pressefreiheit und um ungerechtfertigte Inhaftierung.
Eine schmerzhafte Niederlage musste die Türkei Ende Januar bereits gegen den deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel einstecken, der ein Jahr ohne Anklage in einem Istanbuler Hochsicherheitsgefängnis saß. Sein Fall beschäftigte die diplomatischen Kanäle zwischen Berlin und Ankara. Der Menschenrechtsgerichtshof befand Yücels Untersuchungshaft als unangemessen und rügte die Einschränkung seiner Meinungsfreiheit.
kle/uh (afp, rtre, kna)