Ukraine: Selenskyj wirbt um weitere US-Hilfe
Veröffentlicht 21. September 2023Zuletzt aktualisiert 21. September 2023Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj wirbt in Washington um weitere Waffenhilfe
- Getreideschiff aus der Ukraine erreicht Istanbul
- Energieeinrichtungen wieder unter russischem Beschuss
- Polen will künftig keine Waffen mehr an die Ukraine liefern
- Scholz sagt Ukraine weitere Unterstützung zu
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angesichts wachsender Kriegsmüdigkeit und teils offener Ablehnung in Washington um neue Hilfen für sein Land gebeten. Der 45-Jährige traf am Donnerstag Senatoren und Abgeordnete im US-Kongress. Er sei dankbar für die Unterstützung für sein von Russland angegriffenes Land, sagte er nach den Gesprächen.
Seit seinem letzten Besuch im vergangenen Jahr hat sich die Stimmung im Kongresss deutlich gewandelt. Einige Republikaner reagierten mit Widerstand auf den Ukrainer, der mit konkreten Wünschen zu militärischer Ausrüstung nach Washington kam. Auch ein Treffen mit US-Präsident Joe Biden stand auf dem Programm.
Selenskyj habe die Senatoren vor den Gefahren gewarnt, wenn keine weiteren Mittel für die Ukraine bewilligt würden, sagte der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer vor Journalisten. "Herr Selenskyj hat uns gesagt: 'Wenn wir nicht die Hilfe bekommen, werden wir den Krieg verlieren.'" Sein Parteikollege aus dem Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, pflichtete ihm bei. "Es ist wichtig, dass wir hinter der Ukraine stehen, bis der Sieg errungen ist", sagte der oberste Demokrat im Repräsentantenhaus.
Treffen hinter verschlossenen Türen
Ende Dezember war der ukrainische Präsident schon einmal in Washington zu Gast gewesen. Damals wurde er wie ein Held empfangen, sprach unter dem Jubel von Abgeordneten und Senatoren vor beiden Kongresskammern. Die Republikaner haben seit Januar im US-Repräsentantenhaus das Sagen und in ihren Reihen herrscht beträchtliche Skepsis, ob die USA weiter im großen Stil Geld in einen Krieg pumpen sollten, dessen Ende nicht abzusehen ist. Und so hat Selenskyj Senatoren und Abgeordnete dieses Mal hinter verschlossenen Türen getroffen. Eine große Rede fiel ins Wasser.
Der republikanische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, machte klar, dass er diese Bitte abgelehnt habe. Insbesondere der Rechtsaußen-Flügel der Partei argumentiert, das Geld sollte besser in den USA verwendet werden, unter anderem zur Grenzsicherung. Derzeit laufen sehr schwierige Haushaltsgespräche im Kongress. Biden hat den Kongress um zusätzliche Ukraine-Hilfen in Höhe von 24 Milliarden Dollar (rund 22,5 Milliarden Euro) gebeten. Die USA sind im Krieg gegen Russland der wichtigste Unterstützer der Ukraine.
US-Regierung: ATACMS-Marschflugkörper für Ukraine "nicht vom Tisch"
Die US-Regierung hält eine Lieferung weitreichender Marschflugkörper vom Typ ATACMS an die Ukraine für möglich, hat nach Angaben aus dem Weißen Haus aber noch keine Entscheidung dazu getroffen. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, sagte vor Journalisten: "Die ATACMS sind nicht vom Tisch." Er war danach gefragt worden, ob die USA schon entschieden hätten, der ukrainischen Forderung zu entsprechen und das Waffensystem zu liefern. "Wir führen hier (...) weiterhin Diskussionen über dieses spezielle Waffensystem, aber es wurde noch keine Entscheidung getroffen."
Seit längerem wünscht sich die Ukraine von den USA zur Abwehr des russischen Angriffskrieges die Marschflugkörper vom Typ ATACMS. Dabei handelt es sich um Lenkflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern vom US-Hersteller Lockheed Martin, die vom Boden aus gegen Ziele am Boden abgefeuert werden.
Getreideschiff erreicht Istanbul
Erstmals seit dem Ausstieg Russlands aus dem Getreideabkommen hat ein mit Weizen aus der Ukraine beladenes Schiff die Türkei erreicht. Der Frachter "Resilient Africa" legte im Hafen von Istanbul an, wie aus Daten der Website Marine Traffic hervorging. Das Schiff, das unter der Flagge von Palau fährt, hat nach ukrainischen Angaben 3000 Tonnen Weizen geladen, die für Israel bestimmt sind.
Die "Resilient Africa" und der Frachter "Aroyat" hatten zuvor den ukrainischen Hafen Tschornomorsk angesteuert, um insgesamt rund 20.000 Tonnen Weizen an Bord zu nehmen. Es waren die ersten Getreidefrachter, die seit dem Ende des Abkommens mit Moskau über das Schwarze Meer einen ukrainischen Hafen erreichten.
Die "Resilient Africa" legte dann am Dienstag wieder ab, während die "Aroyat" nach Angaben der ukrainischen Regierung noch in Tschornomorsk mit Weizen beladen wurde, der für den ägyptischen Markt bestimmt ist.
Russland war Mitte Juli aus dem Getreideabkommen ausgestiegen, das der Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges den Transport von Getreide über das Schwarze Meer ermöglicht hatte. Die Ukraine öffnete Anfang August dann von mehreren Schwarzmeerhäfen aus Seewege für Handelsschiffe - ungeachtet der russischen Ankündigung, nach dem Auslaufen des Getreideabkommens jedes Schiff aus der Ukraine oder mit dem Ziel Ukraine im Schwarzen Meer ins Visier zu nehmen.
Seitdem fuhren bereits mehrere Frachter von ukrainischen Häfen aus durch das Schwarze Meer, unter ihnen bislang aber kein mit Getreide beladenes Schiff.
Angriffe auf ukrainische Energieversorgung
Russland hat erstmals seit dem vergangenen Winter wieder das ukrainische Energiesystem ins Visier genommen. Aus der westukrainischen Großstadt Riwne berichtete Gebietsgouverneur Witalij Kowal, Objekte der Energieinfrastruktur seien getroffen worden. In und um Riwne gebe es Stromausfälle. Russland hatte im vergangenen Winter versucht, die Ukraine durch systematisches Bombardement auf das Energiesystem in die Knie zu zwingen. Das angegriffene Land hielt die Versorgung der Menschen mit Strom, Heizung, Gas und Wasser nur unter größter Mühe aufrecht.
Ukraine meldet Tote nach Artilleriefeuer
Bei Artillerie-Angriffen auf die Stadt Torezk im Osten der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben vier Menschen getötet worden. Das Büro des Generalstaatsanwalts teilte weiter mit, zwei der Opfer seien in Torezk selbst gestorben, zwei weitere in der angrenzenden Stadt Piwnitschne. Außerdem wurden bei russischen Luftangriffen auf das südukrainische Cherson zwei Menschen getötet und mehrere verletzt.
Die ukrainische Armee berichtete von abgewehrten russischen Angriffen an zwei wichtigen Abschnitten der Front. Russische Einheiten hätten versucht, das vergangene Woche verlorene Dorf Andrijiwka bei Bachmut im Donbass zurückzuerobern, teilte der Generalstab in Kiew mit. Dies sei ihnen aber nicht gelungen. Bei Marjinka im Gebiet Donezk seien im Laufe des Tages zehn russische Vorstöße abgewehrt worden, hieß es in dem abendlichen Lagebericht.
Russland beschränkt Export von Kraftstoff
Die russische Regierung hat eine Beschränkung der Kraftstoffexporte eingeführt, um Engpässe im eigenen Land zu vermeiden. Die Kürzungen für Benzin und Diesel seien "vorübergehend" und dienten dazu, "den heimischen Markt zu stabilisieren", teilte die Regierung in Moskau mit. Das werde auch die Preise an den Zapfsäulen senken. Zu genauen Maßnahmen äußerte sich die Regierung nicht.
Die Kraftstoffpreise waren in der vergangenen Woche auf einen neuen Höchststand gestiegen. Das lag zum Teil am schwachen Rubel, aber auch an den weltweit hohen Ölpreisen und an Reparaturarbeiten in den Raffinerien. Das belastet die Verbraucherinnen und Verbraucher im Land. Medienberichten zufolge konnten Bauern wegen Spritproblemen in manchen Regionen auch ihre Ernte nicht einholen.
Expertin: 20.000 wegen Antikriegsprotest in Russland festgenommen
In Russland sind nach Angaben einer UN-Expertin seit der Invasion im Nachbarland Ukraine mehr als 20.000 Menschen wegen Teilnahme an friedlichen Demonstrationen festgenommen worden. Es habe mehr als 600 Anklagen geben, berichtete die Bulgarin Mariana Katzarova im UN-Menschenrechtsrat in Genf. Sie erinnerte an Oleg Orlow von der Menschenrechtsorganisation Memorial, der unter den Angeklagten ist. Memorial erhielt vor einem Jahr den Friedensnobelpreis. Orlow drohen 15 Jahre Haft.
Der Rat hatte Katzarova 2022 als Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtslage in Russland eingesetzt. Russland erkennt ihr Mandat nicht an. Sie durfte nicht ins Land reisen. Die russische Regierung verzichtete im Menschenrechtsrat auf das Recht, zu dem Bericht von Katzarova Stellung zu nehmen.
Blinken beschreibt Horror des Kriegs
US-Außenminister Antony Blinken hat angemahnt, den täglichen Horror des Krieges für die Menschen in der Ukraine nicht zu vergessen. "Aus der bequemen Entfernung dieses Saales ist es wirklich einfach, aus den Augen zu verlieren, wie es für die ukrainischen Opfer russischer Aggression ist", sagte Blinken bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Er schilderte konkrete Beispiele von Kriegsgräueln in der Ukraine und beklagte, Russland bombardiere Gemeinden, Wohnhäuser, verschleppe Kinder, sperre Ukrainer unter brutalen Bedingungen ein, zerstöre Hilfsdepots und Getreidesilos. "Das ist, was ukrainische Familien jeden Tag durchleben. Das ist, was sie seit 574 Tagen dieser Invasion erleben. Es ist, was sie morgen erleiden werden, und am Tag danach."
Russlands Präsident Wladimir Putin setze darauf, dass er nur weitermachen müsse mit der Gewalt und die Ukraine und die Welt irgendwann einknicken würden, sagte Blinken. "Aber die Ukrainer geben nicht auf", betonte er. "Und wir geben auch nicht auf." Der US-Außenminister ging auch ein auf Bedenken aus Ländern des sogenannten Globalen Südens, die argumentieren, der Ukraine-Krieg halte die Welt davon ab, drängende andere Probleme anzugehen, wie etwa die Klimakrise oder die Erweiterung wirtschaftlicher Chancen auf der Welt. Dies sei eine falsche Wahl, sagte Blinken. "Wir können und müssen beides tun. Und wir tun beides."
Spekulationen über Polens Waffenlieferungen an Ukraine
Polen schränkt seine Waffenlieferungen an die Ukraine ein und will sich auf die Bewaffnung des eigenen Landes konzentrieren. "Wir transferieren keine Waffen mehr an die Ukraine, weil wir uns selbst mit den modernsten Waffen ausrüsten", sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im Sender Polsat News.
Regierungssprecher Piotr Müller präzisierte laut der polnischen Nachrichtenagentur PAP später, man werde künftig nur noch die Waffen und die Munition bereitstellen, deren Lieferung zu einem früheren Zeitpunkt beschlossen worden sei. Das schließe die Lieferungen ein, die in Verträgen mit der Ukraine vereinbart worden seien.
Das polnische Außenministerium hatte zuvor den ukrainischen Botschafter einbestellt, um Protest gegen Äußerungen von Präsident Wolodymyr Selenskyj vor der UN-Vollversammlung einzulegen. Selenskyj habe angedeutet, dass einige EU-Länder Solidarität mit der Ukraine vortäuschten, aber indirekt Russland unterstützten, hieß es aus Warschau.
Zwischen Polen und der Ukraine schwelt derzeit ein Streit über Getreideimporte. Warschau drohte Kiew zuletzt mit weiteren Importverboten für Agrargüter. Die Ukraine hat vor der Welthandelsorganisation (WTO) Beschwerde gegen die Nachbarländer Polen, Slowakei und Ungarn eingereicht, weil sie die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Ukraine untersagen.
Scholz sagt Ukraine weitere Unterstützung zu
Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen in New York erneut anhaltende deutsche Hilfe im Abwehrkampf gegen Russland zugesagt. Die Unterstützung werde in enger Abstimmung mit europäischen und internationalen Partnern fortgeführt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit nach einem Treffen von Scholz und Selenskyj am Rande der UN-Generaldebatte.
Ukraine will Korruption von Staatsdienern wieder verstärkt verfolgen
Als ein Mittel gegen Korruption in der Ukraine müssen Politiker und ranghohe Staatsdiener ab sofort wieder ihre Vermögensverhältnisse digital offenlegen. Das beschloss das ukrainische Parlament mit großer Mehrheit. Unter Druck der Zivilgesellschaft korrigierten die Abgeordneten damit ihre eigene Entscheidung von vergangener Woche. Die sogenannten E-Deklarationen waren mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges 2022 als Sicherheitsmaßnahme ausgesetzt worden. Die Rada wollte sie nun wieder einführen, sah aber eine Übergangszeit von einem Jahr vor. Dagegen legte Präsident Wolodymyr Selenskyj sein Veto ein und forderte eine sofortige Offenlegung. Auch eine Petition in dieser Sache sammelte Zehntausende Unterschriften.
Seit Jahren kämpft die Ukraine gegen ihr massives Korruptionsproblem. Die Europäische Union hat Fortschritte bei der Bekämpfung der Korruption zu einer Bedingung für den von der Ukraine angestrebten EU-Beitritt gemacht. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegt die Ukraine den vorletzten Platz in Europa, knapp vor Russland.
qu/gri/se/uh/hf (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.