Unfähiger Robin Hood
28. November 2003Der ehemalige Fallschirmspringer Hugo Chávez hat im Laufe seiner militärischen und politischen Karriere alle Höhen und Tiefen durchlebt. Seinen ersten Auftritt auf der politischen Bühne Venezuelas hatte er 1992. An der Spitze einer Bewegung junger Offiziere wollte der damals 38-jährige Oberstleutnant und Kommandeur eines Fallschirmspringerbataillons die durch Korruption und Vetternwirtschaft geprägte Regierung des Präsidenten Carlos Andrés Pérez stürzen. Der Putsch misslang, Hugo Chávez wurde inhaftiert.
Zum Zeitpunkt des missglückten Staatsstreiches, Anfang der 90er Jahre, schlitterte Venezuela in eine wirtschaftliche Krise, die in den vergangenen 15 Jahren dazu geführt hat, dass rund 85 Prozent der 23 Millionen Venezolaner in Armut leben.
Mann aus dem Volk
Als Hugo Chávez 1994 per Präsidentenerlass begnadigt wurde, startete er seinen zweiten Anlauf in die Politik, jetzt nicht mehr in olivgrün sondern in ziviles blaues Tuch gekleidet. Er gründete die Bewegung Fünfte Republik, berief sich dabei auf Simón Bolívar, den Helden des venezolanischen Unabhängigkeitskampfes gegen die spanischen Kolonialherren, dessen Traum ein vereinigtes Lateinamerika war. Chávez sah sich als ein moderner Robin Hood. Im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen 1998 bereiste er das ganze Land, vergoss medienwirksam Tränen angesichts der Armut in den Elendsvierteln der Großstädte, küsste Kinder, half alten Frauen beim Wasserholen am einzigen Dorfbrunnen, rezitierte Gedichte oder stimmte spontan ein Lied an: Hugo Chávez, der Soldat, der Mestize, der Mann aus dem Volk.
Seine Wahlkampfversprechen waren so simpel wie verführerisch: soziale Gerechtigkeit, Bekämpfung von Armut und Korruption und Abbau der Auslandsschulden in Höhe von 409 Milliarden Euro. Mit 57 Prozent der Stimmen wurde er gewählt, die traditionellen Parteien mussten die größten Verluste in der demokratischen Geschichte des Landes hinnehmen. Keines der versprochenen Ziele hat Chávez jedoch bislang erreicht.
Krise außer Kontrolle
Vielmehr hat er das Land durch seine wirtschaftlichen und politischen Reformen so tief gespalten, dass die Krise außer Kontrolle zu geraten droht. Kaum im Amt, ließ Chávez eine verfassunggebende Versammlung wählen und sich selbst in einem Referendum Sondervollmachten durch das Volk absegnen. Der Urnengang ist inzwischen zu einer Art Gewohnheit für die Venezolaner geworden: Chávez hat das Volk zur vierten Macht im Staat erklärt und hat seit seinem ersten Wahlsieg vor vier Jahren sechs Referenden und Wahlen abgehalten, zuletzt im Jahr 2000 seine eigene Wiederwahl, in Kombination mit Parlamentswahlen. Im April 2002 war Chávez unter dem Druck blutiger Massenproteste und einer Rebellion von Teilen der Streitkräfte aus dem Amt gedrängt worden – um nach 47 Stunden unter dem noch massiveren Triumph seiner Anhänger wieder in den Präsidentenpalast einzuziehen. Damals hatte sich die Mehrheit der Militärs auf die Seite von Chávez gestellt.
Schwindende Beliebtheit
Seine Beliebtheit in Venezuela ist inzwischen von einstmals 80 auf gerade noch 30 Prozent gefallen. Daran kann auch seine wöchentlich Fernsehsendung "Aló Presidente" nichts mehr ändern. Die Call-In Sendung mit Hugo Chávez als Moderator, Gast und Star in Personalunion kann durchaus bis zu fünf Stunden dauern. Als Requisiten dienen die Bibel, ein Zitatenschatz, in dem alle geistigen und politischen Größen dieser Welt vorkommen sowie die scheinbar unerschöpfliche Freude an der eigenen Rhetorik, mit der Hugo Chávez seinem großen Vorbild Fidel Castro nacheifert.
Vertrauen genießt er inzwischen nur noch bei den Ärmsten der Armen, jener Bevölkerungsschicht, die sich traditionell von der Politik verraten fühlt und in Chávez ihren Fürsprecher sieht. Wer aber in Venezuela noch etwas zu verlieren hat, der glaubt nicht mehr an die Versprechen von Hugo Chávez: Nicht Korruption sondern Unfähigkeit und Machtmissbrauch werden ihm vorgeworfen.