Hongkong: Der zögerliche Westen
14. August 2019Seit Anfang Juni kommt es in Hongkong zu regelmäßigen Protesten. Nach Angaben der Veranstalter haben bis zu zwei Millionen Menschen daran teilgenommen. Am kommenden Sonntag (18.08.) wurden drei Millionen Aktivisten für die Großkundgebung angemeldet, die mehr Selbstbestimmung und demokratische Rechte fordern wie die Direktwahl des Verwaltungschefs und des Parlaments.
Mit jeder neuen Woche werden die Proteste gewalttätiger. Die Hongkonger Polizei setzte Tränengas und Gummigeschosse ein. Am Dienstag zog ein Polizist am Flughafen sogar die Dienstwaffe, als er und drei weitere Ordnungshüter von Demonstranten angegriffen wurde. Zuvor wurden ihm Pfefferspray und Schlagstock aus den Händen gerissen. Geschossen wurde nicht.
Deutlichere Kritik gegenüber China erwünscht
Aus Europa war bisher nur leise Kritik an der chinesischen Zentralregierung zu hören. Nach den heftigen Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten im Flughafenterminal am Dienstag (13.08.) rief ein Sprecher der EU-Kommission zum Abbau der Spannungen auf. "Angesichts der andauernden Unruhe und der Zunahme gewalttätiger Zusammenstöße ist es geboten, dass alle Seiten jede Art von Gewalt vermeiden und dringend Maßnahmen ergreifen, um die Lage zu deeskalieren", hieß es aus Brüssel.
Auch Deutschland ruft zu Zurückhaltung und Dialog auf. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagt: "Die Dinge eskalieren immer mehr. Deswegen kann man nur appellieren, dass sich alle Seiten zurücknehmen."
Die EU habe die Proteste in Hongkong zwar von Anfang an unterstützt, glaubt Willy Lam, außerordentlicher Professor für Chinastudien an der Universität Hong Kong. Sie hätte aber gegenüber den zunehmenden Einschüchterungsversuchen aus Peking kritischer sein können. "Bisher gab es eben nur diese typischen diplomatischen Stellungnahmen von Europa", sagt Lam im DW-Interview. Er glaubt, dass einige EU-Länder, insbesondere die in Ost- und Südosteuropa, enge wirtschaftliche Beziehungen mit China pflegen und deshalb eine klarere EU-Position verhindern.
Zurückhaltung auch im Weißen Haus
Auch US-Präsident Donald Trump hielt sich mit Äußerungen zu den Protesten weitgehend zurück. Er übernahm den Wortlaut chinesischer Propaganda und sprach von "Unruhen" in der ehemaligen britischen Kolonie. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ohio erklärte er: "Hongkong ist Teil Chinas. China muss das selbst regeln."
Chinaexperte Lam sieht Trumps Äußerungen im Zusammenhang mit dem Handelsstreit: "Trump wollte den Handelsstreit nicht weiter verkomplizieren." Diese Auffassung teilt auch Kristin Shi-Kupfer, Sinologin vom Mercator Institut für China Studien in Berlin: "Die USA senden ein Signal, das offensichtlich Hongkong nicht auf der obersten Agenda steht, was die Beziehung mit der Volksrepublik angeht. Der Fokus ist aus Sicht Washingtons der Handelskonflikt."
Allerdings wurde später der Ton von Trump auch rauer, nachdem die Demonstranten am Montag und Dienstag den Betrieb am Hongkonger Flughafen zum Erliegen gebracht hatten. Er twitterte, US-amerikanische Geheimdienste hätten bestätigt, dass chinesische Truppen an der Grenze zu Hongkong zusammengezogen würden. Er nannte die Lage in Hongkong "verzwickt", hoffe aber, dass sich eine Lösung für alle Seiten inklusive China finde, ohne dass jemand verletzt oder getötet würde. Er fügte hinzu: Eine Lösung im Sinne der Freiheit.
Kongress in Offensive
Vielen demokratischen und republikanischen Senatoren geht Trumps neue Positionierung nicht weit genug. Sie halten sie sogar für falsch und gefährlich wie der Demokrat Jim McGovern aus Massachusetts, der sich für die Menschenrechte einsetzt. "Seine Meinungen laden zu Fehleinschätzungen ein."
Schon seit Beginn der Proteste bleibt sich der US-Kongress in seiner Haltung treu. Zehn Senatoren lobten in einer gemeinsamen Erklärung die Courage der Demonstranten, deren Beispiel die Welt folgen werde: "Wir unterstützen die Demonstranten, die für die Freiheit kämpfen, und rufen die Regierung in Hongkong und China dazu auf, das Recht auf friedlichen Protest zu respektieren."
Nach dem Ausbruch andauernder Demonstrationen wurde Anfang Juni ein Gesetzesentwurf über die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong ("Hong Kong Human Rights and Democracy Act") in den Kongress eingebracht. Er würde unter anderem eine jährliche Evaluierung und Bestätigung des "Autonomie"-Status von Hongkong durch den US-Präsidenten erforderlich machen. Bei fehlender Bestätigung würde Hongkong seine Handelsprivilegien verlieren. Das wäre dann ein schwerer Schlag für die Stadt, der aber auch Peking treffen würde, denn viele staatseigene Unternehmen nutzeh nach wie vor Hongkong als Zugang zum internationalen Finanz- und Kapitalmarkt.
Die Haltung der chinesischen Regierung darauf war ebenfalls eindeutig, wie eine Reaktion auf Kritik an China durch die Demokratin Nancy Pelosi, die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, beispielhaft zeigt. "Nancy Pelosi und einige andere US-Politiker würden wieder und wieder die Tatsachen verdrehen. Sie unterstützten damit gewalttätige radikale Kriminelle, deren Verhalten sie für rechtens erklären", kritisiert ein Regierungssprecher.
UN beunruhigt
Auch der Hohe Kommissar für Menschenrechte der UN äußert Sorgen über die Eskalation der Gewalt. Es gebe glaubwürdige Beweise, dass Sicherheitskräfte zum Beispiel mehrfach Tränengaskanister direkt auf Demonstranten abgefeuert hätten. Das berge "erhebliches Risiko von Todesfällen und ernsthaften Verletzungen."
Allerdings sind die Einflussmöglichkeiten der UN stark eingeschränkt, wie Shi-Kupfer sagt: "China ist ein ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, was das Ganze im Prinzip zu einem aussichtsloses Unterfangen macht, wenn man China mit bestimmten UN-Sanktionen oder Resolutionen belegen möchte."
Nach Willy Lam werden die definitiven Entscheidungen ohnehin vom Staatspräsidenten und Generalsekretär der KP Chinas Xi Jinping in Peking getroffen, der in Personalunion auch der höchste Befehlshaber chinesischer Streitkräfte ist. Xi werde mögliche Reaktionen der USA und der EU einkalkulieren, aber das sei nicht entscheidend. "Der entscheidende Faktor ist Stabilität in Hongkong und die Kontrolle der Kommunistischen Partei über die Stadt." In knapp sechs Wochen feiert China 70 Jahre Gründung der Volksrepublik. Das Land mit seinen Erfolgen und nicht mit den Protesten in Hongkong internationale Schlagzeile machen.