Vatikankenner sieht Machtkampf im Vatikan
25. Juni 2014Marco Politi ist deutsch-italienischer Journalist und Buchautor. Er gilt als gut vernetzter Vatikan-Insider und ist Kommentator der Tageszeitung Il Fatto Quotidiano. Vor zwei Jahren veröffentlichte er die Monographie "Benedikt. Krise eines Pontifikats" – ein Abgesang auf den deutschen Papst, der kurze Zeit darauf von seinem Amt zurücktrat. In dieser Woche legte er, zunächst auf Italienisch, sein neuestes Buch vor: "Franziskus. Papst unter Wölfen". Darin schildert er den Machtkampf hinter den hohen Mauern des Vatikan.
DW: Herr Politi, "Franziskus. Papst unter Wölfen" heißt Ihr neues Buch. Wer der Papst ist, dürfte klar sein. Doch wer sind die Wölfe?
Marco Politi: Es gibt diese Legende vom heiligen Franziskus, der einen Wolf in Gubbio trifft. Und als Franziskus predigt, wird der Wolf zum Lämmlein. Im Vatikan und in der Weltkirche ist es umgekehrt: Da gibt es zwar Prälaten, Klerus und Gläubige, die den Papst in seinem Reformprojekt unterstützen. Aber es gibt auch großen Widerstand auf verschiedenen Ebenen. Widerstand etwa, wenn der Papst sagt, Frauen sollten in Schlüsselpositionen kommen und Entscheidungen treffen können. Es gibt Widerstände, wenn der Papst Transparenz in Geldangelegenheiten bringt. Von Zeit zu Zeit explodieren Skandale. Man sieht dann, wie viel Geld verschwunden ist. Wenn der Papst gegen solche Sachen anredet, werden die Mafiamilieus nervös. Wölfe gibt es auch, wenn der Papst die Kirche demokratisieren will. Leute sagen dann, er vermindert die Rolle des Primates des Papstes und des römischen Pontifex'.
Wir erleben also einen Machtkampf im Vatikan?
Nicht nur im Vatikan. Im Vatikan gibt es Reformkräfte, dieselben, die einen argentinischen Kardinal zum Papst gewählt haben. Aber es gibt Widerstände auch in der Weltkirche, unter den Bischöfen in der ganzen Welt. Im Vatikan gibt einen harten Kern. So ist etwa Kardinal Müller von der Glaubenskongregation dagegen, dass man Wiederverheirateten die Kommunion gibt. Kardinal Burke, ein Nordamerikaner, der sehr in der Pro-Life-Bewegung aktiv ist, möchte die Politik von Benedikt XVI. weiterführen und sehr aggressiv gegen Staaten vorgehen, die Abtreibung erlauben oder künstliche Befruchtung.
Welche Macht haben die Kritiker von Papst Franziskus?
Wenn ein Papst die Kirche reformieren oder sogar revolutionieren will, dann ist er nicht allmächtig. Das haben wir schon bei Johannes XXIII. erlebt. Da gab es Sabotage gegen den Papst, als er die Konzilsbewegung in Gang setzte. Und auch gegen Paul VI. gab es hinter den Kulissen starken Widerstand von konservativer Seite. So geht es jetzt Papst Franziskus. Er will eine offene Debatte in der Kirche, denn sie bringt Bewegung in die Kirche. Er bildet nicht einfach eine Seilschaft aus eigenen Anhängern. Er möchte, wie im zweiten Vatikanischen Konzil, eine offene Diskussion. Aus verschiedenen Vorschlägen und Optionen soll man einen Konsens finden. Und so die Kirche erneuern.
Ein Beispiel: Erzbischof Müller veröffentlichte einen harten Artikel im "Osservatore Romano" (die Vatikanzeitung, Anm.d.R.), in dem er gegen die Kommunion für die wiederverheiratet Geschiedenen wetterte. Wenige Wochen danach machte Franziskus ihn zum Kardinal. Der Papst will die offene Debatte. Leider herrscht in der Weltkirche und in den Bischofskonferenzen noch zu viel Passivität. Die obere Hierarchie bezieht nicht offen Position. Stattdessen gibt es mittlerweile ein ganzes Netz von Websites, die aggressiv Stimmung gegen diesen Papst machen.
Von außen wirkt die Kurie, die Herzkammer der Weltkirche, wie ein abgehobenes Raumschiff. Glauben Sie, am Ende dieses Machtkampfes verliert das Raumschiff seine Macht zugunsten größerer Freiheiten in den Bischofskonferenzen, den Bistümern und Gemeinden?
Ganz bestimmt. Wenn der Papst die Kurie reformiert, und wenn der Papst sie zu einem nützlichen Werkzeug auch für die Bischöfe machen will, dann schafft er damit ein ganz neues System. Das ist nicht einfach, immerhin hat sich die Kurie über die Jahrhunderte zu einer Art Oberkommando der Kirche entwickelt, das die Bischofskonferenzen regiert. Seit mehr als einem Jahr ist die Reform der Kurie immer noch nicht abgeschlossen…
Für viele in der katholischen Kirche ist Papst Franziskus der Hoffnungsträger. Wird er die Früchte seines Erneuerungskurses noch erleben?
Sicherlich wird auch Papst Franziskus sich eines Tages zurückziehen. Papst Benedikt hat mit seinem Rücktritt das katholische Papsttum verändert. Wie kann Franziskus' Revolution weitergehen, wenn er nicht mehr da ist? Der Papst setzt große Hoffnungen auf das Prinzip der Synoden, dieser kleinen Bischofsparlamente, die alle drei Jahre in Rom zusammenfinden, um über Probleme zu diskutieren.
Bis jetzt funktionierten sie wie Universitätskonferenzen - jeder sagte, was er meinte, und am Ende gab es ein unwichtiges Dokument. Franziskus will aber, dass die Bischofssynoden echte Entscheidungen über knifflige Fragen treffen. So hat er für diesen Herbst die Synode zu Ehe und Familie einberufen. Da geht es um alles – um Scheidungen, Pille, homosexuelle Beziehungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Die Bischöfe sollen erst einmal die Situation analysieren und auf die Gläubigen hören. Deswegen hat der Papst einen großen Fragebogen durch die Welt geschickt. 2015 soll man sich dann noch mal treffen, um konkrete Vorschläge zu machen. Wenn dieser parlamentarische Mechanismus sich durchsetzt, wenn in den nächsten sieben Jahren zwei, drei solcher Synoden zusammenkommen, wenn die Bischofskonferenzen erleben, dass sie mitentscheiden können, dann wird die Revolution von Franziskus unumkehrbar.