1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verhaftungswelle nach Umsturzversuch

17. Juli 2016

Nachdem die Regierung in Ankara die Lage wieder unter Kontrolle gebracht tat, holt sie nun zum Gegenschlag aus. Tausende wurden verhaftet. Außerdem erhöht sie den Druck auf die USA, den Prediger Gülen auszuliefern.

https://p.dw.com/p/1JQPa
Festnahmen nach dem Putschversuch inder Türkei (Foto. AP)
Bild: picture-alliance/AP Photo

Nach dem gescheiterten Putsch türkischer Armee-Einheiten gehen die Behörden massiv gegen alle vor, die einer Unterstützung der Revolte oder einer regierungsfeindlichen Haltung verdächtigt werden. Mehr als 6000 Menschen wurden bis Sonntagnachmittag festgenommen. Unter ihnen sind mehrere Generäle sowie der wichtigste Militärberater von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, Ali Yazici, wie der türkische TV-Sender CNN Türk berichtete. Auch der Kommandeur der Luftwaffenbasis Incirlik, auf der Bundeswehrsoldaten stationiert sind, wurde abgeführt.

Justizminister Bekir Bozdag kündigte weitere Verhaftungen an. Nach türkischen Medienberichten sind unter anderem 140 Richter und Staatsanwälte zur Fahndung ausgeschrieben. Sie werden unter anderem der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation beschuldigt. In Ankara wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe angeregt. Die Regierung in Ankara betonte, sie habe die Lage wieder überall im Land unter Kontrolle

Verdacht gegen Gülen-Bewegung

Erdogan und Mitglieder der Regierung machen die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. "Sie werden einen sehr hohen Preis für diesen Verrat zahlen", drohte Erdogan. Die "Säuberung aller staatlichen Institutionen von diesem Geschwür" werde weitergehen.

Der türkische Prediger Fethullah Gülen (Foto: Reuters)
Der türkische Prediger Gülen hat weltweit viele AnhängerBild: Reuters/G. Savoy

Das Netzwerk der Gülen-Anhänger wird in der Türkei als angebliche Terrorgruppe verfolgt, seit sich die einstigen Weggefährten Erdogan und Gülen im Jahr 2013 zerstritten haben. Erdogan beschuldigt seitdem die Anhänger des Predigers Gülen, den türkischen Staat zu unterwandern und die Macht übernehmen zu wollen. Gülen selbst wies den Vorwurf, in den Putschversuch von Freitagnacht verwickelt zu sein, empört zurück und äußerte seinerseits den Verdacht, die Regierung Erdogan könnte den Militäraufstand selbst inszeniert haben.

USA wollen Beweise sehen

US-Außenminister John Kerry nannte Behauptungen, sein Land könnte in die Militärrevolte verwickelt sein, "völlig falsch und schädlich für unsere bilateralen Beziehungen". Arbeitsminister Süleyman Soylu hatte den USA eine Unterstützung der Putschisten vorgeworfen. Staatspräsident Erdogan verlangt von Washinton die Auslieferung Gülens. Wenn die USA und die Türkei tatsächlich strategische Partner seien, dann müsse Präsident Barack Obama handeln, so der türkische Staatschef. US-Außenminister Kerry sagte dagegen, Maßnahmen gegen Gülen würden nur dann ergriffen, wenn Beweise vorlägen.

Überall in der Türkei sichern nach dem Putschversuch Polizeikräfte öffentliche Plätze (Foto: dpa)
Überall in der Türkei sichern Polizeikräfte öffentliche PlätzeBild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Beweise für eine Beteiligung Gülens an dem Umsturzversuch legte die türkische Regierung bislang jedoch nicht vor. Darüber hinaus ist noch unklar, unter wessen Führung die Revolte ablief. Der mittlerweile festgenommene Ex-Luftwaffenchef Akin Öztürk, der dem Obersten Militärrat angehörte, wird von der Regierung nur als einer der mutmaßlichen Drahtzieher bezeichnet.

Bei dem Umsturzversuch wurden nach offiziellen Angaben mindestens 290 Menschen getötet, darunter mehr als 100 Putschisten. Außerdem seien mehr als 1400 Menschen verletzt worden.

In Istanbul nahm Präsident Erdogan an der Beisetzung von Opfern des Putschversuchs teil (Foto: dpa)
In Istanbul nahm Präsident Erdogan an der Beisetzung von Opfern des Putschversuchs teilBild: picture-alliance/dpa/S. Suna

Sorgen in Deutschland

In Deutschland und anderen Ländern wächst derweil die Sorge um Demokratie und Menschenrechte in dem Land, das der Europäischen Union beitreten möchte. Viele Politiker begrüßten das Scheitern des Militärputsches, bekundeten aber zugleich die Befürchtung, dass die Behörden nun gegen unbeteiligte Kritiker vorgehen. Die CSU erteilte der geplanten Visafreiheit für Türken eine Absage. "In dieser Situation kann es keine volle Visafreiheit für die Türkei geben", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer der "Passauer Neuen Presse". Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger ermahnte die türkische Regierung in der "Welt am Sonntag", die demokratischen Grundrechte nach dem versuchten Putsch nicht weiter einzuschränken.

Auch in Frankreich wurden diese Sorgen geäußert. Präsident François Hollande sprach von drohenden "Repressionen" in der Türkei. Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte, es gebe keinen "Blankoscheck" für Ankara.

ago/qu (dpa, rtr, kna)