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Verschwundene Bilder

27. September 2010

In einem ehemaligen Gästehaus der DDR, heute eine Ruine, ist ein Wandrelief von Bernard Heisig erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Mehreren Lagen Graffiti haben es unter sich begraben - und keiner stört sich daran.

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Ein Bauzaun versperrt den Zugang zum ehemaligen "Gästehaus des DDR-Ministerrates" in Leipzig. Fotografin Margret Hoppe hebt das Gitters an und schiebt es zur Seite. Durch Gestrüpp und Unkraut stiefelt sie um das Gebäude aus den 1960er Jahren und sucht nach einem Eingang. Die Fenster im Erdgeschoss sind zugemauert, doch Margret Hoppe findet ein Loch, das nur durch eine Mülltonne versperrt ist. Leicht geduckt steigt sie in die Ruine ein.

Bernhard Heisig, ohne Titel, 1969, Sgraffito, 400 x 1200 cm, Gästehaus des Ministerrates der DDR, Leipzig, 2006, Gästehaus am Park Leipzig (Foto: Margret Hoppe)
Bernhard Heisig, o. T., 1969, Sgraffito, 400x1200cm, Gästehaus des DDR-Ministerrates, Leipzig, 2006

"Das hier war mal das Foyer." Margret Hoppes Blick wandert nach oben. Von der Decke tropft es, Deckenplatten und Ziegelsteine liegen auf dem Boden, aber auch alte Kleider, Bierflaschen und Graffitidosen. Das "Gästehaus des DDR-Ministerrates" galt einmal als sehr repräsentativ, hier wurden Besucher aus dem Ausland empfangen. Margret Hoppe begutachtet eine wüst mit Graffiti besprühte Wand. Erst beim zweiten Blick ist ein rund ein Meter langes Wandrelief zu erkennen. "Ich habe es durch Zufall entdeckt, als ich mal vor einigen Jahren hier zum Fotografieren her kam."

Vergessenes Relief eines wichtigen Künstlers

Unter den Lagen von Graffiti ist ein Soldatenkopf zu erkennen, darunter zwei Hände die ineinandergreifen und eine nach oben gereckte Faust. "Da ist noch etwas. Sieht aus wie eine Taube, oder? Man erkennt es ja wirklich kaum noch." Vor vier Jahren fotografierte Margret Hoppe dieses Foyer samt Gipsrelief. Erst eine anschließende Recherche ergab: Das Wandrelief hat Bernhard Heisig geschaffen.

Ein Besucherin der Ausstellung "Kunst in der DDR" geht in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn an einem Ölbild vorbei, das von Bernhard Heisig im Jahre 1977 geschaffen wurde und den Namen "Beharrlichkeit des Vergessens" trägt. Mit insgesamt 270 Werken von 136 Künstlern der Gattungen Malerei, Zeichnung, Collage, Skulptur, Fotografie und Film blickt die Ausstellung zurück auf 40 Jahre Kunst in der ehemaligen DDR (Foto: dpa/Jörg Carstensen).
Gegen das VergessenBild: dpa

Bernard Heisig gilt als einer der wichtigsten Maler der DDR. Mit Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer zählt er zu den Begründern der sogenannten Leipziger Schule, weltweit bekannt aufgrund ihrer soliden, künstlerischen Ausbildung.

Immer wieder geriet Bernhard Heisig der offiziellen Kulturpolitik der DDR in die Quere, die den sogenannten sozialistischen Realismus propagierte, also leicht verständliche, figurative und optimistische Malerei.

Ausdrücklich gewünscht waren beispielsweise Darstellungen der vermeintlichen DDR-Wirtschaftskraft oder heldenhafte Arbeiter- und Bauernportraits. Heisigs Bilder gingen in der Regel weit darüber hinaus: expressiv, mit einem Hang zum Albtraumhaften.

Gesamtdeutscher Maler

Bundeskanzler Gerhard Schroeder, links, und der Maler Bernhard Heisig stehen neben dessen Gemaelde "Atelierbesuch (Bildnis Helmut Schmidt)" aus dem Jahre 1986 in der Werks-Ausstellung Berhard Heisigs im Museum der Bildenden Kuenste in Leipzig. Die Ausstellung wurde anlaesslich des 80. Geburtstages des Malers 2005 gezeigt (Foto: AP/Eckehard Schulz).
Ausstellung zum AchtzigstenBild: AP

Seine Kunst war lange vor der Wiedervereinigung auch in Westdeutschland präsent: So nahm er 1977 beispielsweise an der "documenta" in Kassel teil, der weltweit wichtigsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst. 1984 beauftragte ihn der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, sein Portrait fürs Kanzleramt zu malen.

Einer, der die Höhen und Tiefen der künstlerischen Biografie Heisigs miterlebte, ist sein Galerist Rüdiger Küttner. Die beiden kennen sich seit über 40 Jahren. Küttner stand auch dann zu ihm, als Heisig nach der Wende seine SED-Parteimitgliedschaft und seine Auftragsarbeiten vorgeworfen wurde und als ihm seine Kritiker damit eine eigene künstlerische Vision absprachen.

"Es war einfach fies. Wenn man im Spiegel als Stasi-Maler bezeichnet wird, der also die Zeit nutzte, wenn Portrait gesessen wurde, um Helmut Schmidt auszuhorchen, das ist einfach miserabel." Zwar habe es eine Gegendarstellung gegeben, "aber die zweieinhalb Zeilen hat dann kaum einer gelesen. Da muss man als Maler schon eine ganz schön dicke Haut haben."

Was ist Kunst? Und wer entscheidet darüber?


Portrait-Foto der Fotografin Margret Hoppe (Foto: Margret Hoppe)
Fotografin Margret HoppeBild: Margret Hoppe

Angesprochen auf das Wandrelief zuckt Galerist Küttner mit den Schultern. "Davon habe ich noch nie gehört, wirklich nicht. Und ich glaube, da wir in der langen Zeit, die wir uns kennen, noch nie darüber geredet haben, ist es ihm auch nicht wichtig." Mehrere Lagen Graffiti haben das Wandrelief von Bernhard Heisig unter sich begraben. Unklar ist auch, was aus der Ruine des Gästehauses werden soll. Ein Abriss gilt als wahrscheinlich und damit wohl auch eine Zerstörung des Gipsreliefs.

Vielleicht stört das den heute 85-jährigen Maler tatsächlich nicht. Doch die Wahrnehmung des Künstlers ist das eine, die Bewertung durch die Kunstwissenschaft das andere. "Auf mein Foto gab es eigentlich bis jetzt keine Reaktionen von den Behörden", sagt die 29-jährige Margret Hoppe. "Auch die Denkmalbehörde meinte, dass sie da nichts machen könne. Das Relief wird wohl einfach verfallen."

Autorin: Nadine Wojcik

Redaktion: Conny Paul