Verteidiger: Zschäpe ist keine Mörderin
24. April 2018Zehn Morde, zwei Bombenanschläge und 15 Raubüberfälle werden Beate Zschäpe zur Last gelegt. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft gibt es keinen Zweifel an ihrer Schuld: Die Hauptangeklagte im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sei "Drittel eines verschworenen Triumvirats" gewesen. Die zwei anderen waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, mit denen Zschäpe seit 1998 über 13 Jahre im Untergrund lebte. Die beiden Männer nahmen sich 2011 das Leben, um ihrer Festnahme zu entgehen, während sich Zschäpe der Polizei stellte.
Die Bundesanwaltschaft attestierte der Hauptangeklagten im 2013 begonnenen NSU-Prozess die Rolle der "Stallwache", die es möglich machte, dass ihre Gesinnungsgenossen die mutmaßlich gemeinsam geplanten Taten durchführen konnten. Dieser Darstellung widerspricht Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert am Dienstag zum Auftakt der mehrmals verschobenen Plädoyers der Verteidigung. Die Beweisführung der Ankläger sei einzig und allein dem Ziel untergeordnet gewesen, die von Böhnhardt und Mundlos begangenen Taten "als die auch von Beate Zschäpe begangenen Morde darzustellen".
Die "Charakterstärke" der Beate Zschäpe
Zschäpe hatte im Dezember 2015 ihr zweieinhalb Jahre durchgehaltenes Schweigen gebrochen. Der erst im Sommer desselben Jahres in den NSU-Prozess eingestiegene Borchert will seine Mandantin "mit Nachdruck" auf die Folgen einer Aussage hingewiesen haben. Niemand werde ihren Ausführungen glauben schenken, habe er ihr gesagt. Trotzdem habe Zschäpe darauf bestanden. "Einen solchen Schritt zu gehen, bedarf einer gewissen Charakterstärke", meint Borchert.
Sie habe sich gegen ihre Verteidiger gestellt und deren Strategie im wahrsten Sinne des Wortes "über den Haufen geworfen". Damit spielt Borchert auf Zschäpes Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an, die sie seit Prozessbeginn vertreten und ihr zum Schweigen geraten hatten. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Trio und seiner Mandantin ist spätestens seit Zschäpes Sinneswandel endgültig zerrüttet.
Der Wahlverteidiger wirft den Anklägern Ignoranz vor
Borcherts Strategie besteht darin, jegliche Beteiligung der 43-Jährigen an der zwischen 2000 und 2007 verübten Mordserie zu bestreiten. Die Opfer waren neun Männer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Zschäpe habe aber nicht bestritten, die Raubüberfälle ihrer Freunde akzeptiert, von der Beute gelebt und schließlich das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße angezündet zu haben. Dort hatte sie jahrelang unbehelligt mit Böhnhardt und Mundlos gelebt.
Von den Morden will die Hauptangeklagte stets erst im Nachhinein erfahren haben. Ihr Wahlverteidiger Borchert zitiert aus ihrer 2015 schriftlich verlesenen Aussage: "Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindert habe. Ich fühle mich moralisch schuldig, dass bei 15 Raubüberfällen die Betroffenen Schaden genommen haben." Dass die Bundesanwaltschaft diese Erklärung ignoriert habe, zeige überdeutlich, "mit welchen Maßstäben Indizien gewertet werden".
Die Angeklagte, "lieb, nett, sympathisch"
Borchert lässt kein gutes Haar an der Bundesanwaltschaft. "Einseitig" und "mangelhaft" sei die Beweisführung gewesen. Die Ernsthaftigkeit ihrer Plädoyers müsse ernsthaft in Zweifel gezogen, wenn behauptet werde, Zschäpe habe über Böhnhardt und Mundlos Macht ausgeübt. Kein Zeuge habe am Privatleben der drei teilgenommen. Die Bundesanwaltschaft berufe sich auf Zeugen, deren Aussagen sich auf die Zeit vor 1998 bezögen. Beispielhaft erwähnt Borchert Zschäpes Cousin Stefan A., der die mutmaßliche Rechtsterroristin im NSU-Prozess als "lieb, nett, sympathisch" beschrieben hatte.
Ihr Verteidiger schildert sie zwar als "selbstbewusst", ihren viel dominanteren Freunden habe sie im Untergrund aber nichts entgegenzusetzen gehabt. Deren Taten hätten sie "abgestoßen", trotzdem habe sich Zschäpe zu Böhnhardt hingezogen gefühlt und keine Chance für eine Rückkehr in ein bürgerliches Leben gesehen. Borchert knüpft mit seiner Darstellung an die von ihm und seinem Kollegen Mathias Grasel formulierte Aussage ihrer Mandantin im Dezember 2015. Die beiden Verteidiger werden ihr Plädoyer wohl spätestens am Donnerstag beenden.
Die Plädoyers sind noch lange nicht zu Ende
Anschließend ist eine Pause von einer Woche geplant, in der sich Zschäpes Alt-Verteidiger auf ihr Schlusswort vorbereiten. Danach sind die Plädoyers der vier Mitangeklagten vorgesehen. Ob die Urteile im NSU-Prozess noch vor der Sommerpause des Münchener Oberlandesgerichts im August gesprochen werden können, vermag trotzdem niemand zu prophezeien. Dafür hat es in diesem Strafverfahren mit inzwischen 419 Verhandlungstagen schon zu viele Überraschungen und Verzögerungen gegeben.