Steuer-Streit
28. April 2008Wenn Bundeskanzlerin Merkel am Dienstag (29.04.2008) zu ihrem Staatsbesuch in der Schweiz eintrifft, wird es um viel Lärm gehen. Fluglärm um genau zu sein. Die jahrelang schwelende Kontroverse um die über deutschem Gebiet verlaufende Anflugschneise für den Züricher Flughafen ist einer der Gesprächspunkte der Kanzlervisite bei den Eidgenossen. Aus Schweizer Sicht vielleicht der wichtigste. Denn der Ausbau des Züricher Airports ist durch die von Deutschland verfügten Flugbeschränkungen jenseits der Schweizer Grenze in Frage gestellt.
Agenda-Punkt: Verfolgung von Steuersündern
Bis vor zwei Monaten wäre das möglicherweise auch aus deutscher Sicht der einzige wirkliche Knackpunkt in einer Beziehung gewesen, die Bern und Berlin nicht müde werden als gut und freundschaftlich zu bezeichnen. Doch der Liechtensteiner-Steuerskandal, der im Februar bekannt wurde, hat ein weiteres Thema auf die Agenda gerückt: die Vorliebe einiger vermögender Deutscher, ihr Geld in Alpenländer zu verfrachten - und damit dem deutschen Fiskus zu entziehen. Neben Liechtenstein steht aus deutscher Sicht nun auch die Schweiz im Fokus, die mit dem Fürstentum offene Grenzen sowie eine Zoll- und Währungsunion unterhält.
Die Erkenntnisse über Gelder, die an der deutschen Steuer vorbei in Liechtensteiner Stiftungen angelegt wurden, haben bis jetzt zu hunderten Razzien der deutschen Behörden bei mutmaßlichen Steuersündern geführt. Ähnlich viele Personen hätten sich bislang selbst angezeigt. 40 bis 50 Millionen Euro sollen diese bereits nachgezahlt haben, berichtete die Süddeutsche Zeitung am Freitag unter Berufung auf die zuständige Staatsanwaltschaft in Bochum. Weitere Razzien seien für übernächste Woche geplant.
Neuer Ernst: Berlin entdeckt Kampf gegen Steuerbetrug
Die Bundeskanzlerin will nach Aussage von Regierungssprecher Ulrich Wilhelm bei ihrem Besuch in der Schweiz den Steuer-Streit ansprechen. Doch Hoffnungen auf neue, konkrete Schritte im gemeinsamen Kampf gegen den Steuerbetrug sind wohl fehl am Platz. Nicht nur das vielzitierte Bankgeheimnis der Eidgenossen beschränkt die Menge an Informationen über Bankkunden, auf die Behörden in der Schweiz oder gar der EU zugreifen können. Im Gegensatz zu Deutschland und anderen EU-Staaten behandelt die Schweiz Steuerhinterziehung nicht als Straftat, die eine Aufhebung des Bankgeheimnisses nach sich ziehen könnte.
Aber auch in Deutschland scheint man erst im Zuge der Liechtensteiner Affäre grenzüberschreitende Steuervergehen als Top-Thema entdeckt zu haben: 1988 führte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein Abkommen zur grenzüberschreitenden Verfolgung von Steuersündern ein. Berlin unterzeichnete erst vor zehn Tagen. Dabei scheint der Bereich, den diese Konvention abdeckt, ungleich gewichtiger.
Mehr EU-Kooperation
Mehrwertsteuerbetrug innerhalb der EU führt nach Schätzungen zu Steuerausfällen in zweistelliger Milliardenhöhe: Händler verkaufen Güter, kassieren die fällige Mehrwertsteuer, aber verlassen das Land ohne den Steuerbetrag an die in dem Land zuständigen Behörden weiterzuleiten. Nach dem "Karussell-Prinzip", kann die Masche in einem anderen Land der Union erneut abgezogen werden. "Hier könnte bessere Kooperation zwischen den Steuerbehörden der einzelnen Länder viel bewegen", sagt Peter Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie auf EU-Ebene stellte der EU-Steuerkommissar erst Mitte März vor. Nur in diesem Kontext mache eine erweiterte Kooperation mit der Schweiz gegen den Steuerbetrug Sinn, so Becker. "Die Schweiz kann sich entspannen. Hier muss die EU erst einmal innerhalb der eigenen Grenzen einen Konsens finden."
Schweizer Kapital wichtig für Europa
Grundsätzlich ändern könne eine stärkere Zusammenarbeit dieser Art kaum etwas, meint dagegen Ralf Thesing vom Bund der Steuerzahler in Deutschland: "In der Bundesrepublik hat [die Kontrolle im Rahmen des] Steuerrecht das Bankgeheimnis de facto ausgehebelt." Wenn es die Schweiz genauso machen würde, könnten zwar mehr Informationen mit Behörden im Ausland ausgetauscht werden. "Doch diese Kontrollflut verdrängt das Geld."
Das sieht auch Peter Becker als ein grundsätzliches Problem. Die EU könne kein Interesse daran haben, die Schweiz für internationales Kapital weniger attraktiv zu machen, indem sie auf einen stark kontrollierten Bankensektor dränge. "Die Schweizer integrieren sich zunehmend in den EU-Binnenmarkt", sagt er. Mittelbar arbeite damit das Kapital in Schweizer Banken auch für Europa.