Von auto- bis symbiosexuell: Wer wir sind und wie wir lieben
Veröffentlicht 24. Juli 2019Zuletzt aktualisiert 3. September 2024Ich geb's zu: Mich irritiert die Kategorisierungswut, wenn es um die sexuelle Orientierung von Menschen geht. Sorgen die vielen kleinen, engen Schubladen nicht eher für eine Betonung der Andersartigkeit, als dafür, dass alle Lebens- und Liebesweisen Normalität werden?
Forschende hingegen sagen, dass Sprache und Bewusstsein eng zusammenhängen: Wenn wir ein Wort für etwas haben, können uns Gefühle und Erfahrungen bewusster und damit relevanter werden. Deshalb sei die Untersuchung bisher unbeachteter Sexualitäten wichtig. Okay, los geht's.
Wer bin ich? Cis, trans oder inter?
Wer mit eindeutig weiblichen oder männlichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt kommt und sich auch in den folgenden Lebensjahren mit diesem Geburtsgeschlecht identifiziert, darf sich "Cis-Frau" oder "Cis-Mann" nennen.
"Cis" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "diesseits". Analog dazu bezeichnet "trans" (jenseits) die Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren.
Intersexuelle wiederum kommen sowohl mit männlichen als auch weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt und können sich keinem der beiden Geschlechter eindeutig zuordnen. Seit Ende 2018 kann in Deutschland neben "männlich" und "weiblich" auch "divers" als dritte Geschlechtsoption im Geburtenregister eingetragen werden.
Wen mag ich? Hetero, homo, bi und pan
Cis-, Trans- und Intersexualität beschreiben einen Teil der Identität eines Menschen, sagen aber noch gar nichts darüber, wen eine Person liebt oder als Sexualpartner bevorzugt. Der heterosexuelle Mann steht auf Frauen. Die homosexuelle Frau auch. So weit, so übersichtlich.
Doch schon bei der Bisexualität wird es komplizierter. Grundsätzlich fühlen sich Bisexuelle zu beiden Geschlechtern hingezogen. Aber nicht unbedingt gleich stark. Deutlich macht das die Kinsey-Skala, eine Darstellung der sexuellen Orientierung des Menschen und Erfindung des Sexualforschers Alfred Charles Kinsey.
Zwischen "ausschließlich heterosexuell" und "ausschließlich homosexuell" existieren laut der Skala noch einige Schattierungen. Kinsey hat diese Abstufungen im Jahr 1948 alle unter dem Begriff der Bisexualität zusammengefasst.
Heute würde er wahrscheinlich eher von "Pansexualität" sprechen. Während Bisexuelle in Mann-Frau-Kategorien denken, weiten Pansexuelle den Kreis potentieller Geschlechts- und Lebenspartner auf das "diverse" Geschlecht aus.
Bisexuelle (und wahrscheinlich auch pansexuelle) Menschen müssen sich häufig anhören, sie wollten sich nicht binden und mit möglichst vielen Menschen ins Bett. Das ist in etwa so wahr wie die Annahme, Heterosexuelle seien generell monogam.
Ob jemand monogam oder polygam lebt, sich also auf einen Sexualpartner beschränkt oder mehrere Eisen im Feuer hat, steht wiederum auf einem anderen Blatt. Nachgezählt hat vermutlich noch niemand, aber polygame Cis-Heteros dürfte es ebenso geben wie monogame Trans-Bisexuelle.
Worauf stehe ich? Eine Auswahl
Egal, worauf wir genau stehen, unsere Lust fokussiert sich meist auf ein oder mehrere Individuen. Doch das muss nicht so sein. Beginnen wir deshalb mit einer kaum bekannten und bisher wenig beachteten Form der Sexualität.
Symbiosexuell
Symbiosexuelle Menschen finden Paare attraktiv. In Abgrenzung zu polyamoren Menschen fühlen sie sich explizit von der Dynamik und der Energie angezogen, die zwischen zwei (oder mehreren) Menschen in einer Beziehung spürbar ist. Es sind also weniger die Individuen, die anziehen, als deren Beziehung.
Demisexuell
Sexuelle Lust ist nicht spürbar, wenn nicht auch eine emotionale Verbindung zu der Person besteht. Auch das hat einen Namen: demisexuell. Demisexualität mag das Online-Dating ad absurdum führen, dürfte dafür aber relativ zuverlässig vor miesen One-Night-Stands schützen.
Sapiosexuell
Durchtrainierter Körper, strahlendes Lachen und schöne Augen reichen nicht, um den Sapiosexuellen umzuhauen. Erotisch sind in erster Linie kluge Gespräche und das geistige Niveau des Gegenübers. Ziemlich sinnvoll für alle, die gerne auf allen Ebenen stimuliert werden möchten.
Autosexuell
Sigmund Freud prägte diesen Überbegriff für alle Formen der sexuellen Selbstbefriedigung. Autosexualität bedeutet aber auch, dass jemand in sich selbst verliebt ist. Betroffene berichten von Schmetterlingen im Bauch, sobald sie sich selbst im Spiegel sehen. Wir lassen das mal so stehen und einigen uns darauf, dass eine (gesunde) Selbstliebe bestimmt nicht schadet.
Asexuell
Asexuelle Menschen haben kein Bedürfnis nach Sex. Nicht, weil sie sexuelle Interaktionen grundsätzlich eklig finden oder verklemmt sind. Anders als beim Zölibat oder anderen Formen der Enthaltsamkeit ist Asexualität keine bewusste Entscheidung, sondern eher eine sexuelle Orientierung. Nur ohne Sex.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 26.07.2019 geschrieben und am 03.09.2024 überarbeitet und um den Abschnitt "Symbiosexuell" ergänzt.