Die Wahrheit über unsere Lebensmittel
17. Mai 2018Wer sich nicht gut fühlt, gibt schnell dem Essen die Schuld, sagt Martijn Katan. "Wir alle essen, mindestens drei Mal am Tag. Jeder, der etwas Unangenehmes spürt, kann immer sagen: Das muss vom Essen kommen." Umgekehrt gibt es hunderte Theorien, welche Art der Ernährung die Beste ist und vor Krankheiten und Allergien schützt. Von Superfoods über die besten Diäten bis hin zu den angeblich größten Gefahren im Supermarkt - Martijn Katan hat die kursierenden Schreckensmeldungen und Hypes rund ums Essen unter die Lupe genommen:
Mythos Nr. 1: Bio-Lebensmittel sind gesünder als konventionell hergestellte Lebensmittel
Die Bio-Landwirtschaft ist beispielsweise für den Boden sehr wertvoll. Aber leider sind Bio-Produkte nicht gesünder als die aus der konventionellen Landwirtschaft. Die Menge an Pestiziden in Lebensmitteln etwa ist generell so winzig, dass sie keine Rolle spielt. Bio-Gemüse enthält zwar weniger Nitrat als Nicht-Bio-Gemüse - aber ob das ein Vorteil ist, ist noch nicht klar. Früher dachte man, dass Nitrat im Körper zu Nitrit und Nitrosaminen reagieren kann und daher krebserregend ist. Heute weiß man: das stimmt nicht. Möglicherweise senkt Nitrat sogar den Blutdruck, ist also vielleicht gar nicht so schlecht.
Gründe, die Biolandwirtschaft zu unterstützen, gibt es dennoch genug. Bio-Landwirte benutzen in der Viehzucht beispielsweise weniger Antibiotika als die konventionellen Bauern. Ein Überangebot an Antibiotika führt zur Entstehung von resistenten Bakterien, die uns allen gefährlich werden können.
Mythos Nr. 2: Rohkost ist am gesündesten, weil beim Kochen viele Nähstoffe verloren gehen.
Gemüse ist nicht reich an vielen Nährstoffen. Es enthält allerdings viel Vitamin C und Folsäure. Der Vitamin-C-Gehalt verringert sich beim Kochen, aber das macht nichts: Vitamin-C-Mangel ist in unserer Gesellschaft kein Thema mehr.
Das Kochen von Gemüse hat hingegen Vorteile: Gekochtes Gemüse ist kompakter, man kann daher mehr davon essen. Und beim Kochen werden mögliche Keime vernichtet, zum Beispiel E.coli O157-Bakterien, die in den USA derzeit Probleme machen bei rohem Gemüse und Salat.
Mythos Nr. 3: Kuhmilch ist ungesund und Auslöser für viele Allergien
Das Milchfett ist tatsächlich nicht gesund: Es erhöht das Cholesterin im Blut und damit das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Man sollte daher zu Milch und Milchprodukten mit verringertem Fettgehalt greifen. Die enthalten nichts Schlechtes, sondern viel Gutes: Vitamin B12, Jod, Kalium, Zink, und einige B-Vitamine. Milch ist auch eine gute Eiweißquelle für Vegetarier.
Ein bis zwei Prozent der Kleinkinder sind tatsächlich allergisch gegen das Milcheiweiß, aber das geht meist von selbst wieder vorbei, wenn sie größer werden. Und ja, der Milchzucker wird von Menschen aus Afrika, Asien und Südeuropa manchmal schlecht vertragen - aber das macht sich meist nur bemerkbar, wenn sie große Mengen Milch trinken.
Einen Nachteil hat Milch allerdings doch: Bei Männern fördert sie in geringem Maße vermutlich die Entstehung von Prostatakrebs. Allerdings gibt es noch stärkere Hinweise darauf, dass Milch Darmkrebs etwas hemmt.
Mythos Nr. 4: Wer abnehmen will, darf keine Kohlenhydrate essen: Die lassen den Blutzuckerspiegel ansteigen, verursachen die Ausschüttung von Insulin - und das hemmt die Fettverbrennung.
Jede Diät wirkt, egal ob man weniger Kohlenhydrate isst oder weniger Fett oder auch einfach weniger Lebensmittel, deren Namen mit den Buchstaben A bis L anfangen. Bei einer Diät isst man weniger, weil man nicht essen darf, was man spontan essen will. Und alles, was unsere Routine unterbricht, senkt unsere normale Kalorieneinnahme.
In drei Milliarden Jahren Leben hat sich der Mensch völlig darauf spezialisiert, keine Kalorien zu verlieren. Was in den Mund reingeht, wird entweder benutzt, um es in den Muskeln zu verbrennen, oder es wird eingelagert.
Nichts davon wird weggeworfen, ob das nun Kohlenhydrate oder Eiweiße oder Fette sind. Das Ganze ist wie ein Sparkonto: Es macht keinen Unterschied, auf welcher Bank ich Geld einzahle, sondern es kommt nur darauf an, wie viel. Alles landet auf meinem Sparkonto - oder eben im Bauch.
Mythos Nr. 5: Weizen sollte man generell meiden, er ist schlecht für die Gesundheit.
Es gibt Menschen, die kein Gluten vertragen und von diesen Weizenproteinen sehr krank werden. Das heißt Zöliakie, eine ernste Krankheit, die etwa 1 bis 5 Menschen von 1000 trifft. Die meisten Menschen aber haben kein Problem mit Weizen.
Trotzdem hat sich die Idee verbreitet, dass der Weizen für viele unserer Gesundheitsprobleme verantwortlich sei. Denn Gesundheitsprobleme haben wir natürlich alle: Wir haben Schmerzen, sind müde, schlaff, depressiv. Millionen Frauen leiden am Reizdarmsyndrom, ein Leiden, das sehr empfänglich ist für Placebo-Effekte. Weizen wird dann schnell zum angeblichen Übeltäter. Aber es gibt so gut wie keine Beweise, dass wirklich etwas im Weizen ist, was eine große Mengen von Leuten krank macht.
Mythos Nr. 6: Vitamin C beugt Erkältungen vor. Besser zu viel als zu wenig schlucken!
Diese Theorie wurde ausführlich getestet. Mit dem Ergebnis: Vitamin C schützt nicht vor Erkältungen. Wenn man vor der Erkältung jeden Tag eine große Menge Vitamin C schluckt, dann dauert die nächste Erkältung nicht 5 Tage, sondern 4,5 Tage. Aber dafür müsste man jeden Tag 1000 mg Vitamin C schlucken. Das ist sicherlich nicht gesund. In zwei großen Studien hat sich gezeigt, dass viel Vitamin C Nierensteine verursachen kann. Denn Vitamin C wird teilweise in Oxalat umgesetzt, einem Bestandteil von Nierensteinen. Man kann nicht ungestraft große Mengen von Vitaminen schlucken.
Mythos Nr. 7: Zucker verursacht ADHS bei Kindern
Diese Theorie entstand in den USA vor 50 Jahren - aber es hat sich gezeigt, dass das nicht stimmt. Später gab es die Theorie, dass nicht Zucker, sondern künstliche Farbstoffe ADHS auslösen. Die Beweise dafür sind nicht sehr stark. Es könnte zwar sein, dass eine kleine Zahl von Kinder davon hyperaktiv wird, aber die größte Zahl von Kindern, die sind eben einfach Kinder: Die sind sehr aktiv, und in unserer Gesellschaft gibt es dafür immer weniger Raum. Wenn die Kinder auf einem Bauernhof leben, dann können sie so hyperaktiv sein, wie sie wollen, und das schadet keinem.
Und wovor müssen wir uns nun wirklich in Acht nehmen?
Die wirklichen Gefahren sind Rauchen, Alkohol und Übergewicht. Was die Nahrungsmittel in Industrienationen wie Deutschland angeht, ist das größte Problem, dass es zu viel gibt. Und Übergewicht verursacht viele Krankheiten - auch Krebs.
Martijn Katan ist emeritierter Professor für Ernährungswissenschaften an der Freien Universität (Vrije Universiteit) in Amsterdam, Niederlande. Er schreibt als Kolumnist für die niederländisch Tageszeitung NRC Handelsblad und ist Autor des Buches: "Warum Brot uns nicht schadet und Mikrowellen keine Vitamine zerstören".
Das Gespräch führte Brigitte Osterath.