Wadim Krassikow - Putins Trumpf im Gefangenenaustausch
2. August 2024Er war der erste, der in Moskau aus dem Flugzeug stieg - und Russlands Präsident Wladimir Putin umarmte ihn: Der in Deutschland als "Tiergartenmörder" bekanntgewordene Wadim Krassikow. Er stand auf der Liste der russischen Staatsbürger, die im Westen wegen Verbrechen zu verschiedenen Haftstrafen verurteilt wurden und im Zuge des jüngsten Gefangenenaustauschs freigekommen sind.
Krassikow verbüßte seine Strafe in einem deutschen Gefängnis - und er ist ein besonderer Fall. Eine Sache sind Spione, Verräter, Doppelagenten oder Wirtschaftskriminelle, die man in der Vergangenheit zwischen Moskau und dem Westen mehr als einmal ausgetauscht hat. Krassikow aber ist ein Mörder, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Präsident Wladimir Putin persönlich hat wiederholt deutlich gemacht, dass der Kreml an der Rückkehr dieser Person nach Russland interessiert ist. So sprach er Anfang Februar 2024 in einem Interview mit dem US-amerikanischen Journalisten Tucker Carlson von einem Mann, der "aus patriotischer Überzeugung einen Banditen in einer europäischen Hauptstadt eliminiert hat".
Einen Monat später sagte Putin bei einer Pressekonferenz nach den Präsidentschaftswahlen in Russland, er sei bereit gewesen, den in russischer Haft verstorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny auszutauschen gegen "gewisse Leute, die in westlichen Ländern im Gefängnis sitzen". Putin sprach zwar im Plural, aber offenbar war Wadim Krassikow gemeint. Wer ist dieser Mann?
"Tiergartenmord" mitten in Berlin
Krassikow verübte am 23. August 2019 mitten in Berlin - im Kleinen Tiergarten im Hauptstadtbezirk Moabit - einen Mord. Sein Opfer war ein ehemaliger tschetschenischer Feldkommandeur, der georgische Staatsbürger Selimchan Changoschwili. Russland hatte ihn zuvor wegen Terrorismusvorwürfen auf die Fahndungsliste gesetzt. Changoschwili war nach Deutschland gereist, nachdem 2015 in Georgien ein Anschlag auf ihn verübt worden war.
Am helllichten Tag näherte sich vor den Augen vieler Menschen ein Mann auf einem Fahrrad von hinten dem Tschetschenen, zückte eine Pistole mit Schalldämpfer und schoss dreimal auf ihn. Zeugen konnten eine Flucht des Mörders verhindern. Sie zeigten der Polizei den Mann, der in der Nähe im Gebüsch am Spreeufer ein Fahrrad ins Wasser warf, sich umzog und eine Perücke vom Kopf nahm. Bei der Festnahme wurden bei ihm ein russischer Reisepass auf den Namen Wadim Sokolow mit einem von der französischen Botschaft in Russland ausgestellten Schengen-Visum sichergestellt, sowie eine Pistole, die noch neun von 15 Patronen enthielt.
Schwierige Ermittlungen, langer Prozess, klares Urteil
Die wahre Identität des Mörders stellten die deutsche Ermittler eher durch Zufall fest. In den Interpol-Archiven befindet sich ein Foto, das die russischen Behörden noch 2014 zur Verfügung gestellt hatten, als sie ihre ausländischen Kollegen um Hilfe bei der Suche nach Wadim Krassikow baten. Damals wurde er in Russland verdächtigt, einen Geschäftsmann ermordet zu haben. Dieses Foto war der erste Faden, der es ermöglichte, das ganze Knäuel zu entwirren.
Unterdessen stellte sich bei journalistischen Recherchen heraus, dass vor der Ermordung Changoschwilis in Berlin weder im inländischen russischen Passregister noch in den Listen des Föderalen Steuerdienstes Russlands eine Person mit Angaben wie in dem Reisepass auf den Namen Sokolow existierte. In beiden Datenbanken waren sie nur wenige Wochen vor dem Mord in Berlin aufgetaucht. Einem Zeugen zufolge können nur Geheimdienste den Avatar einer nicht existierenden Person erstellen.
Der Prozess gegen Wadim Krassikow begann am 7. Oktober 2020 vor dem Berliner Kammergericht und dauerte 14 Monate. Das Urteil lautete lebenslange Haft und wurde am 15. Dezember 2021 verkündet. Das Gericht hielt es für erwiesen, dass Krassikow, wie von der Staatsanwaltschaft angeklagt, Selimchan Changoschwili auf Anweisung der russischen Behörden getötet hat.
Krassikow wird zum begehrten Austauschkandidaten
Nach der Urteilsverkündung teilte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit: "Dieser Mord in staatlichem Auftrag - wie vom Gericht heute festgestellt - stellt eine schwerwiegende Verletzung deutschen Rechts und der Souveränität Deutschlands dar." In diesem Zusammenhang erklärte die Bundesregierung zwei Diplomaten der russischen Botschaft in Deutschland zu unerwünschten Personen.
Doch bereits sechs Monate nach der Urteilsverkündung, im Juli 2022, tauchten in der US-amerikanischen Presse Informationen auf, wonach Russland die Einbeziehung Krassikows in einen Austausch für in Russland inhaftierte US-Bürgerinnen und -Bürger forderte. Damals ging es um die Basketballspielerin Brittney Griner, die später gegen den russischen Staatsbürger Wiktor But ausgetauscht wurde, der in den USA wegen Waffenhandels eine Haftstrafe verbüßte.
Der Name Wadim Krassikow fiel auch im Zusammenhang mit Versuchen, den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny aus dem Gefängnis herauszuholen. "Nawalny hätte in wenigen Tagen freikommen sollen, weil wir eine Entscheidung über seinen Austausch erreicht hatten. Anfang Februar wurde Putin angeboten, den Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Wadim Krassikow, der in Berlin eine Haftstrafe wegen Mordes verbüßt, gegen zwei US-Bürger und Alexej Nawalny auszutauschen", sagte Maria Pewtschich von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung (FBK) kurz nach dem Tod des Putin-Kritikers.
Entscheidende Regelung im deutschen Strafrecht
Vielen in Deutschland erschien das Gerede über einen möglichen Austausch Krassikows gegen einen Gefangenen in Russland als reine Fantasie. Gerade weil es nicht um einen Spion oder Verräter ging, sondern um einen Mörder, dessen Schuld bewiesen war. Zudem sah das Urteil des deutschen Gerichts aufgrund der besonderen Schwere des Verbrechens keine Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung vor.
Die Strafprozessordnung der Bundesrepublik Deutschland erlaubt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen die Freilassung eines von einem deutschen Gericht verurteilten Straftäters aus der Haft, unabhängig von der Tat und der Strafe. In Paragraph 456a StPO heißt es: "Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe (...) absehen, wenn der Verurteilte (...) aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird."
Ernüchterung bei der Bundesanwaltschaft
Das heißt, wenn gemäß dem Aufenthaltsrecht für Ausländer in Deutschland die Abschiebung einer verurteilten Person beschlossen wird, kann die Vollstreckungsbehörde die Strafe ohne weitere gerichtliche Entscheidung in dieser Hinsicht ablehnen. Und die Vollstreckungsbehörde ist in diesem Fall der Generalbundesanwalt, der als politischer Beamter verpflichtet ist, behördliche Anordnungen auszuführen. Genau dies ist das Verfahren, das auch in der Vergangenheit in Deutschland beim Austausch von Spionen angewendet wurde.
In diesem Fall herrsche in der Bundesanwaltschaft jedoch, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) am Donnerstagabend berichtete, "Ernüchterung" darüber, wie die Anweisung von Justizminister Marco Buschmann ausgefallen sei. Sie sei zwar rechtmäßig, das Verständnis für sie trotzdem "gering". "Ausgerechnet in einem Fall, in dem es um einen verurteilten Mörder gehe, nicht um Spione, habe sich 'die Macht' durchgesetzt. Die Entscheidung verliere die Angehörigen des Ermordeten aus dem Blick. Gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin zeige man sich zu nachgiebig", so die FAZ über die Stimmung in der Bundesanwaltschaft.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk