Tiefschläge und Herausforderungen
24. September 2017Für die faustdicke Überraschung des Abends sorgte der unbekannte Wähler. Erneut strafte er die Demoskopen ab. Die Experten für politische Stimmungen hatten Angela Merkel stets knapp an der 40-Prozent-Grenze verortet, am Ende wurde es das schlechteste Wahlergebnis für die Union seit 1949. Da klang es fast schon trotzig, als die Bundeskanzlerin in ihrer ersten Reaktion feststellte, dass "gegen uns keine Regierung gebildet werden" könne.
Die SPD will in die Opposition
Die Union verliert vor allem an die FDP Stimmen, auch an die AfD wandern ehemalige Unions-Wähler ab. Gleichzeitig konnten CDU/CSU kaum Jungwähler mobilisieren.
Maßgeblichen Einfluss auf den Absturz der Union hatte das katastrophale Ergebnis der CSU in Bayern, die deutlich über zehn Prozent Verluste eingefahren hat im Vergleich zu 2013. CSU-Chef Horst Seehofer kündigte schon früh am Abend einen klaren Rechtsruck seiner Partei an. Die CSU steht 2018 vor Landtagswahlen.
Der erneute Wähler-Tiefschlag für die SPD beraubt Angela Merkel einer Koalitionsmöglichkeit. Schon knapp nach der ersten Hochrechnung verkündeten führende SPD-Mitglieder ihren Abschied von der Großen Koalition.
Jamaika ante portas
Rechnerisch bleibt die Jamaika-Koalition, ein Dreierbündnis aus Union, FDP und Grünen. Im Bund wäre diese Farbenkonstellation eine Premiere. Schon jetzt steht fest: die Verhandlungen werden schwierig und langwierig werden. FDP und Grüne sind sich seit langem schon in gegenseitiger Abneigung verbunden. Hilfreich könnte das Vorbild des Jamaika-Bündnisses in Schleswig-Holstein sein, das seit Juni das kleine Bundesland regiert. Auf der Grünen-Wahlparty wurden die Gäste schon mal mit Reggae-Musik unterhalten.
Das neue Parlament besteht erstmals seit mehr als sechs Jahrzehnten wieder aus sechs Fraktionsgemeinschaften. Die beiden Großen, Union und SPD, haben kräftig verloren, die vier anderen Parteien dürfen sich jeweils als Sieger fühlen, denn alle legten zu. Am kräftigsten die AfD, die mit 12,6 Prozent die drittstärkste Kraft im Bundestag stellen wird. Klar zweistellig auch das Votum für die Liberalen, die vier Jahre Bundestagsabstinenz hinter sich hat. Sie erreichten 10,7 Prozent. Die Linke erreicht mit über neun Prozent ihr Wahlziel und legt 0,5 Prozent zu, die Grünen gewannen mit 8,9 Prozent genauso viel hinzu. Doch alle drei kleineren Parteien landeten deutlich hinter der AfD.
Der Frust über die GroKo
In der Summe haben Union und SPD über 13 Prozent Verlust eingefahren. Bei über 76 Prozent Wahlbeteiligung - knapp fünf Prozent mehr als vor vier Jahren - ist das eine herbe Abmahnung des Wählers. Die Zeiten, in denen die beiden großen Parteien der Mitte die politischen Geschicke des Landes alleine dirigierten, sind offensichtlich vorbei. Große Koalitionen stärken die politischen Ränder, der AfD-Erfolg bestätigt das. Noch 1987 entfielen auf Union und SPD 81 Prozent der Stimmen, 2017 sind es gerade noch knapp 54 Prozent.
In ersten Analysen wird vor allem der SPD der Vorwurf gemacht, nichts gegen Merkel durchgesetzt zu haben. Im Übrigen sei sie weitgehend ohne Profil. Große Koalitionen sind den Sozialdemokraten in der Juniorrolle noch nie gut bekommen, entsprechend schnell signalisierten führende SPD-Politiker den Rückzug der Partei in die Opposition.
Die Abstrafung der schwarz-roten Koalition zeigt trotz brummender Wirtschaft und niedrigen Arbeitslosenzahlen eine große Unzufriedenheit mit anderen Politikfeldern. Der weitere Kurs in der Flüchtlingsfrage ist ebenso ein Grund für die Unzufriedenheit wie die offene Rentenpolitik.
Herausforderung AfD
Nach dem Einzug in fast alle Länder-Parlamente sitzt die AfD nun auch im Bundestag. In Ostdeutschland ist die AfD mit mehr als 21 Prozent sogar zur zweitstärksten Partei aufgestiegen. Bei ostdeutschen Männern ist sie sogar die Nummer eins. Nicht nur das, sie wird aus dem Stand heraus drittstärkste Kraft im Bundestag. Rund 60 Prozent der AfD-Wähler geben an, aus Protest gegen die anderen Parteien ihr Kreuz bei der AfD gesetzt zu haben. Überzeugte AfD-Wähler sind dementsprechend in der Minderheit. Spitzenkandidat Alexander Gauland kündigte an, die neue Regierung Merkel „jagen" zu wollen.