Warum Meta ausgerechnet jetzt russische Propaganda verbannt
19. September 2024Für Nutzerinnen und Nutzer in Europa bleibt alles beim Alten, wenn sie bei Instagram, Facebook oder Threads durch ihre Timelines scrollen. In anderen Erdteilen ist seit Dienstag etwas anders: Zwischen Memes, Tiervideos und Urlaubsfotos aus dem Freundeskreis tauchen zwar weiterhin auch Beiträge von Medienkonzernen auf, darunter sind aber keine Posts und Links mehr zu Inhalten des russischen Staatssenders RT, der Agentur Rossiya Segodnya und verwandter Marken.
Denn der Dachkonzern Meta, zu dem neben den bereits genannten Plattformen auch der Messenger WhatsApp gehört, hat den Propagandaorganen nun weltweit komplett den Stecker gezogen. Der Konzern hatte die Reichweite der Plattformen bereits kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs im Frühjahr 2022 gedrosselt und Zugriffe etwa aus der EU und Großbritannien nach entsprechender Aufforderung gesperrt.
"Nach sorgfältiger Überlegung haben wir unsere andauernde Durchsetzung gegen staatliche russische Medien ausgeweitet: Rossiya Segodnya, RT und andere verwandte Organisationen sind wegen der Einmischung in auswärtige Angelegenheiten weltweit aus unseren Apps verbannt", teilte der Konzern mit.
In den öffentlich einsehbaren Facebook-Gemeinschaftsstandards wird "Einflussnahme aus dem Ausland" explizit untersagt. Konkrete Fragen nach dem Zeitpunkt und ob der Schritt im Zusammenhang mit den Sanktionen oder den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA steht, wollte Meta auf DW-Anfrage nicht beantworten.
Russlands Propaganda zur Beeinflussung von Wahlen
Andre Wolf vom österreichischen Internetaufklärungs-Verein Mimikama hat eine eindeutige Meinung, weshalb der US-Konzern ausgerechnet jetzt tätig wurde: "Wir stehen ein paar Wochen vor den US-Wahlen, das ist der ausschlaggebende Punkt. Und deswegen ist der Schritt jetzt gegangen worden, damit eben Russland sich nicht einmischen kann", sagt Wolf im Gespräch mit der DW.
Bereits am Wochenende hatte die US-Regierung ihre Sanktionen gegen das russische Propaganda-Netzwerk um den Sender RT verschärft. Der Schritt wurde zwar mit Hinweisen begründet, wonach RT gemeinsam mit den russischen Geheimdiensten die für Oktober angesetzte Präsidentschaftswahl im EU-Beitrittskandidatenland Moldau im Sinne des Kreml manipulieren wolle. Zuvor hatte das Weiße Haus jedoch auch vor russischer Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl im November gewarnt.
Derzeit befragt der Washingtoner Senat dazu hochrangige Vertreter großer US-Konzerne - darunter Meta-Chefsprecher Nick Clegg. Aus Sicht von Felix Kartte, der als Fellow der Mercator-Stiftung zu Plattform-Regulierung forscht, hat Meta diesen Termin in seine Zeitplanung einbezogen: "Damit kann man natürlich davon ausgehen, dass dieses Vorgehen gegen RT auch strategisch so platziert ist, dass Nick Clegg nicht mit leeren Händen kommt. Dass er auf konkrete Maßnahmen gegen russische Desinformation verweisen kann und seine Position in dieser Anhörung stärkt", sagt Kartte zur DW.
Meta als "die Guten unter den Schlimmen"?
Die großen Tech-Konzerne haben weltweit nicht gerade den besten Ruf, aber aus Sicht von Andre Wolf gibt sich Meta als "die Guten unter den Schlimmen": So wurde gegen Telegram-Gründer Pawel Durow Ende August in Paris ein Haftbefehl vollstreckt, weil ihm mangelnde Kooperation bei der Bekämpfung illegaler Inhalte vorgeworfen wird. In Brasilien hat ein Gericht den Kurznachrichtendienst X blockiert, nachdem dessen Chef Elon Musk nicht die geforderten Schritte gegen rechtsgerichtete Fake-News-Accounts eingeleitet hatte.
Meta, dessen älteste Marke Facebook schon seit 20 Jahren online ist, habe von allen den längsten Lernprozess hinter sich, meint Andre Wolf. "Dadurch, dass sie die ersten und größten waren, hat man ihnen immer genau auf die Finger geschaut", sagt der Mimikama-Sprecher. "Sie waren immer schon da, wenn es darum ging, etwas zu entwickeln, sei es Richtlinien gegen Hate Speech oder gegen Fake-News. Meta hat zuerst damit angefangen, Falschmeldungen zu markieren." Allerdings dürfe man nicht vergessen: Das privatwirtschaftliche Unternehmen habe weiter ein Interesse daran, emotionalisierende und polarisierende Inhalte zu verbreiten, mit denen Nutzer möglichst lange interagierten.
Felix Kartte, der bereits für die EU und die globale Non-Profit-Organisation Reset.Tech arbeitete, glaubt nicht, dass Meta es nötig habe, sich als seriösen Anbieter zu gerieren. Dieser Zug sei längst abgefahren - etwa als 2021 die frühere Facebook-Managerin Frances Haugen geheime interne Papiere leakte, die sich zum Beispiel mit negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Instagram-Nutzerinnen im Teenageralter beschäftigten. "Ich glaube wirklich, dass jetzt eine seriöse Außenwahrnehmung für Meta gerade nicht im Vordergrund steht", sagt Kartte. "Ich glaube, es geht eher darum, jetzt mögliche Vorstöße durch Gesetzgeber oder Behörden abzumildern und da ein bisschen guten Willen zu generieren."
RT & Co. nur die Spitze des Eisbergs
Hinzu kommt: Auch für Meta ist es schwer, Kreml-Propaganda wirksam aus seinen Kanälen zu verbannen. Russlands Propaganda-Apparat sei auf solche Takedowns vorbereitet, sagt Kartte: "Es ist schon seit Jahren zu beobachten, dass Russland immer weniger allein auf diese zentralen Propagandamedien wie RT setzt, sondern vielmehr eine dezentrale Propagandastrategie entwickelt hat. Es finanziert zum Beispiel Influencer, also vermeintlich normale Mitbürger, die einen YouTube-Kanal oder einen Telegram-Account betreiben, um unter dem Deckmantel des Bürgerjournalismus russische Propagandalinien in der Bevölkerung zu verbreiten ." Ein weiteres Mittel sind sogenannte Doppelgänger-Seiten - also täuschend echte Nachbildungen seriöser Medien-Webseiten, über die propagandistische Inhalte verbreitet werden.
Deshalb ist auch Andre Wolf von Mimikama der Ansicht, dass RT noch den harmlosesten Teil russischer Propaganda darstellt, weil hier der russische Einfluss bekannt sei. "Aber wenn ich auf Facebook eine Seite lese, die beispielsweise Gesundheit Jetzt heißt, und dort dauernd pro-russische Inhalte zwischen tollen Gesundheitstipps geteilt werden, erkenne ich nicht sofort den Propaganda-Hintergrund - das finde ich viel perfider", sagt Wolf.
Dagegen helfe keine Sperre, meint Wolf: "Da hilft nur das sogenannte Pre-Bunking, also dass ich Menschen aufkläre, wie Propaganda und Desinformation funktioniert."