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PolitikEuropa

Unruhestiftung durch russische Söldner?

Pavluk Bykowski | Mikhail Bushuev
31. Juli 2020

Anderthalb Wochen vor der Präsidentschaftswahl in Weißrussland wurden 33 Russen verhaftet. Der Vorwurf: Vorbereitung eines Terroranschlages. Viele Weißrussen finden diese Geschichte seltsam.

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Weißrusslands Präsident Lukaschenko leitet Sicherheitsratssitzung
Präsident Lukaschenko beruft eine Sondersitzung seines Sicherheitsrats einBild: picture-alliance/dpa/Tass/Belta/N. Petrov

Eine in vielerlei Hinsicht besondere Konfliktlinie zeichnet sich in diesen Tagen zwischen Russland und Weißrussland ab. Seit dem 29. Juli sitzen 33 russische Männer in der weißrussischen Hauptstadt Minsk in Haft. Der offizielle Vorwurf lautet: Vorbereitung eines Terroranschlags. Die Männer sollen zu der russischen Privatarmee "Gruppe Wagner" gehören und nach Weißrussland gekommen sein, um vor den Präsidentschaftswahlen die Lage in Weißrussland zu destabilisieren. Rund 200 weitere Mitglieder sollen sich in Belarus aufhalten. Die Wahlen sind für den 9. August geplant.

Russische "Wagner"-Söldner illegal, aber real

Mindestens die Hälfte der verhafteten Russen seien tatsächlich Mitglieder des russischen privaten Sicherheits- und Militärunternehmens, bekannt unter dem Namen "Gruppe Wagner", sagte Denis Korotkow, Investigativjournalist der russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" der DW. Korotkow, der in der Vergangenheit wegen seiner Recherchen über die "Wagner"-Truppe anonyme Morddrohungen bekam, behauptet, er könne dies nachweisen, nicht nur anhand der im weißrussischen Fernsehen gezeigten Pässe, sondern mit Hilfe anderer Dokumente, über die er verfüge.

Geleitet wird die "Gruppe Wagner" von einem ehemaligen Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU, Dmitrij Utkin, mit dem Spitznamen "Wagner". Spuren hat die "Gruppe Wagner" mit ihren Aktivitäten in der Ostukraine, in Syrien und in letzter Zeit auch in Libyen hinterlassen. Paramilitärs sind in Russland eigentlich verboten. Faktisch werden sie aber nicht nur geduldet, sondern staatlich gefördert. So gab es indirekte Hinweise darauf, dass die "Gruppe Wagner" vom russischen Verteidigungsministerium unterstützt wurde. Offiziell wird sowohl die Existenz der Söldner als auch jegliche Involvierung des Staates abgestritten.

Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin stecken die Köpfe zusammen
Verbündete oder Feinde? Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko und der russische Präsident Wladimir PutinBild: picture-alliance/dpa/S. Karpukhin

Angeblich fielen die Russen in einem Sanatorium bei Minsk auf, weil sie anders als russische Touristen "Militärkleidung" getragen und keinen Alkohol getrunken hätten, berichtete die staatliche weißrussische Nachrichtenagentur Belta. Darauf erklärte Dmitrij Peskow, der Sprecher des russischen Staatschefs Wladimir Putin, am nächsten Tag: "Auch in Russland gibt es eine riesige Anzahl weißrussischer Männer in ähnlicher Kleidung, die sich nicht typisch verhalten und keinen Alkohol trinken." Das bedeute nicht, dass sie gleich gegen die Gesetze verstoßen hätten, fügte Peskow hinzu.

Festnahme könnte Lukaschenkos Machterhalt nutzen

Doch warum wurden die Russen überhaupt festgenommen? Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko, seit 1994 an der Macht, erlebt nach Einschätzungen von Beobachtern seine größte politische Krise. Er will zum sechsten Mal wiedergewählt werden, aber offenbar sinkt seine Popularität. Unabhängige Umfragen, die dies belegen, gibt es im Land nicht, aber zu beobachten war, wie die oppositionellen Kandidaten unerwartet viel Zuspruch bekamen.

Bekannte Politiker wie Waleri Zepkalo und Viktor Babariko wurden aber nicht als Präsidentschaftskandidaten zugelassen. Die einzige noch verbliebene starke Oppositionskandidatin ist Swetlana Tichanowskaja, die Frau des inhaftierten oppositionellen Bloggers Sergej Tichanowskij, der ursprünglich selbst kandidieren wollte. Tichanowskij werde nun in der Söldner-Causa als Verdächtiger geführt, sagten Ermittler in Minsk.

Publikum mit weißen Luftballons und Landesfahnen bei einem Konzert zum Wahlkampf der Opposition in Minsk
Kundgebungskonzert in Minsk, von der Opposition organisiertBild: DW/A. Boguslawskaja

Der weißrussische Politologe Walerij Karbalewitsch meint, die Behörden würden Massendemos für Tichanowskaja mit Tausenden Menschen in Minsk und anderen Städten fürchten. Diese Welle hätten sie stoppen wollen. Nach den Festnahmen der russischen Söldner berief Lukaschenko eine Sondersitzung seines Sicherheitsrates angesichts eines drohenden Terroranschlags durch die Söldnergruppe ein. Er ordnete an, besonders auf die "Sicherheit bei Massenveranstaltungen inklusive Wahlveranstaltungen" zu achten. Mehrere weißrussische Politiker sagten der DW, dies würde weitere Einschränkungen für die Opposition bedeuten.

Tatsächlich präsentierte die Zentrale Wahlkommission neue Regeln für die Kandidaten im Wahlkampf. Wahlveranstaltungen müssen nun, ähnlich wie andere Demos, abgeriegelt werden. Die Teilnehmer müssen Metalldetektoren passieren und es wird eine größere Polizeipräsenz geben. Beobachter schließen nicht aus, Lukaschenko könnte, um seine Macht zu sichern, zu noch härteren Maßnahmen greifen, bis hin zur Verhängung des Notstandes.

Weißrussen zweifeln an der Söldner-Geschichte

Die Öffentlichkeit sei von der Geschichte mit den Söldnern nicht überzeugt, sagte der Direktor des weißrussischen Instituts für politische Studien, Andrej Kasakewitsch. Das habe in erster Linie mit dem Verlust des Vertrauens in die herrschende Politik und in die staatlichen Medien zu tun. "Wir sind es gewohnt, dass die Behörden oft, und jedes Mal in einem Wahljahr versuchen, die Gesellschaft zu manipulieren, indem sie eindeutig falsche Informationen verbreiten", sagte Kasakewitsch der DW. Man wisse auch nicht, warum sich die "Wagner"-Söldner in Weißrussland aufgehalten hätten.

Was will Lukaschenko außenpolitisch bezwecken?

Will Lukaschenko mit der Festnahme Putin ärgern, der eine Annäherung mit Weißrussland anstrebt, oder dem Westen signalisieren, gegenüber dem großen östlichen Nachbarn wachsam zu bleiben? In Weißrussland und Russland sind von Beobachtern unterschiedliche außenpolitische Interpretationen zu hören. Pjotr Petrowskij, Experte eines dem Lukaschenko-Regime nahestehenden politischen Think Tanks, der NGO "Belaja Rus", schrieb bei Facebook: "Nach der Wagner-Festnahme ist klar, wer die Herren so mancher alternativen Kandidaten sind." Mit anderen Worten, die weißrussischen oppositionellen Kandidaten seien nichts anderes als Marionetten des Kremls. Im Vorfeld der Wahlen hatte Lukaschenko mehrfach vor einem möglichen Umsturz gewarnt - vorbereitet von Leuten aus dem Ausland, die "an Provokationen teilnehmen" würden. Indirekt machte er Moskau verantwortlich.

Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja hält im Freien eine Rede
Die einzige verbliebene Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja Bild: DW/A. Boguslawskaja

Das "Spektakel" mit den Söldnern sei ausschließlich für den Westen bestimmt, da "man es dem heimischen Zuschauer nicht vorsetzen kann", schrieb die bekannte weißrussische Journalistin Irina Halyp für die "Nowaja Gaseta". Die Message für den Westen solle lauten: "Seht her! Die 'Gruppe Wagner' ist nahe Minsk! Die grünen Männchen kommen. Russland hat Weißrussland schon fast besetzt!" Daher solle man Lukaschenko im Kampf gegen den Kreml helfen, statt die Freilassung politischer Gefangener zu fordern und mit Sanktionen zu drohen. Auch Andrej Kasakewitsch meint, dass die weißrussischen Behörden nun die Unterdrückung der unabhängigen Kandidaten als Kampf gegen die Einmischung Russlands verkaufen würden. "Für viele Politiker im Westen könnte dies ein gewichtiges Argument werden", glaubt der Politologe.

Was machen die russischen Söldner in Weißrussland?

Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Mehrere Szenarien seien denkbar, so Denis Korotkow. Während der Corona-Pandemie könnte sich die Reiseroute der Söldner in die Konfliktgebiete geändert haben. Normalerweise würden die Männer nicht über Minsk Richtung Syrien oder Libyen fliegen, doch auszuschließen sei dies nicht. Auch andere unabhängige Investigativ-Reporter teilen diese Meinung.

Was den offiziell erhobenen Vorwurf der "Destabilisierung des Wahlkampfes" angeht, ist Korotkow skeptisch: "Das sind Maschinengewehrschützen, Handgranatenwerfer, Fahrer - also alles Infanterie, einfache Leute." Subversive Provokationen seien für diese Leute zu kompliziert. "So etwas haben sie bestimmt nicht gelernt", glaubt Korotkow.

Der russische Botschafter in Weißrussland erklärte am Abend des 30. Juli, die festgenommenen Männer seien Angestellte einer russischen Sicherheitsfirma, die ihren Anschlussflug im Flughafen Minsk verpasst hätten.