Wie Kisvárda ukrainischen Fußballern hilft
16. März 2022Kisvárda, eine Stadt mit 15.000 Einwohnern im Nordosten Ungarns ist ruhig, ländlich - und fußballverrückt. Und der hier ansässige Kisvárda FC ist aktuell das Überraschungsteam der ersten ungarischen Liga. Nach mehr als zwei Dritteln der Saison liegt der Klub auf dem dritten Tabellenplatz. Doch Momentan reagiert der Klub auch besonders sensibel auf das Weltgeschehen, denn die ukrainische Grenze ist nur 20 Autominuten entfernt.
Attila Révész, sportlicher Leiter, Eigentümer und Trainer von Kisvárda in Personalunion hat enge Verbindungen zur Ukraine. Fast ein Drittel der Spieler der ersten Mannschaft stammt aus dem von Russland angegriffenen Land. Und auch in den Jugendmannschaften sind fast die Hälfte der Spieler Ukrainer. Révész unterstützt außerdem eine Partner-Fußballakademie in der Ukraine.
Als der Krieg begann, war Révész klar, dass viele Spieler in der Ukraine kein Geld mehr bekommen würden. Deshalb startete er eine Aktion und rief zur Spende von nicht verderblichen Konsumgütern und vor allem zu Geldspenden auf, um die Betroffenen zu unterstützen. Bislang sind dadurch etwa 10.000 Euro zusammengekommen, die den Familien von mehr als 70 Fußballern zukommen sollen. Das Geld wird gesammelt und nach Prüfung der Bedürftigkeit der Familien durch ein Gremium im Klub verteilt.
Nur eine Notlösung
"Dieses Geld ist nur eine vorübergehende Hilfe, es wird die wirklichen Probleme nicht lösen. Es wird die Dinge nur ein bisschen besser und einfacher machen", sagte Révész der DW. "Aber für uns ist es der richtige Weg. Die wirkliche Hilfe ist, wenn wir Geldspenden bekommen, die wir weitergeben können." Das Geld könne den Familien auch helfen, sich in Sicherheit zu bringen und nach Ungarn "durchzuschlagen", glaubt Révész.
Er selbst befand sich in der westukrainischen Grenzregion Zakarpattia, als die russischen Truppen am 24. Februar ihre Invasion in der Ukraine starteten. Révész wandte sich sofort an die ungarische Profifußballer-Vereinigung mit der Bitte, dass diese sich an der Aktion beteiligen möge - was auch geschah. Die Organisation schrieb daraufhin einen Brief an alle Profivereine und forderte sie auf, sich zu beteiligen. Viele tun dies, indem sie die Familien der ukrainischen Spieler in ihren Teams mit Geld unterstützen oder Waren verschicken.
Für die ukrainischen Spieler von Kisvárda ist der Krieg verheerend. Stürmer-Star Anton Krawtschenko ist so erschüttert, dass er nicht mehr spielen kann. Seine Eltern leben in einer Region westlich von Donezk. Sie haben ihm gesagt, dass sie nicht umziehen werden und sogar bereit sind, dort zu sterben. Révész respektiert Krawtschenkos Situation und Entscheidung.
"Seine Eltern leben in der Region Dnipropetrovsk", sagt Révész. "Anfangs gab es dort keine Kämpfe, aber das hat sich in letzter Zeit geändert. Vielleicht müssen sie die Sache noch einmal überdenken, aber wir können ihn jetzt sowieso nicht mehr einsetzen." Der Stürmer sei krank geworden und zu sehr betroffen von dem, was passiert ist.
"Nur schwer in Worte zu fassen"
Torhüter Artem Odintsov ist ein weiterer der ukrainischen Spieler von Kisvárda. Seine Eltern und seine jüngere Schwester stecken in Donezk fest. "Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen soll", sagte Odintsov der DW. "Es ist sehr schwierig wenn man mit ihnen spricht und sie Tag und Nacht nur sagen: 'Uns geht es gut, wir sind vorsichtig.' Ja, das ist sehr schwierig."
Odintsov will trotz der furchtbaren Ereignisse stark bleiben und sich auf seinen Sport konzentrieren. "Die ersten Tage waren sehr schwierig", sagt der Torwart, "aber jetzt habe ich verstanden, dass dies mein Job ist. Ich habe nur diesen und muss mich während der zwei Stunden, die ich hier während eines Spiels verbringe, voll konzentrieren. Nach einem Spiel oder Training kann ich über andere Dinge nachdenken."
Hilfe hat "höchste Priorität"
Das Team von Kisvárda holt auch immer wieder Nachwuchsspieler und ihre Familien aus der Ukraine. Jüngst besuchten etwa 40 Jugendliche, die erst zwei Tage zuvor angekommen waren, ein Spiel der Drittligamannschaft von Kisvárda. Mittlerweile sind Hunderte von ukrainischen Jugendspielern in der Stadt angekommen.
Kisvárda ist beileibe kein finanzstarker Klub, so dass die Finanzierung der Hilfsmaßnahmen einen erheblichen Einfluss auf das Budget des Vereins hat. Für den sportlichen Leiter Révész ist dieser finanzielle Einsatz jedoch eine Selbstverständlichkeit. "Wir haben beschlossen, diese Maßnahme aus unserem eigenen Haushalt zu finanzieren. Und wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt Gedanken darüber machen, wie wir die Verluste ausgleichen können", sagt er.
Dies habe für den Klub aktuell "höchste Priorität", sagt Révész, "denn es ist wichtig, bedürftigen Menschen eine neue Chance zu geben." Und das beträfe viele der nach Kisvárda geflüchteten Menschen, deren Häuser bombardiert wurden. "Sie werden nicht mehr zurückkehren können, sie müssen ein neues Leben beginnen. Dies wird der Beginn einer neuen Ära für sie sein", sagt der sportliche Leiter von Kisvárda.
Aus dem Englischen adaptiert von Jörg Strohschein