Wie kommt die Deutsche Bahn wieder in die Spur?
7. August 2024Es gab einmal eine Zeit, da waren die Menschen in Deutschland stolz auf ihre Eisenbahn. Inzwischen aber sorgen das Schienennetz und seine Betreiberin, die Deutsche Bahn (DB), bei Reisenden vor allem für Frust. Überfüllte und verspätete Züge, Zugausfälle und Sperrungen weiter Streckenabschnitte wegen Wartungs- und Reparaturarbeiten sind für Fahrgäste inzwischen Normalität.
Während der Fußball-Europameisterschaft, die vom 14.06. bis zum 14.07.2024 in Deutschland stattfand, erregten die Probleme der Bahn auch im Ausland Aufmerksamkeit. Fans, die auf überfüllten Bahnsteigen warteten und wegen Zugausfällen zu spät oder gar nicht ins Stadion kamen, sorgten damals für internationale Schlagzeilen und brachten das Land, das für Effizienz, Pünktlichkeit und erstklassige Infrastruktur bekannt sein möchte, in arge Verlegenheit.
Was steckt hinter den DB-Problemen?
Zugverspätungen haben bei der DB stetig zugenommen. Im vergangenen Jahr erreichten weniger als zwei Drittel der Fernzüge ihr Ziel pünktlich - ein neuer Tiefstand. In Deutschland gilt ein Zug als pünktlich, wenn er weniger als sechs Minuten Verspätung hat.
Auch die Finanzen der DB sind in einem schlechten Zustand. In der ersten Hälfte dieses Jahres machte sie einen Verlust von mehr als 1,2 Milliarden Euro. Die Gesamtverschuldung des Unternehmens beläuft sich inzwischen auf rund 34 Milliarden Euro.
Die Probleme der Bahn sind zum Teil darauf zurückzuführen, dass über Jahrzehnte zu wenig in das Schienennetz investiert wurde. "Deutschland hat seine Schienen-Infrastruktur viel zu lange vernachlässigt", sagt Sabrina Wendling von Allianz pro Schiene, einer gemeinnützigen Organisation in Berlin, die sich für die Verbesserung des Schienenverkehrs einsetzt. "Gleichzeitig aber ist die Nachfrage im Personen- und im Güterverkehr enorm gestiegen."
So ist die Schienen-Infrastruktur in Europas größter Volkswirtschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten zunehmend unter Druck geraten: Immer mehr Personen und Waren wurden mit dem Zug transportiert, doch die Länge des befahrbaren Schienennetzes wurde kürzer, hat Allianz pro Schiene berechnet.
Andreas Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) über Mobilität forscht, macht dafür politische Entscheidungen verantwortlich. "Es ist in Deutschland jahrzehntelang auf das Auto gesetzt worden. Bei der Infrastruktur hatte die Straße Priorität", so Knie.
Philipp Kosok sieht das genauso. Er ist Verkehrsexperte bei Agora Verkehrswende, einer Berliner Denkfabrik und Lobbyorganisation, die sich für die Abkehr von fossilen Brennstoffen einsetzt. "Die Bahn konkurriert vor allem mit dem Straßenverkehr. Der aber erhält Vorteile und Steuersubventionen, die aus Klimaschutzgründen problematisch sind", so Kosok zur DW. "Das Gleiche gilt auch für den Luftverkehr."
So muss die Bahntochter DB Netz das Schienennetz selbst instand halten, die Bahn und andere Zuganbieter zahlen für die Nutzung Gebühren. Autobahnen und Bundesfernstraßen werden dagegen vom Bund finanziert und unterhalten, und zumindest PKW müssen für die Nutzung nichts bezahlen.
Fluglinien wiederum genießen ein Steuerprivileg, weil der Kraftstoff Kerosin von der Mineralölsteuer befreit ist.
Mehr Investitionen, aber nicht genug?
Die deutsche Bundesregierung aus Sozialdemokraten (SPD), der Umweltpartei "Die Grünen" und der marktliberalen FDP will offiziell den Bahnverkehr verbessern. Laut Koalitionsvertrag will sie die Bahn gegenüber dem Auto fördern, um die Klimaziele zu erreichen. Durch den Straßenverkehr verursachte Treibhausgasemissionen sollen gesenkt werden.
Das Ziel: Bis 2030 soll der Personenverkehr auf der Schiene verdoppelt und der Anteil des Güterverkehrs an allen Warentransporten auf 25 Prozent gesteigert werden. Die Regierung hat deshalb angekündigt, Milliarden Euro in die Modernisierung der Schieneninfrastruktur zu stecken. Der Plan sieht vor, tausende Kilometer an Gleisen zu erneuern, außerdem Brücken, Bahnhöfe und veraltete Technik, etwa Stellwerke und Weichen.
Im vergangenen Monat hat die DB die erste Phase ihres großen Sanierungsprogramms gestartet und mit den Arbeiten zur Modernisierung der 70 Kilometer langen Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim begonnen.
"Die aktuelle Bundesregierung investiert tatsächlich mehr in das Schienennetz als ihre Vorgängerinnen", lobt Philipp Kosok von Agora Verkehrswende. So könne die Alterung des Netzes auf wichtigen Abschnitten gestoppt werden. "Aber sie investiert nicht so viel Geld, wie tatsächlich nötig wäre, um das Netz auch zu modernisieren oder gar auszubauen."
Nach Berechnungen von Allianz pro Schiene hat Deutschland im Jahr 2023 pro Kopf der Bevölkerung nur 115 Euro in die Schienen-Infrastruktur investiert. In den Nachbarländern Österreich (336 Euro) und Schweiz (477 Euro) vielen die Pro-Kopf-Investitionen dagegen viel höher aus.
"Seit 2024 investiert der Bund zwar deutlich mehr in die Schiene als in die Straße", sagt Sabrina Wendling von Allianz pro Schiene. "Wir müssen aber noch mehr investieren, denn die Baukosten sind dramatisch gestiegen und wir müssen unbedingt neue Zugstrecken bauen, um die Kapazitäten auf der Schiene zu erhöhen."
Forderung nach Strukturreformen
Doch mehr Geld allein, ohne strukturelle Reformen und Veränderungen in der Organisation der DB, ist keine Lösung für die überlastete Zuginfrastruktur. Kosok sagt, der Regierung fehle eine "klare Strategie", um die Bahn auf einen Wachstumspfad zu bringen. Im Gegensatz zu Nachbarländern wie der Schweiz sei Deutschland jahrzehntelang nicht in der Lage gewesen, eine klare und konsequente Politik zur Förderung des Schienenverkehrs zu betreiben.
Die Deutsche Bahn AG ist zwar vollständig in Staatsbesitz, wird aber wie ein Privatunternehmen geführt. "Das Unternehmen hat eine völlig falsche und zu komplexe Struktur - es ist ein Hybridmodell", sagt WZB-Mobilitätsexperte Knie. "Einerseits ist es eine öffentliche Einrichtung, andererseits agiert es in einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld."
Was ist langfristig nötig?
Nach Ansicht von Experten sind auch langfristige Planung und politische Sicherheit erforderlich. "Die Schieneninfrastruktur zukunftssicher zu machen, ist definitiv ein Marathon und kein Sprint", sagt Wendling von Allianz pro Schiene. "Das können wir nur mit einer engagierten Regierung und einer verlässlichen Finanzierung über mehrere Jahre erreichen."
Auch Philipp Kosok von Agora Energiewende betont die Bedeutung der Planungssicherheit. "Wenn wir uns heute für eine bestimmte Strategie entscheiden, müssen wir sie viele Jahre lang beibehalten, um wirklich die Früchte zu ernten. In der Schweiz hat das gut funktioniert."
Nicht nur die aktuelle, auch zukünftige Bundesregierungen seien daher in der Verantwortung, die Bahn zukunftsfähig zu machen und klimaschädliche Subventionen bei Straßen- und Luftverkehr schrittweise abzubauen, so Kosok.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.