Wie rechte Propaganda den kulturellen Raum erobern will
28. Mai 2024Es ist ein fröhlicher Song, den Gigi d'Agostino in den 2000er-Jahren in die Charts katapultierte, Elektropop zum Hüpfen und Mitsingen. Ein Klassiker auf Tanzveranstaltungen und oft gecovert.
Doch inzwischen hat "L'amour toujours" inoffiziell und ohne Zustimmung des empörten Urhebers einen neuen deutschen Text bekommen - und gehört nach den Beobachtungen der Amadeu Antonio-Stiftung seit über einem Jahr zum Soundtrack einer neuen, hippen Generation von Rechtsextremen.
"Ausländer raus" und "Deutschland den Deutschen" wird in TikTok-Videos zu dieser Melodie gebrüllt, auf Dorfpartys und - wie kürzlich auf der Ferieninsel Sylt - in einer Schicki-Micki-Bar. Ungeniert zeigten sich dort junge Menschen in teurer Kleidung, sangen die Parolen mit und ließen sich mit Handys filmen. Einer deutete einen Hitlergruß an. Eine Geste, die in Deutschland aus gutem Grund strafrechtlich verboten ist. Das Video ging viral und zeigte einmal mehr: Rechtsradikalismus und Rassismus sind längst keine Attribute einer bestimmten Szene mehr, sondern haben viele Gesichter - Gesichter wie du und ich.
Die "Identitäre Bewegung" machte den Anfang
Das haben die führenden Köpfe der "Identitären Bewegung" bereits in den 2010er-Jahren erkannt. In Frankreich entstanden, tauchten die Identitären Ende 2012 auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Österreich, der Schweiz oder Dänemark auf, im Gewand einer modernen und moderaten jugendlichen Bewegung, die ihre rechte Ideologie in Hochglanzpapier verpackt hat, so geschickt, dass es zunächst nicht auffiel. Twitter, Facebook, Youtube waren ihre Verbreitungsorte, mit ansprechenden Videos, die Zeitgeist und Geschmack junger Menschen trafen.
Inzwischen wird die identitäre Bewegung vom deutschen Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Doch die Taktik, sich an die Jugendkultur anzudocken, hat sich in rechten Kreisen längst etabliert.
Wolf im Schafspelz
Die rechtspopulistische Partei AfD ist im deutschen Bundestag vertreten und hat eine wachsende Zahl von Anhängern. Obwohl sie vom Verfassungsschutz beobachtet wird und einige Landesgruppen und Politiker als eindeutig rechtsextrem bezeichnet werden dürfen, verliert die Partei nicht an Zuspruch.
Sie bedient sich einfacher Mittel, um ins Gespräch zu kommen: provozieren und Tabus brechen, um später zurückzurudern. Oder die "Wolf im Schafspelz"-Methode: freundlich daherkommen, Verständnis für die Gegenseite mimen, um dann zuzuschlagen. Auch die Täter-Opfer-Umkehr oder das Polarisieren sind beliebte Mittel - etwa das zwischen der vermeintlich einfachen Landbevölkerung und der reichen Elite aus den Großstädten - "wir hier unten gegen euch da oben".
Viele junge Menschen würden die AfD wählen
Ein großes Potenzial, neue Wählerinnen und Wähler zu rekrutieren, sehen die AfD und deren Jugendorganisation, die "Junge Alternative", in der Jugendkultur. Die findet derzeit größtenteils in Sozialen Netzwerken statt - ganz vorne mit dabei ist die Plattform TikTok. In Deutschland gibt es mehr als 20 Millionen TikTok- Userinnen und User, mehrheitlich Heranwachsende. Hier verbreiten Rechtspopulisten ihre sehr einfach gehaltenen Botschaften in atemberaubender Geschwindigkeit. Mit Musik, Memes, Emojis und humoristischer Verpackung. Was TikTok besonders interessant macht: Userinnen und User müssen nicht explizit nach solchen Inhalten suchen; sie bekommen die Propaganda-Posts in ihre Timelines gespült. Je mehr sie gelikt werden, umso rascher verbreiten sie sich.
Das funktioniert seit Jahren nach diesem Muster und treibt den Rechten die zukünftigen Wähler in die Arme. Schon jetzt würden laut der Trendstudie "Jugend in Deutschland" 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen die AfD wählen.
Sie fühlen sich nicht gehört
Nach den Gründen muss man nicht lange suchen. Die etablierten Parteien haben es über Jahrzehnte versäumt, die Jugend abzuholen. Das spiegelt sich nicht nur in einer Bildungspolitik wider, die schon allein aus Personalmangel aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt, sondern auch in kommunalpolitischen Entscheidungen wie der Schließung von Jugendeinrichtungen. Jugendliche fühlen sich deshalb oft von den meisten Parteien nicht gehört.
Und da tritt die selbsternannte Neue Rechte auf den Plan, gaukelt Verständnis und ein Miteinander vor. Allein die Bezeichnung "Neue Rechte" vermittelt Modernität und Frische, ohne auf die Herkunft hinzuweisen: die nationalsozialistische Idee, die zum Dritten Reich und der Ermordung von Millionen Menschen führte. Mit modernem Zeitgeist und einem sicheren Gespür grätscht die Neue Rechte in jugendliche Subkulturen und lernt, deren Sprache zu sprechen.
Kampf um eine kulturelle Vormachtstellung
Für diese Strategie gibt es einen Begriff: "Metapolitik" - gesellschaftliche Einflussnahme jenseits von Wahlprogrammen und Regierungsarbeit. Die Menschen werden dort angesprochen, wo sie zu Hause und vermeintlich unter sich sind. Volksfeste werden organisiert, Würstchen- und Kaffeebuden aufgestellt, ein Wir-Gefühl geschaffen nach dem Motto: Wir sehen und verstehen euch.
"Mithilfe dieser Metapolitik wird unauffällig rechtes Gedankengut zu den Menschen gebracht", bestätigt Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung im DW-Gespräch. Zunächst wirke das Ganze unpolitisch und harmlos, so Blumenthaler, "aber so schaffen sie es, langsam in die Köpfe der Menschen einzudringen und ihre Ideologie dort zu platzieren."
Mit gezieltem Einstreuen von Polemik, Propaganda und Falschinformationen an den wunden Punkten gesellschaftlicher Debatten fällt es Rechten leichter, den Kampf um eine kulturelle Vormachtstellung für sich zu entscheiden - im Internet, in Mode und Lifestyle, in Gaming Communities, auf Dorffesten.
Der Tübinger Soziologe Felix Schilk nennt dies - egal ob im Netz oder auf dem Dorfplatz - einen "vorpolitischen Raum", den man sich erobern muss, um politisch durchsetzungsfähig zu werden. Man brauche demnach eine Mehrheit der Bevölkerung, welche "die Ideen teilt und die Motive, mit denen man Politik macht, verinnerlicht hat", so Schilk in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Begriffe und Musik werden gekapert
Hat eine Partei wie die AfD erst einmal einen dieser vorpolitischen Räume für sich erobert, kann sie die Inhalte, die Diskurse bestimmen. Dies gelingt ihr beispielsweise, wenn Begriffe aus dem völkisch-rechtsnationalen oder rassistischen Kontext salonfähig werden, indem sie vermehrt in den Sprachgebrauch einfließen. Jüngstes Beispiel ist das Wort "Remigration", das die AfD für sich gekapert hat und damit ihre "Ausländer raus" - Forderungen umschreibt. Oder - etwas älter - der verniedlichende Begriff des "Kopftuchmädchens", mit dem muslimische junge Frauen (auch deutsche) diskriminiert wurden. Sie kodiert ursprünglich positiv konnotierte Begriffe um: "Gutmensch" (hergeleitet von "Gutes tun") oder "Wokeness" (Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gegenüber vor allem Minderheiten) sind bereits an rechte Polemiker verloren gegangen.
Ähnliches ist mit dem umgedichteten Gigi d'Agostino-Song passiert: Wenn er irgendwo gespielt wird, drängen sich die Nazi-Parolen auf. Die Berichterstattung in den Medien machen das Lied nun noch berühmter - man hat es ja schon ein paar Mal gehört, und es ist leicht, den Mund aufzumachen und mitzusingen. Erst hinter vorgehaltener Hand, dann immer selbstverständlicher, die anderen singen es ja auch mit - wie in der Sylter Nobelkneipe, wo das Mitgrölen rassistischer Parolen mit einem Gläschen Rosé in der Hand "nur" ein harmloser Partyspaß war, wie es die Beteiligten behaupten.