Weniger Jobs ohne Verbrennungsmotor?
27. November 2021Die Transformation der Autoindustrie hin zur Elektromobilität wird sich auch auf die Arbeitsplätze auswirken. Nach Horrormeldungen aus der Vergangenheit über mögliche Jobverluste, die nach Hunderttausenden zählten, klingen jüngste Forschungsergebnisse eher versöhnlich. Alles dreht sich um die Frage, was in Zukunft aus den Beschäftigten wird, die Produkte mit Verbindung zu Verbrennungsmotoren herstellen.
"Die europäische Regulierung zu den CO2-Flottengrenzwerten, sowie angekündigte Zulassungsverbote für Verbrennungsmotoren in wichtigen Absatzmärkten werden zu einem Verbrenner-Aus bei deutschen Autobauern führen", sagt Oliver Falck, beim Münchener Ifo-Institut Leiter des Bereichs Industrieökonomik und neue Technologien, im Gespräch mit der DW. Es sei nur die Frage, ob es 2030 oder möglicherweise wenige Jahre später sein werde.
Deutsche Autobauer seien sich dieser Tatsache bewusst und viele investierten schon heute nicht mehr in die Weiter- oder Neuentwicklung von Verbrennungsmotoren. "Nach den letzten vor der Corona-Pandemie zur Verfügung stehenden Zahlen hängen in Deutschland rund 614.000 Beschäftigte direkt oder indirekt am Verbrennungsmotor", so Falck.
Der Verbrenner frisst seine Kinder
Elektroautos sind einfacher herzustellen als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Sie benötigen keine komplexen Motoren oder aufwendigen Getriebe. Hersteller von Komponenten für diese Bereiche werden deshalb umso stärker betroffen, je mehr der Wandel in Richtung E-Mobilität Fahrt aufnimmt. Das gilt vor allem für die vielen, auch kleineren Zulieferbetriebe, die auf Verbrenner-Technologien spezialisiert sind.
Für die Mitarbeiter hat das zum Teil dramatische Konsequenzen. Weniger für diejenigen, die in den nächsten Jahren sowieso in Rente gehen. Außerdem gebe es Angebote der Arbeitgeber, die einen früheren Ausstieg begünstigten, so Falck. "Ein anderer Teil der Beschäftigten wird andere Tätigkeiten in der Automobilproduktion ausüben oder etwas ganz anderes - insbesondere im Dienstleistungssektor machen. Die neue Tätigkeit wird aber nicht immer am gleichen Ort oder gar beim gleichen Arbeitgeber sein."
Laut einer von Falck mitverfassten Ifo-Studie im Auftrag des Autohersteller-Verbandes VDA sind bis zum Jahr 2030 rund 215.000 Arbeitsplätze betroffen. Aber nur 147.000 Mitarbeiter werden im gleichen Zeitraum in Rente gehen. "Somit ergibt sich eine erhebliche Lücke zwischen den betroffenen Beschäftigten und der anstehenden Beschäftigungsfluktuation", heißt es in der Studie.
Sogar ein kleines Plus von Arbeitsplätzen denkbar
Eine Studie der Denkfabrik Angora Verkehrswende und der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG)kommt zu dem Ergebnis, dass die Transformation zur Elektromobilität unter dem Strich sogar ein kleines Plus von 25.000 Jobs bringen wird.
Die Rechnung sieht so aus: Bis 2030 fallen bei den Autoherstellern 70.000 Arbeitsplätze weg, weil einige Produktionsschritte überflüssig werden. Zulieferer verlieren 95.000 Jobs, weil spezielle Produkte nicht mehr benötigt werden. In den Autowerkstätten sinkt die Zahl der Arbeitskräfte um 15.000, da Stromfahrzeuge wartungsärmer sind als Verbrenner.
Dagegen entstehen 190.000 neue Jobs in den Bereichen Batterieherstellung sowie in der Energieinfrastruktur und -herstellung für die Errichtung eines leistungsfähigen Ladenetzes. Im Anlagenbau und nahestehenden Dienstleistungen kommen weitere 15.000 Jobs hinzu, weil Autowerke umgebaut werden müssen.
Politik muss Rahmbedingungen schaffen
BCG-Experte Kristian Kuhlmann geht davon aus, dass die Anzahl der Arbeitsplätze in der Automobil- und den angeschlossenen Industrien 2030 im Vergleich zu 2020 konstant bleiben wird. Viele Mitarbeiter müssten sich aber neuen Herausforderungen stellen, fügt der Unternehmensberater im Gespräch mit der DW hinzu. "Von den heute etwa 1,7 Millionen Beschäftigten der Automobilindustrie sowie ihrer Zulieferer in Deutschland werden etwa 760.000 einen spezifischen Trainings-Bedarf haben, um auch in Zukunft einen Job in der Branche ausüben zu können." Gerade kleinere Zulieferbetriebe und -unternehmen benötigten bei der Finanzierung und Umsetzung entsprechender Schulungsprogramme Unterstützung seitens der öffentlichen Hand.
"Ziel muss es sein, im strukturellen Wandel die Entstehung von Langzeit-Arbeitslosigkeit möglichst zu vermeiden", sagt auch Ifo-Ökonom Oliver Falck. Daher sei es wichtig möglichst frühzeitig in die Weiterbildung und Umschulung der Beschäftigten, die am Verbrenner hängen, zu investieren. "Das muss eine gemeinsame Anstrengung, von Unternehmen, Verbänden und Kammern, Politik und Arbeitsagentur sein."