"Wir können fast jedes Projekt mitgestalten"
16. Juli 2011Hans Schlegel flog im April und Mai 1993 mit dem US-Space Shuttle Columbia, der STS-55, der zweiten deutsche Spacelab-Mission, ins All. Im Februar 2008 brachte er an Bord der Atlantis (STS-122) das Europäische Weltraumlabor Columbus zur internationalen Raumfahrtstation ISS.
DW-WORLD.DE: Herr Schlegel, wären Sie auch gerne noch einmal mit der Atlantis geflogen?
Hans Schlegel: Selbstverständlich, einer der Missionskollegen Rex Wallheim war auch auf unserer Mission vor drei Jahren, als wir Columbus, das Europäische Forschungsmodul, nach oben gebracht haben. Aber es ist nicht die alleinige Rolle der Astronauten, sie sind auch dazu da, ihren Kollegen in der Vorbereitung und Durchführung [der Missionen] zu helfen und das tue ich in Houston nach wie vor , im Wesentlichen für die Europäischen Astronauten. Wir Europäer haben sechs neue Astronauten und fliegen von nun an fast jedes Jahr einen Astronauten zur Internationalen Raumstation. Mit dieser Aufgabe bin ich zufrieden.
Hätte das Shuttle denn Ihrer Ansicht nach noch weiterfliegen sollen?
Es hätte weiterfliegen können, aber diese Entscheidung ist schon lange nicht mehr rückgängig zu machen und mit dieser Entscheidung leben wir. Wir stellen etwas ein, was seinen Zweck erfüllt hat, zugegebenermaßen auch zu gefährlich war. Dafür ist Geld frei, kommerzielle Entwicklungen anzustoßen, die auch teilweise bereits laufen. Im nächsten Jahr wird entschieden, auf welche zwei oder vielleicht auch nur eine Möglichkeit wir uns konzentrieren mit dem kommerziellen Zugang zur erdnahen Umlaufbahn. Wir haben etwas gewonnen, wovon wir noch gar nicht wissen, wie wir das alles nutzen können, wozu das alles führt. Vordergründig erst einmal, um die internationale Raumstation bis 2020 mit Experimenten, mit Menschen, mit Gütern zu versorgen.
Also ist die Kommerzialisierung der Raumfahrt der richtige Schritt für die Amerikaner?
Auf jeden Fall. Und es ist eine Riesenchance auch für uns Europäer. Wir müssen ganz klar sehen, dass die Amerikaner mit der NASA allein die Raumfahrt eigentlich nicht mehr betreiben. Sie findet schon lange unter Einbindung und mit Hilfe von europäischen Staaten statt, organisiert von der ESA, in der Europäischen Raumfahrtagentur, aber auch in nationalen Agenturen wie der ASI von den Italienern, wie CNES bei den Franzosen und dem DLR, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Wir sind mittlerweile in diesem ehrgeizigen Projekt so zusammengewachsen, dass ich immer behaupte, wir sind ein Rollenmodell, wie wir ehrgeizige Projekte weltweit angehen und weltweit umsetzen.
Mir "wir" meinen Sie die ESA?
Wir Europäer. Wir Menschen. Wir sieben Milliarden Astronauten auf dem einen Mutterraumschiff Erde. Ich denke, das schönste Erlebnis in meiner 23-jährigen Astronautenkarriere ist, dass ich erleben durfte und mithelfen konnte, die Zusammenarbeit zwischen Ost und West, zwischen Süd und Nord in den letzten 15 Jahren weiter zu gestalten. Es ist wunderschön zu erleben, wie das Vertrauen zueinander, das aufeinander Verlassen wächst und wächst und wächst. Das ist prima.
Das heißt die Amerikaner verlieren ihre führende Rolle in der Raumfahrt, aber für Sie ist das kein Problem?
Ganz so extrem denke ich nicht. Ich denke, dass die Amerikaner nach wie vor meinen, dass sie die führende Nation sind und das ist sicherlich zum Teil wahr. Aber mit der Aufgabe des Shuttles gibt es nur noch eine Nation, die bemannten Zugang zur erdnahem Umlaufbahn hat, und das ist Russland. Aber wie gesagt, das spielt nicht mehr die entscheidende Rolle. Die entscheidende Rolle ist, dass wir in der Partnerschaft unsere Ziele erfolgreich umsetzen und das ist der neue Gewinn, der mir so gefällt.
Ist das auch ein bisschen das Vermächtnis des Shuttles und der ISS, bei beidem hat es viel internationale Zusammenarbeit gegeben?
Ja. Die ISS läuft ja weiter bis 2020. Es ist darüber hinaus auch Vermächtnis der russischen Raumstation MIR. Denken Sie daran, vor 15 Jahren hatten wir das Amerikanische-Russische MIR-Shuttle-Programm. Das Shuttle flog zur MIR, dockte dort an, versorgte die MIR, wie heute die Raumstation, und das war das erste Mal, dass die Amerikaner ihre Erfahrung nach Ende der Apollo-Ära wieder auffrischten. Alles das zeigt Ihnen: Es ist die internationale Zusammenarbeit, mit der man ehrgeizige Ziele erreichen kann.
Und dieses Engagement sehen Sie bei den Europäern trotz der derzeit knappen Kassen?
Knappe Kassen sind immer etwas Relatives, wie wir wissen. Es ist natürlich eine wichtige Aufgabe, die balanciert zu halten, davon hängt die Stabilität unserer Erde ab. Das möchte ich erstmal so hinstellen, aber, und jetzt kommt das große Aber: Die Wirtschaftskraft der Europäer zusammengenommen ist deutlich größer als die Wirtschaftskraft der Amerikaner und wir sollten nicht kleinmütig sein. Wenn wir es wollen, wenn wir entscheiden, dass wir das tun, dann können wir nahezu jedes Projekt, was jetzt angedacht wird, auf der Erde auch mit gestalten. Dazu gehört natürlich nicht eine einzelne europäische nationale Regierung, dazu gehört das europäische Zusammenspiel.
Interview: Christina Bergmann
Redaktion: Nicole Scherschun