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Wir müssen über fabrikneues Plastik reden

Tamsin Walker
26. April 2019

Während die EU Einweg-Plastik verbietet und bis 2050 die Dekarbonisierung anstrebt, hat der Chemiekonzern Ineos für den Hafen von Antwerpen ganz andere Pläne.

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Belgien - Industriehafen in Antwerpen
Bild: Getty Images/AFP/E. Dunand

Auf Google haben Nutzer im vergangenen Jahr sehr oft nach "Plastik", aber selten nach "neue Kunststoffe", oder "virgin plastics", gesucht. Der Begriff ist unter Umweltschützern allerdings ziemlich geläufig. Für sie ist er ein Symbol für massive Umweltzerstörung. Denn "virgin plastics" werden komplett neu hergestellt und beinhalten kein recyceltes Material.

Dabei spielt auch Fracking eine wichtige Rolle. Bei der Plastikherstellung wird Ethan eingesetzt, das bei Fracking aus Schiefergas gewonnen wird. Es ist eine rentablere und günstigere Alternative als das traditionell verwendete Rohbenzin (Naphta). Umweltaktivisten befürchten, dass die Chemieindustrie durch die Methode künftig noch mehr unnötige Einweg-Verpackungen auf den Markt schwemmen wird.

Viele EU-Länder haben Fracking entweder verboten oder aufgeschoben. Das Thema scheint also für die EU kaum relevant zu sein. Die belgische Stadt Antwerpen sendet eine andere Botschaft. Laut einer Absichtserklärung vom Januar will der Hafen in Antwerpen und das britische Chemieunternehmen Ineos einen riesigen Ethan-Cracker bauen.

Ineos ist über zwei Jahrzehnte zu einem der größten Chemiekonzerne der Welt aufgestiegen. Am Hafen in Antwerpen entsteht nun für drei Milliarden Euro eine Anlage, die Propan beziehungsweise Ethan in Propylen und Ethylen umwandelt. Das sind wichtige Rohstoffe für die Kunststoffproduktion.

Drachen überqueren den Atlantik

Die Anlage läuft zudem mit billigem Fracking-Ethangas aus den USA, das auf sogenannten "Drachenbooten" quer über den Atlantik herangeschifft wird. Die 180-Meter-langen Dampfer beliefern derzeit schon Ineos-Anlagen in Norwegen und Schottland. Die dritte Anlage in Antwerpen wird eine der größten Investitionen im europäischen Chemiesektor seit zwei Jahrzehnten sein und nicht nur die CO2-Bilanz erschüttern, sondern auch die umweltschädliche Plastikproduktion in Europa weiter antreiben.

Ein Ineos-Frachtschiff mit Ethangas aus den USA an Bord erreicht Edinburgh in Schottland
Ein Ineos-Frachtschiff mit Ethangas aus den USA an Bord erreicht Edinburgh in Schottland.Bild: Getty Images/J. J. Mitchell

"Die Geschäfte von Ineos machen klar, dass die Fracking-, Chemie- und die Plastikindustrie alle miteinander zusammenhängen; das läuft alles unter dem Radar ab und niemanden kümmert das", sagt Andy Gheorghiu im Interview mit der DW. Er ist Politikberater bei der NGO Food & Water Europe.

Die Gegner der Fracking- und Plastikindustrie wollen das gemeinsam ändern und den geplanten Cracker verhindern. "In der neuen EU-Richtlinie zur Umweltverträglichkeitsprüfung heißt es ganz klar, dass die Umweltfolgen eines solchen Projekts geprüft werden müssen", sagt Gheorghui. "Wir bestehen darauf, dass die Behörden das auch tun und dass sie den ganzen nachgelagerten Kreislauf dahinter sowie den CO2-Ausstoß beachten." Sie könnten nicht einfach die Anlage in Antwerpen ohne die Lieferkette aus den USA betrachten.

Infografik Plastik-Bedarf in Europa aufgelistet nach Sektor, 2015

Die Europäische Kommission wollte dazu auf DW-Anfrage keinen Kommentar abgeben und wies darauf hin, dass die entsprechenden regionalen und nationalen Stellen für die Umweltverträglichkeitsprüfung (EIA) zuständig seien. Der Hafenchef in Antwerpen Annick De Ridder teilte der DW in einer E-Mail mit, dass es eine EIA-Prüfung geben werde. "Ineos ist der Initiator des Projekts, deshalb ist es die Pflicht von Ineos, die Prüfung anzuordnen."

Plastik hier, Plastik da

Die Regierungsstelle Flanders Investment and Trade informierte die DW, dass Ineos seine Plastikprodukte als "100 Prozent recycelbar" deklariert und sich für eine ganzheitliche Kreislaufwirtschaft einsetze. Das sieht Thomas Goorden anders. Er ist Koordinator für Klima und Luftqualität des flämischen zivilgesellschaftlichen Vereins StRaten-Generaal. Er sagt, es gebe keine Beweise für "irgendeinen Kreislauf" im Geschäftsmodell von Ineos. "Sie machen ihr klassisches Erdöl-Geschäft einfach weiter. Sie holen es aus dem Boden, transportieren es weiter und dann wird daraus Plastik, das nie wieder in einen Kreislauf zurückkommt", sagt er im DW-Interview.

Ineos spricht dagegen öffentlich darüber, wie seine Produkte der Umwelt nutzen. Etwa bei der Herstellung von Windturbinen oder leichteren Autos. "Der größte Produktionsanteil wird zu Verpackungen weiterverarbeitet", kritisiert Rob Buurman, Leiter von Recycling Netwerk Benelux, einer unabhängigen Umweltorganisation.

Infografik Kreislaufwirtschaft DE

In den Planungsunterlagen des sogenannten "Project One", wie das Ineos-Projekt in Antwerpen auch genannt wird, ist aufgelistet, in welchen Formen Propylen und Ethylen weiterverarbeitet werden. Bei beiden Rohstoffen stehen "Verpackungsmaterialien" ganz oben.

Unkalkulierte Emissionen

Für Rob Buurman steht der Bau des Ethan-Crackers völlig im Widerspruch mit der EU-Position, nicht nur bezüglich Fracking und Einweg-Verpackungen, sondern auch hinsichtlich der Pläne, die CO2-Emissionen zu reduzieren.

Außerdem gibt es keine öffentlich zugänglichen Prognosen darüber, wie viel CO2 die Anlage ausstoßen wird. Trotz der wiederholten DW-Anfragen hat Ineos bis zum Veröffentlichungsdatum keine Stellung bezogen. Umweltschützer rechnen mit etwa 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr.

"Die ganze Lebensmittelindustrie in Flandern, in der Zehntausende Menschen arbeiten, stößt nicht so viel CO2 aus wie diese Anlage", sagt Buurman. Gleichzeitig werde sie angeblich nur 300 bis 400 direkte Arbeitsplätze schaffen. Er ist "überrascht, wie unkritisch und positiv die flämischen und belgischen Politiker an die Sache herangehen." Es sei ihm schleierhaft, wer außer Ineos-Chef Jim Ratcliffe von der Anlage profitieren solle. Ratcliffe war 2018 der reichste Mann in Großbritannien.

Der Hafenchef De Ridder beharrt unterdessen darauf, dass der hochmoderne Cracker zusätzlich 2000 nachgelagerte Arbeitsplätze schaffen wird. Antwerpen werde dadurch zu einem Weltklasse-Chemieindustrie-Cluster aufsteigen, während die CO2-Emissionen "durch energieeffiziente Technologien auf ein Minimum reduziert werden".

 "Freifahrtschein für Umweltsünder"

Gegner halten Ineos vor, als Teil einer "energieintensiven Industrie" der Öffentlichkeit keiner Rechenschaft für seinen CO2-Ausstoß schuldig zu sein. Außerdem nutze der Konzern Schlupflöcher im europäischen Emissionshandelssystem (ETS), um sein neues Projekt als umweltfreundlich zu verkaufen. "Grundsätzlich müssen alle Industrien hier in Flandern und speziell der Hafen in Antwerpen nichts für ihre Emissionen zahlen", sagt Thomas Goorden von StRaten-Generaal. Der Hafen könne daher sogar als klimafreundlich durchgehen.

Nach den neuen ETS-Regeln sollen energieintensive Branchen zwischen 2021 und 2030 Emissionszertifikate im Wert von 6,3 Milliarden Tonnen CO2 bekommen. Für Sam Van den plas, Politikreferent bei Carbon Market Watch, ist das ein "Freifahrtschein für Umweltsünder". "Es ist eine Subvention für Umweltsünder, die im nächsten Jahrzehnt mehr als 160 Milliarden kosten wird", sagt er im DW-Gespräch. Es sei kein gänzlich unbekannter Skandal, aber einer, der kaum wahrgenommen wird.

Und im Zentrum stehen die wirtschaftlichen Interessen des Chemieriesen Ineos, der die Kunststoffproduktion auf einem Kontinent hochfahren wird, der eigentlich längst eine andere Richtung eingeschlagen hat.