Wahlen Berlin
19. September 2011Siegessicher war die SPD schon lange. Seit Wochen lag die Partei des seit 2001 regierenden Rathauschefs Klaus Wowereit in Umfragen klar vorn. Und mit rund 30 Prozent wurde sie erneut stärkste politische Kraft in Berlin. Da aber Die Linke als bisheriger Partner der Berliner rot-roten Koalition mit nicht einmal zwölf Prozent abgestraft wurde, muss Wowereit auf politische Partnersuche gehen. Als wahrscheinlich gilt nun ein Bündnis mit den Grünen, die mit etwa 18 Prozent ihr bestes Hauptstadt-Ergebnis überhaupt erzielten. Rechnerisch möglich wäre auch eine Koalition der SPD mit den Christdemokraten (CDU), die auf rund 23 Prozent kamen.
Ein Desaster erlebten die Freien Demokraten (FDP), die mit knapp zwei Prozent den Sprung ins Abgeordnetenhaus klar verpassten. Für eine große Überraschung sorgte die vor fünf Jahren von Internet-Aktivisten gegründete Piraten-Partei. Mit neun Prozent schaffte sie erstmals den Sprung in ein deutsches Parlament.
Unerfüllte Hoffnungen auf ein besseres Ergebnis
Insgeheim hatten Wowereit und seine Sozialdemokraten sogar auf ein besseres Ergebnis gehofft. Doch nachdem die Partei noch vor wenigen Monaten damit rechnen musste, die Macht an Grüne oder Christdemokraten abgeben zu müssen, ist man mit dem jetzt erzielten Ergebnis zufrieden. Ein Bündnis mit der Umweltpartei gilt als wahrscheinlich, auch mit Blick auf die nächste Bundestagswahl 2013. Dann soll die von der Christdemokratin Angela Merkel geführte konservativ-liberale Koalition abgelöst werden.
Doch zunächst müssen Rote und Grüne auf Berliner Landesebene ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Und das könnte durchaus schwierig werden, weil die Grünen vor allem bei Infrastruktur-Projekten wie dem künftigen Großflughafen und dem Ausbau der Stadt-Autobahn eher auf die Bremse drücken. Wowereit will auf diesem Feld keine Kompromisse schließen. "Wichtig ist, dass die Grünen sich bekennen zu einer Stadtpolitik, die auf Entwicklung und Fortschritt setzt und nicht auf Stillstand", stellt Wowereit klar.
SPD-Chef Gabriel fordert vorgezogene Bundestagswahl
Sollten Sozialdemokraten und Grüne nicht zusammenfinden, bliebe dem amtierenden und künftigen Bürgermeister der 3,4-Millionen-Metropole eine Koalition mit den Christdemokraten. Die gilt aber auch deshalb als eher unwahrscheinlich, weil sie kaum zu den bundespolitischen Ambitionen der SPD passen würde. Wen die Sozialdemokarten 2013 als Herausforderer von Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Rennen schicken, ist zwar noch offen. Aber Klaus Wowereits Chancen dürften durch seinen dritten Wahlsieg nacheinander keinesfalls kleiner geworden sein.
Der vom linken SPD-Flügel und dem einflussreichen Gewerkschaftsdachverband DGB favorisierte Berliner gibt sich zurückhaltend. Persönliche Interessen müssten hinten anstehen. Es gehe darum, wie sich die SPD am besten aufstellen könne. "Das werden wir dann zum gegebenen Zeitpunkt entscheiden", sagt der Berliner Wahl-Sieger. Mit der Kanzlerkandidaten-Kür will sich die Partei bis Ende 2012 Zeit lassen. Es sei denn, die im Bund regierende Koalition aus Konservativen (CDU/CSU) und Freien Demokraten sollte vorher auseinanderbrechen. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der ebenfalls als möglicher Herausforderer Angela Merkels gilt, forderte in einem Zeitungs-Interview bereits vorgezogene Neuwahlen.
Claudia Roth rechnet mit der FDP ab
Anlass dafür sind die seit längerem schwelenden Differenzen innerhalb der Bundesregierung wegen der Euro-Krise. Der FDP-Bundesvorsitzende und Wirtschaftsminister Philipp Rösler hatte sich zuletzt offen gegen Angela Merkel gestellt, indem er eine staatliche Insolvenz des schwer angeschlagenen EU-Mitglieds Griechenland nicht mehr ausschließen wollte. Dafür hat die FDP aus Sicht der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth bei der Berlin-Wahl nun die Quittung erhalten. "Ich bin sehr froh, dass die FDP mit ihrem anti-europäischen Populismus in Berlin abgestraft worden ist." Sie erwarte, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt eingreife, sagte Roth, ohne dabei konkreter zu werden.
Dass die Regierungschefin nach der verheerenden Niederlage ihrer Koalitionspartnerin FDP bei der Berliner Abgeordnetenhaus-Wahl im Bundeskabinett mehr Unterstützung von den Liberalen erwarte, ließ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe bereits durchblicken. Man vertraue darauf, dass die FDP-Führung um ihre Verantwortung wisse, damit man sich gemeinsam den Herausforderungen Euro-Stabilität, Wirtschaftswachstum und dem weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit stellen könne, sagte Gröhe.
Existenzangst in der FDP wächst
In der FDP macht sich mehr und mehr Existenzangst breit. Bei fünf von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr scheiterte die Partei von Außenminister Guido Westerwelle an der Fünf-Prozent-Hürde und ist damit nicht mehr in den jeweiligen Parlamenten vertreten. Generalsekretär Christian Lindner sprach unter dem Eindruck des Berliner Zwei-Prozent-Ergebnisses von einem "Tiefpunkt und Weckruf". Dabei hatten die Liberalen gehofft, mit dem neuen Vorsitzenden Philipp Rösler aus dem Tief herausfinden zu können. Man habe gewusst, dass die Wahlen 2011 nach der Ablösung des langjährigen FDP-Chefs Westerwelle durch Wirtschaftsminister Philip Rösler schwierig werden würden. "Das hat sich jetzt auch in dramatischer Weise bestätigt", räumte Lindner ein.
Besonders bitter dürfte es für die FDP sein, dass die gerade einmal fünf Jahre junge Piraten-Partei in der deutschen Hauptstadt erstmals den Sprung in ein Parlament schaffte. Ihren überraschenden Erfolg verdanken die Internet-Aktivisten der Forderung nach einem unreglementierten Netz-Zugang und mehr virtueller Bürger-Beteiligung in der Politik. Spitzenkandidat Andreas Baum wunderte sich selbst ein wenig über das gute Ergebnis. Man wolle mal sehen, was jetzt im Parlament dabei herauskommen kann, "wenn die Bürger sich nach einer anderen Art Politik sehnen, nach mehr Ehrlichkeit", sagte der Neuling im Berliner Abgeordnetenhaus.
Rund 120.000 stimmten für Piraten-Partei
Warum immerhin 120.000 Berliner die Piraten-Partei gewählt haben, dafür werden Meinungsforscher schon bald Erklärungen haben. Und auch eine andere Frage wäre zu beantworten: Warum nämlich etwa 40 Prozent der rund 2,5 Millionen Stimmberechtigten erst gar nicht zur Wahl gegangen sind.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning