Ziel Donbass: Schüsse im Niemandsland
13. Dezember 2016Im Oktober hatten die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident eine Art letzten Anlauf unternommen, um den umkämpften Gebieten in der Ost-Ukraine doch noch eine Friedensperspektive zu bieten. Sie hatten sich mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine in Berlin getroffen, um darauf zu drängen, dass endlich Ernst gemacht wird mit dem sogenannten "Minsker Abkommen". Es sieht eine ganze Reihe von Punkten vor, wie der Donbass wieder in die Ukraine eingegliedert werden kann. Doch zunächst müssen die Waffen schweigen. Erst dann kann es an Regionalwahlen gehen, an eine Amnestie für die separatistischen Kämpfer oder an den geplanten Sonderstatuts für die überwiegend russischsprachige Region.
Das ist der politische Hintergrund, der uns aus dem DW-Studio Kiew am Montagabend an den DNR-Kontrollposten Marjinka geführt hat. Ein scharfer Wind geht durch die Nacht. Am Kontrollposten steht eine Kolonne aus weißen SUVs der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Sie operiert mit rund 800 Beobachtern in der Ostukraine zwischen den Fronten aus ukrainischen Regierungstruppen und pro-russischen Freischärlern; sie notiert alle Verstöße gegen den Waffenstillstand. Bis Donezk, bis in die Separatisten-Hauptstadt, sind es noch rund 25 Kilometer.
Weiterfahrt verboten
In einem der OSZE-Autos sitzt der Schweizer Diplomat Alexander Hug, Vize-Missionschef und dort der Mann fürs Operative. Er will sich persönlich ein Bild machen, ob die Truppenentflechtung endlich vorankommt. Bei dieser Inspektionsfahrt wollen wir Hug begleiten. Doch daraus wird nun nichts. Wir haben eine schriftliche Genehmigung des DNR-Pressezentrums, wir haben für den Abend noch ein Interview verabredet mit dem Sprecher der separatistischen Milizen, und wir sind ja nicht zuletzt auf Einladung der OSZE hier. All das beeindruckt den bärbeißigen Uniformierten nicht. Sein russischer Tarnfleck ist nagelneu, ein Namensschild trägt er nicht, aber das schwarz-blau-rote Abzeichen der Separatisten. Er sagt uns, der Geheimdienst der sogenannten "Donezker Volksrepublik" verweigere uns die Einreise. "Ihr könnt froh sein, dass ihr überhaupt hier wegkommt", droht er. So spricht die Willkür.
Die Übergangsstellen zwischen Separatistengebieten und dem ukrainisch kontrollierten Teil des Landes schließen um 17 Uhr. Nun ist es kurz nach 18 Uhr, und unsere Fahrt durch das Niemandsland ist eine Fahrt ins Ungewisse. Links und rechts der Trasse Warnschilder: "Vorsicht! Minen!" Ab und an ist in der Ferne, weiter südlich, der Feuerschweif von Artilleriegeschossen zu sehen. Hundert Meter vor dem ersten ukrainischen Posten stehen ein paar Autos.
Die Fahrer kauern in Decken hinter den Lenkrädern. Sie haben es nicht mehr rechtzeitig vor der Grenzschließung geschafft. Manche riskieren die bitterkalte Nacht im Kampfgebiet, um morgens als erste ‘rüber zu kommen, um nicht stundenlang anstehen zu müssen für eine Fahrt von der Ukraine in die Ukraine. Die Grenze, die offiziell gar keine ist, wurde in den letzten Monaten immer weiter ausgebaut. Auch auf der ukrainischen Seite sind die Kontrollen mittlerweile schikanös.
Warnschüsse bei Weiterfahrt
Wir wollen nicht im Niemandsland im Auto übernachten. Draußen sind es jetzt minus fünf Grad. Den Motor - und damit die Heizung - will der Fahrer nicht laufen lassen, weil wir sonst nicht hören, was um uns herum vor sich geht. Mykola Berdnyk, Producer im DW-Studio und Organisator der Reise, telefoniert - mit dem Stab der ukrainischen Streitkräfte, mit der OSZE, mit dem Grenzdienst in Kiew, mit wichtigen und mit lokalen Dienststellen. Dann endlich, nach einer Stunde: Die Ukrainer machen für uns die Grenze noch einmal auf. Wir fahren im Schritttempo auf den Posten zu. Plötzlich Gewehrfeuer, eine Salve aus einer Kalaschnikow, unmittelbar vor uns. Warnschüsse. Zwei Soldaten kommen zum Auto, einer sagt: "Wir müssen erst ein paar Minen wegräumen, bevor ihr weiter fahren könnt." Der andere entschuldigt sich für die Gewehrsalve.
Dann sind wir durch, finden noch ein Nachtquartier in einem Ort hinter der Demarkationslinie. Weit genug entfernt von der Front, um die Schießereien dort nicht mehr zu hören. OSZE-Diplomat Hug beklagt in einer Stellungnahme gegenüber der DW-Kiew (per E-Mail), dass die Bewegungsfreiheit entlang der Demarkationslinie generell eingeschränkt sei. "Die OSZE betont, dass wir einfachere Regeln zum Grenzübertritt brauchen." Das gilt dann wohl auch für Journalisten.