Zum Tode von Gerd Albrecht
4. Februar 2014Gerd Albrecht, 1935 in Essen geboren, hatte die Aura eines Gentleman und war einer der profiliertesten Dirigenten seiner Generation. Am Sonntag ist der Dirigent nach langer Krankheit in Berlin gestorben.
Als erster Ausländer war Albrecht in den 1990er Jahren Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie. Ihm sind nicht nur zahlreiche Uraufführungen zu verdanken, stets setzte er sich auch für zu Unrecht vergessene Komponisten wie Alexander Zemlinksy und Franz Schreker ein. Für seine Fernseh-Reihe "Klassik für Kinder", in denen er Kindern Werke wie "Die Moldau" oder "Peter und der Wolf" erklärte, erhielt Gerd Albrecht 1974 den renommierten Grimme-Preis. Aber der Dirigent sprach auch gerne politischen Klartext: Seine Position als Chef des dänischen Radiosinfonieorchesters setzte er 2004 aufs Spiel, als er sich im Radio gegen den amerikanischen Präsidenten George W. Bush und den Irak-Krieg wandte.
Erste Stationen
Nach Studienjahren in Kiel und in Hamburg begann Gerd Albrecht seine Karriere im Alter von 27 Jahren als Generalmusikdirektor in Lübeck - der damals jüngste Mann in Deutschland in der Position. Die vielleicht wichtigste Station des jungen Dirigenten war sein Engagement am Staatstheater Kassel von 1966 bis 1972. Unvergessen dort sind die Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns monumentale Oper "Die Soldaten" und der legendäre Wagner-"Ring" mit dem Regisseur Ulrich Melchinger.
1988 übernahm Albrecht die musikalische Leitung der Hamburgischen Staatsoper und führte das Haus zu neuem Erfolg: Zusammen mit dem Intendanten Peter Ruzicka brachte er vielgelobte Neuproduktionen auf die Bühne, darunter die Inszenierung von Richard Wagners "Parsifal" in der Deutung des berühmten Regisseurs Robert Wilson, "Der Schatzgräber" von Franz Schreker und zahlreiche Uraufführungen wie von Helmut Lachenmanns "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern".
Ein Mann der Extreme
Als Gerd Albrecht 1991 zum Chef der Tschechischen Philharmonie gewählt wurde, galt das als politische Sensation. Während einer Tournee in Japan hatten die Musiker des Orchesters erstmals in geheimer und freier Wahl abgestimmt. Der damalige Maestro Jiří Belohlavek, ein Tscheche, bekam 49 Stimmen; der ausländische Gastdirigent Gerd Albrecht 17 Stimmen mehr. "Ich habe noch versucht, den Musikern das auszureden", erinnerte sich Albrecht später. "Ich habe gesagt, ihr seid doch wahnsinnig, wenn ihr mich, ausgerechnet einen Deutschen wählt. Mir war schon damals klar, das gibt Ärger."
Tatsächlich bekam Gerd Albrecht bald Gegenwind zu spüren. Es verging kaum ein Tag, an dem die tschechische Presse keine Schmähungen veröffentlichte. Und seine nicht immer diplomatische Arbeitsweise verbreitete im Orchester Unruhe. Gerd Albrecht kannte darauf nur eine Antwort: "Bei mir gibt es nie lauwarm, sondern nur heiß und kalt." Er sei eben ein Mann der Extreme. "Gerd macht etwas, was bei uns nicht so sehr Tradition ist", meinte Albrechts Freund Jiří Gruša, damals tschechischer Botschafter in Deutschland: "Er ist offen und sagt, was er meint. Das kompliziert die Lage bisweilen." Nach politischen Intrigen gab der Dirigent im Januar 1996 seinen Rücktritt bekannt.
Herzenssache
Ein zentraler Bestandteil von Gerd Albrechts Arbeit war die Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche. "Wenn es uns nicht gelingt, die Jugend in die Konzertsäle zu bekommen", sagte er immer wieder, "wird es das Musikleben, wie wir es kennen, innerhalb kürzester Zeit in Deutschland nicht mehr geben." Seit den 1970er Jahren veranstaltete der Maestro spezielle Erklär-Konzerte für Kinder, produzierte zahlreiche CDs und hatte eigene Fernseh-Sendungen. 1989 gründete er die Hamburger Jugendmusikstiftung, die junge musikalische Talente fördert und bis zuletzt von ihm finanziert wurde. Die Workshops und Familienkonzerte seines "Klingenden Museum" in Hamburg werden jährlich von Tausenden Schulkindern wahrgenommen. Und seine "Klingende Mobile" bringen deutschlandweit Instrumente und Musikpädagogen in Schulen und Kitas.
"Man muss den Kindern das Gefühl geben, dass sie völlig ernst genommen werden, dann können Sie alles machen," lautete Gerd Albrechts Devise. "Alles, was gut ist: Palestrina, Gesualdo, Heinrich Schütz, Bach, alles. Ich habe Schönbergs Opus 15 für Kinder gemacht, das geht alles. Es muss nur die Überzeugungskraft dessen dahinterstehen, der es macht. Und die Überzeugungskraft in der Musik."