Zwischen Waffenruhe und weiterer Eskalation
19. November 2012Die Mächte in Kairo haben wenig Zeit, um einen Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel zu verhandeln. Das glaubt Yossi Mekelberg vom Think Tank "Chatham House". "Sonst wird aus dem Konflikt ein richtiger Krieg." Soll heißen: Israel schickt Bodentruppen nach Gaza. "Dann wird es wieder viele Opfer geben." Mekelberg ist beunruhigt, schließlich würden bereits Reservisten eingezogen und an der Grenze zu Gaza stationiert.
Unterdessen gehen die Kämpfe in Gaza weiter. "Hören Sie das? Da ist gerade eine Rakete über mein Haus geflogen", sagt Omar Shaban ganz nüchtern. Der Direktor von Pal-Think, einer Denkfabrik in Gaza, hat sein Haus in Gaza-Stadt seit Tagen nicht mehr verlassen. Am Morgen seien nur zwanzig Meter von seinem Haus entfernt drei Menschen von Israelis getötet worden, erzählt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er habe zwar große Angst, dass es zu keiner Einigung komme, aber die Tatsache, dass sich alle an einen Tisch gesetzt haben, zeige, dass Israel und Hamas auf Deeskalation setzen würden.
Vorreiterrolle fällt Ägypten zu
In Kairo sitzen Vertreter beider Seiten seit dem Wochenende am Verhandlungstisch, zusammen mit Vertretern aus Ägypten, Katar und der Türkei. "Israel pocht auf Sicherheiten. Man will, dass keine weiteren Raketen aus Gaza nach Israel geschossen werden. Die Hamas braucht eine Zusicherung, dass Israel die Blockade lockert und die Grenze zwischen Gaza und dem Rest der Welt öffnet", fasst Mekelberg die Forderungen beider Seiten zusammen.
Die Vorreiterrolle in den Verhandlungen spielen die Vertreter der ägyptischen Regierung, unterstützt von dem Golfstaat Katar. Denn: "Ägypten hat das politische Durchsetzungsvermögen, Katar die finanziellen Mittel", so Mekelberg, der auch am Regents College in London unterrichtet. Sind die Verhandlungen erfolgreich, würde Ägypten, das bereits mehrmals Waffenstillstände zwischen Israel und der Hamas vermittelt hat, gestärkt. "Das könnte der Durchbruch für den ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi als Friedensmakler in der Region werden", glaubt Mekelberg.
Letztlich würde Ägypten, der Türkei und Katar nichts anderes übrigbleiben, als die Hauptrolle zu spielen. "Die USA halten sich zurück, weil sie sonst über kurz oder lang irgendwann Druck auf Israel ausüben müssten", sagt Yezid Sayigh vom Carnegie Middle East Centre in Beirut.
UN spielt nur Nebenrolle
Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ist am Montag (19.11.2012) in Kairo zu Gesprächen mit Präsident Mursi eingetroffen; am Mittwoch soll er sich mit den israelischen und palästinensischen Delegationen treffen. Sayigh glaubt allerdings, dass die Rolle der UN relativ klein bleiben wird, solange die USA sich nicht stärker engagieren. Die Vereinten Nationen hätten nur so viel Macht, wie ihnen die Mitgliedsstaaten - allen voran die Mitglieder des Sicherheitsrates - zugestehen würden. "Aber die meisten sind im Moment nicht stark involviert und sind noch wegen der Lage in Syrien paralysiert." Sayigh glaubt, dass die Vereinten Nationen also einen ägyptischen Plan unterstützen würden.
Auch Omar Shahan ist überzeugt, dass die UN nur eine untergeordnete Rolle spielen werden. "Die Vereinten Nationen haben keinen großen Einfluss bei der Hamas. Schon allein deshalb, weil Ban Ki Moon erst zweimal in Gaza war." Auch er vertraut eher auf Ägypten und Katar.
Keiner hat Interesse an einem Krieg
Es liegt also an den regionalen Mächten, allen voran Ägypten, die eskalierende Gewalt zu beenden - und dessen seien sie sich auch bewusst, glauben Mekelberg und Shahan.
Ein Krieg in der Region, daran hätte keiner Interesse. Die Menschen in Gaza nicht - und auch nicht die Ägypter, "die mit vielen innenpolitischen Problemen zu kämpfen haben", so Mekelberg. Israel wolle keinen Krieg, sagte der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk am Montag, "weil wir wissen, dass es für alle verheerend sein wird". Ein Krieg in Gaza werde den Israelis nur vorübergehend Ruhe bringen.
Waffenstillstand ist keine dauerhafte Lösung
Vorübergehende Ruhe, mehr werde ein Waffenstillstand allerdings auch nicht bringen, glaubt Omar Shaban. "Ich glaube nicht, dass der Waffenstillstand lange eingehalten wird, es sei denn, es kommt zu einer echten politischen Lösung des Nahostkonflikts." Er plädiert dafür, dass die USA und Europa, allen voran Deutschland und Großbritannien, die beiden Seiten wieder an einen Verhandlungstisch drängen, um Friedensgespräche zu führen.
Allerdings fürchtet Shaban, dass militante salafistische Gruppierungen, die in den letzten Jahren in Gaza gewachsen sind, den Waffenstillstand unterlaufen könnten. "Bislang hat die Hamas es geschafft, sie immer wieder unter Kontrolle zu bekommen." Doch um die radikalen Gruppen in Zukunft stärker zu bekämpfen, glaubt Sayigh vom Carnegie Centre, wird die Hamas ein Abkommen mit Israel brauchen, bei dem beide Seiten sich etwa verpflichten, nur militärische Ziele anzugreifen: "Dann kann die Hamas sagen: Wir haben dieses Abkommen Israel aufgezwungen, an das müsst ihr euch jetzt auch halten."
Auch Mekelberg ist überzeugt, dass ein Waffenstillstand nur eine Interimslösung ist, nicht aber dauerhaften Frieden bringen kann. "Vielleicht kommen die beiden Seiten zur Einsicht, dass das Leben in Gaza erträglicher und dass Südisrael sicherer werden muss." Das sei der erste Schritt in Richtung eines politischen Prozesses, den der Nahe Osten so dringend brauche, nicht nur in den nächsten 48 Stunden.