Javier Milei: Mit dem Dollar durch die Wand
20. November 2023Argentiniens neuer rechtspopulistscher Präsident machte aus seinen Vorhaben nie einen Hehl: Bei Wahlkampfauftritten streckte er plakativ einen überdimensionalen 100-Dollar-Schein mit seinem eigenen Konterfei in die Höhe. Vor laufender Kamera zerhackte der 53-Jährige wütend ein Karton-Abbild der Notenbank. Die Botschaft: Argentinien braucht den US-Dollar! Die eigene Währung, der Peso, muss weg, die Zentralbank ebenso.
Beobachter gehen davon aus, dass Milei seinen radikalen Worten erst mal keine Taten folgen lassen kann. Denn im Parlament fehlen ihm und seiner Partei die Mehrheiten. Dennoch bekam der libertäre Ökonom im Wahlkampf auch viel Beifall für seine wirtschaftliche Schocktherapie.
Wohl auch weil Argentiniens Wirtschaft marode ist und kaum auf die Beine kommt. Die Inflation in Südamerikas zweitgrößter Volkswirtschaft liegt bei über 140 Prozent. Wegen einer Dürreperiode fallen die Ernten schlecht aus und Fleisch, Fisch und Soja sind die wichtigsten Exportgüter des Landes. Das macht sich bemerkbar: Die Armut wächst, während die Wirtschaft dieses Jahr schrumpfen soll. Viele Wähler sind frustriert von der Politik.
Dollar als schnelle Lösung
Geht es nach Javier Milei, soll die Einführung des US-Dollars Argentinien wieder auf den richtigen Pfad bringen. Schon andere Länder sind diesen Schritt gegangen. Dazu gehören Ecuador und El Salvador, die seit 2000 bzw. 2001 den Dollar als gültiges Zahlungsmittel akzeptiert haben. In Panama ist der Dollar bereits seit 1904 das Hauptzahlungsmittel.
Bei einem solchen Schritt erkennt der jeweilige Staat die US-Währung als gesetzliches Zahlungsmittel an. Ein festgelegtes Wechselkursverhältnis legt fest, zu welchem Kurs die bestehende Währung in Dollar umgerechnet wird. Die eigene Währung bleibt im Umlauf, wird aber meistens nicht mehr gedruckt und verschwindet allmählich aus dem Geldkreislauf.
Sowohl Ecuador als auch El Salvador haben den Dollar bis heute. Nach Einführung hat sich in beiden Ländern die Inflation beruhigt und die Wirtschaftsleistung konstant verstetigt. Dafür haben beide Länder seitdem aber auch mehr Schulden aufgenommen und die Staatsverschuldung ist noch weiter gestiegen.
In vielen anderen Ländern mit hohen Inflationsraten spielt sich vor allem eine informelle Dollarisierung ab. Während die eigenen Währungen an Wert verlieren, legen die Verbraucher meist Dollardevisen als "harte Reserven" zurück. In informellen Tauschstuben wird die lokale Währung dann teurer gegen Dollar getauscht - häufig mit dem Ergebnis, dass die Inflation weiter steigt. Das ist seit einigen Jahren auch in Argentinien der Fall.
Was sind die Vorteile einer Dollarisierung?
Ursachen für die desolate Verfassung der Wirtschaft und der Währung sind gravierende Fehler in der Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik. Milei und die Befürworter der Dollarisierung sind überzeugt: Entzieht man der Politik (also den als korrupt empfundenen Eliten) die Kontrolle über die Währung, lösen sich die Probleme von selbst.
Dazu gehört vor allem die Inflation. "Argentinien hatte schon immer eine hohe Inflation”, sagt Nils Sonnenberg, Konjunkturforscher beim Kiel Institut für Weltwirtschaft. “Seit der Einführung des Peso 1881 gab es fünf Währungsreformen, bei der 13 Nullen von den Geldscheinen gestrichen wurden. Und es gab zwei Hyperinflationen ohne Krieg."
Entsprechend gering ist das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Währung. Wer kann, bewahrt sein Geld in Währungen auf, die als stabiler gelten. Ende 2022 hielten die Argentinier mehr als 246 Milliarden US-Dollar auf ausländischen Konten oder als Dollarnoten - das entspricht rund der Hälfte der jährlichen Wirtschaftsleistung, so das argentinische Statistikamt. Und das, obwohl es seit 2019 Kapitalverkehrskontrollen gibt, die eine Flucht in Devisen erschweren sollen.
Dass die Zentralbank nicht in der Lage war, für eine stabile Währung zu sorgen, liegt auch an ihrer fehlenden Unabhängigkeit von der Politik. In Argentinien ist die Zentralbank dem Wirtschaftsministerium nachgeordnet. Die Regierung hat in der Vergangenheit Zentralbankchefs entlassen, sich Zugriff auf Reserven gesichert und die Bank zum Gelddrucken angehalten.
"In den letzten 122 Jahren - also seit 1900 - hatte Argentinien ein Haushaltsdefizit, also höhere Ausgaben als Einnahmen", sagt Sonnenberg im DW-Gespräch. "So ein Defizit muss man irgendwie decken - entweder über höhere Steuern oder über höhere Schulden. Und wenn man keine Schulden mehr machen kann, dann druckt man Geld."
Mit dem US-Dollar als nationaler Währung hätten argentinische Unternehmen und Haushalte wieder eine stabile Währung, mit der sie planen und wirtschaften können, so die Befürworter der Dollarisierung.
Was sind die Gefahren der Dollarisierung?
Die Vorteile der Dollarisierung sind zugleich auch ihre Nachteile: Wenn die nationale Politik keine Kontrolle über die Währung hat, schrumpft der Spielraum für politisches Handeln drastisch.
Egal, ob es um Subventionen, Sozialprogramme, den Bildungssektor oder die Finanzierung von Wahlversprechen geht - ohne eigene Währung wird das finanzielle Korsett deutlich enger.
Auch Rezessionen und wirtschaftliche Krisen wären deutlich schmerzhafter als ohnehin schon, wenn der Staat keine Mittel hat, um die größten Härten abzufedern.
Zudem wäre es nicht mehr möglich, sich durch die Abwertung der eigenen Währung einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, sei es für die heimischen Exporteure oder den Tourismussektor.
Argentinien kennt das Problem bereits. Zwischen 1991 und 2001 hatte das Land seine Währung per Gesetz an den US-Dollar gebunden - und zwar zum Kurs 1:1. Als Ende der 1990er Jahre wichtige Handelspartner wie Brasilien und Mexiko ihre Währungen gegenüber dem Dollar stark abwerteten, hatte die argentinische Wirtschaft ein Problem. Ihre Waren waren plötzlich zu teuer und kaum verkäuflich - Argentinien musste den 1:1-Wechselkurs wieder aufgeben.
Der Dollar ist für Argentinien also beides: Stabilitätsversprechen und Risiko zugleich. Ob, und wann er als Zahlungsmitteln eingeführt wird, ist noch offen. Sicher ist nur, dass der designierte Präsident Kompromisse eingehen muss, weil er keine politischen Mehrheiten hat.
Die Oppositionspartei Pro habe ihn zwar in der Stichwahl unterstützt und ihm zum Wahlsieg verholfen, verfolge aber einen gemäßigteren Reformkurs als Milei, sagt IfW-Experte Sonnenberg. “Ich denke, dass er sich an diese politischen Realitäten anpassen muss."