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Blind durch die Alfama

29. Mai 2009

Den Lissabonner Stadtteil Alfama können Touristen mit verbunden Augen entdecken. Ein blinder Stadtführer zeigt, dass es auch eine andere Sicht der Dinge gibt - die nichts mit dem visuellen Sehen zu tun hat.

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Menschen mit schwarzen Augenbinden stehen zusammen (Foto: DW/Elisabete Farinha)
Mit verbundenen Augen und einer roten Nelke im Knopfloch laufen sie durch die AlfamaBild: DW/Elisabete Farinha

Paula Brás will nachfühlen, welchen Schwierigkeiten und Hindernissen blinde Menschen in ihrem Alltag begegen. Hédio Junior will seine vier anderen Sinne - fühlen, riechen, hören und schmecken - wecken und nutzen, die sonst bei einer Stadtführung eher unwichtig sind.

Mit verbundenen Augen durch Alfama

Ein blinder Mann erklärt seiner Gruppe, die verbundene Augen hat, etwas (Foto: DW/Elisabete Farinha)
Carlos Silveira ist seit frühester Kindheit blindBild: DW/Elisabete Farinha

Sie stehen gemeinsam mit mir und den anderen Teilnehmern der Tour "Lisboa Sensorial" aufgeregt in der Rua dos Remédios. Wir warten hier auf unsere Führer. Neben Carlos Silveira, der seit frühester Kindheit blind ist, gehen auch so genannte sehende "Mitläufer" mit auf die Tour, bei denen wir "Kurzzeit-Blinden" uns einhaken können. In den nächsten anderthalb Stunden werden wir die Alfama, ein Viertel in Lissabon, "blind" erkunden.

Doch vorher erklärt uns Carlos Silveira, der seit frühester Kindheit blind ist, einige wichtige Details: "Um euren Spaziergang zu genießen, ist eines ganz wichtig: Ihr müsst absolutes, aber wirklich absolutes Vertrauen in eure Führer haben. Wenn ihr die Augen verbindet, vergesst für diese anderthalb Stunden eure Augen völlig. Der Boden unter euren Füßen ist nicht weg, er ist noch genauso da wie ihr ihn jetzt seht. Seid relaxed, konzentriert euch auf die anderen Sinne. Ihr werdet sie trainieren und euch dabei besser kennen lernen."

Vollstes Vertrauen ist nicht einfach

Menschen gehen durch eine enge Gasse und befühlen die Wände (Foto: DW/Elisabete Farinha)
Die Teilnehmer der Tour werden immer sicherer je länger die Reise dauertBild: DW/Elisabete Farinha

Nach dieser Einführung von Silveira tapsen wir unsicher los. Ich habe mich bei meinem Begleiter eingehakt. Vollstes Vertrauen müssen wir haben... Wir sehen ja nichts! Nach einigen endlos erscheinenden Metern hören wir Carlos Stimme: "So, schaltet jetzt euer Gehör ein und sagt mir: Wo sind wir? Was hört ihr?" Er klatscht in die Hände. "Sind wir an einem weiten oder schmalen Ort?" Und wir hören es: Wir sind an einem weitem Platz.

Nachdem wir den Jardim do Vigário, einer der wenigen grünen Flecken im eng bebauten Alfama, identifiziert haben, geht es weiter. Wir laufen durch enge Gassen, an deren Wänden wir uns voran tasten können bis zur Kirche Sao Estêvão und dem wenig bekannten Aussichtspunkt dort. Die Sicht sei atemberaubend, versichern uns die sehenden Führer.

Auf dieser Führung werden Bäume ertastet, Blätter gefühlt und relativ bald auch erkannt. José Antunes, unser sehender Stadt-Führer, macht uns darauf aufmerksam, dass sich der Boden unter unseren Füßen verändert hat. "Hier sind nicht mehr die großen Platten wie vor der Kirche. Ihr merkt, dass der Boden hier sehr unregelmäßig ist. Das kommt von den Baumwurzeln. Ihr werdet bis zum Baum dahinten noch einige Wellen im Boden spüren."

Zuhören leicht gemacht

Menschen mit verbundenen Augen betasten einen Baumstamm (Foto: DW/Elisabete Farinha)
Aida Brás wird mit verbundenen Augen von ihrer Begleiterin Mónica an einen Baum am Aussichtspunkt Igreja S. Estêvão geführtBild: DW/Elisabete Farinha

Der unebene Boden, die schmalen Gassen und Treppen - langsam verliert das alles seinen Schrecken. Nebenbei erfahren wir, dass Alfama beim Erdbeben von 1755 stark zerstört wurde, dass es aber im Gegensatz zu den reicheren Stadtteilen hier keinen offiziellen Wiederaufbau-Plan gegeben hat. Wir lernen, dass es öffentliche Bade- und Waschhäuser gibt, weil noch heute viele Häuser kein fließendes Wasser haben.

Anderthalb Stunden später und um einige spannende Eindrücke reicher dürfen wir die Augenbinden abnehmen. Jetzt sollen wir den Weg sehend zurückfinden - was erstaunlich gut funktioniert. Auch wenn es schwieriger gewesen ist, als die 59-jährige Aida Brás gedacht hatte. "Man läuft viel langsamer und hinterher merkt man, dass es gar nicht so viele Orte, so viele Straßen waren."

Blick auf Lissabon (Foto: DW/Elisabete Farinha)
Diesen Blick können die Teilnehmer nicht genießenBild: DW/Elisabete Farinha

Lächelnd gehen wir - nun wieder sehend - auseinander und sehen den Himmel ein bisschen blauer und die Bäume ein wenig grüner.


Weitere Informationen zur Tour "Lisboa Sensorial":

  • Diese ungewöhnliche Alfama-Führung kostet 20 Euro pro Person.
  • Normalerweise wird portugiesisch gesprochen, auf Anfrage auch englisch. Mehr Informationen finden Sie unter: www.lisbonwalker.com
  • Wer direkt anfragen möchte, kann dies über die Email-Adresse [email protected] tun.



Autorin: Elisabete Farinha
Redaktion: Julia Kuckelkorn