Das Versagen der Ökonomen
4. November 2013Die globale Finanzkrise und die Schuldenkrise in der Eurozone haben vor allem eines gezeigt: Die Wirtschaftswissenschaften taugen recht wenig, um solche Ereignisse vorherzusagen. Ihre Modelle haben versagt, sie gehen an der Realität vorbei, sagen viele Experten. Frank Riedel ist Professor für Mathematik und Ökonomie an der Universität Bielefeld und Direktor des Center for Mathematical Economics. Er hat ein Buch geschrieben: "Die Schuld der Ökonomen". Sein Credo lautet: "Prognosen haben keine wissenschaftliche Basis."
Und das hat nach seiner Meinung gleich mehrere Gründe. Deutschland hat etwa 40 Millionen Haushalte und rund zwei Millionen Unternehmen. Doch weil man schlecht 42 Millionen Verhaltensgleichungen aufstellen und ausrechnen kann, reduzieren die Wirtschaftswissenschaftler ihre Modelle auf einen repräsentativen Haushalt und eine Firma, die Deutschland WG und die Deutschland GmbH. "Diese Modelle sind ganz brauchbar, um volkswirtschaftliche Sachverhalte zu klären", sagt Riedel im Gespräch mit der DW. "Aber eher auf philosophischer Basis. Ein konkretes Wirtschaftswachstum kann man damit nicht berechnen."
Finanzmärkte außen vor
Hinzu kommt die recht fragwürdige Annahme, die 40 Millionen Haushalte würden sich wie ein "Homo Oeconomicus" verhalten, also jeweils rationale Entscheidungen treffen und sich in allen Situationen optimal verhalten. Wäre dem tatsächlich so, dürfte es nie einen Crash an der Börse geben. Für entscheidend hält der Bielefelder Mathematiker Riedel jedoch, dass die meisten mathematisch-statistischen Modelle die Finanzmärkte außen vor lassen - in der Annahme, sie hätten keine Auswirkungen auf die Realwirtschaft.
"Wer keine Finanzmärkte im Modell hat, kann natürlich auch keine Finanzkrise kommen sehen. Und Finanzkrisen haben natürlich einen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum", so Riedel zur DW. Gerade die jüngsten Krisen hätten ganz deutlich gezeigt, dass Unsicherheit und fehlendes Vertrauen unter den Banken ganz massive Auswirkungen auf Kredite und Investitionen, auf Arbeits- und Gütermärkte hätten.
Zahlen besagen nichts
Im Grunde wissen die Wirtschaftswissenschaftler, dass Wachstumsprognosen mit Zahlen hinter dem Komma völlig bedeutungslos sind, sagt der Bielefelder Ökonom Frank Riedel. Und nicht nur das: "Auch die Zahl vor dem Komma ist nichts wert." Wenn man etwa in die Langfassung der Gutachten schaue, dann werde dort eine Art Korridor genannt: "Mit statistischer Genauigkeit kann man etwa bei den jetzigen Gutachten nur so etwas sagen wie das Wirtschaftswachstum wird zwischen 0,6 und drei Prozent liegen." Und das sei nicht eben hilfreich.
Ähnlich argumentiert auch der Ökonom, Fondsmanager und Buchautor Max Otte, der bereits 2006 in seinem Buch "Der Crash kommt" die globale Finanzkrise vorhergesagt hat. In den Wirtschaftswissenschaften habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg der mathematische Dogmatismus und die Scholastik durchgesetzt, bemängelt der "Crashprofessor", wie ihn das Handelsblatt nennt. "Das könnte anders werden, wenn die Wirtschaftswissenschaften sich öffnen würden für soziologische Ansätze, ganzheitliche Ansätze." Das habe es mit der so genannten politischen Ökonomie schon einmal gegeben - doch die sei zunehmend verdrängt worden.
Im Prinzip sei die ganze Zunft der Wirtschaftswissenschaftler falsch aufgestellt, sagte Otte schon vor einem Jahr zur DW. "Es geht immer um gesellschaftliche Prozesse, es geht um Menschen, um Ungleichgewichte, um Machtstrukturen. Die Ökonomen arbeiten doch fast alle unter der Grundprämisse, dass der Markt es richtet. Aber es gibt den Markt nicht, es gibt ganz viele verschiedene Märkte, die unterschiedlich ticken und funktionieren. Da müsste man ansetzen - aber das sehe ich noch nicht."