Religionsausübung oder Polit-Statement ?
24. September 2014Die Streitigkeiten um das Tragen von Kopftüchern haben vor deutschen Gerichten bereits vor 15 Jahren begonnen. Damals klagte zum ersten Mal eine Muslimin. Sie wollte in Baden-Württemberg als Lehrerin während des Unterrichts nicht auf ihr Kopftuch verzichten. Es sei ein Ausdruck ihres Glaubens, argumentierte 1998 Fereshta Ludin, die 1995 aus Afghanistan kommend in Deutschland eingebürgert wurde und die Beamtenlaufbahn einschlagen wollte. Die damalige Kultusministerin von Baden-Württemberg verweigerte ihr die Übernahme in den Schuldienst. Das Argument: Lehrer sollten sich allen Schülern gegenüber in religiösen Fragen neutral verhalten. Dies sei in einem säkularen Staat wie Deutschland ein besonderes Gebot des öffentlichen Dienstes.
Im Laufe des Rechtsstreits fahndeten die Richter auf allen Ebenen nach Grundlagen, um ein möglichst gerechtes Urteil zu fällen. Beleuchtet wurde zum Beispiel die Frage, ob der Koran muslimischen Frauen wirklich zwingend vorschreibt, ein Kopftuch zu tragen. Befürworter sehen dies in der Sure 24 gegeben. Doch der Koran wird von Anhängern verschiedener Rechtsschulen unterschiedlich interpretiert. Dann wurde untersucht, ob deutsche Gesetze das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen verbieten. Es konnte kein Gesetz gefunden werden. Konsequenz: Das Bundesverfassungsgericht hob im September 2003 das Verbot zur Übernahme in den Lehrerberuf auf. Daraufhin verabschiedete das Land Baden-Württemberg ein neues Schulgesetz, das muslimischen Lehrern an öffentlichen Schulen untersagt, mit Kopftuch zu unterrichten. Das Problem damals wie heute: Nicht alle Bundesländer entschieden sich so. In Ostdeutschland verhält man sich zurückhaltend - ausgerechnet das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen schloss sich einem Verbot an. Dann der Paukenschlag: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hob im Jahr 2006 das Kopftuch-Verbot in Baden Württemberg wieder auf. Es müsse religiöse Gleichbehandlung herrschen, hieß es. Immerhin würden auch christliche Ordensschwestern in ihren religiösen Gewändern unterrichten. Dann müsse auch das Kopftuch tragbar sein. So begann ein bis heute unübersichtliches Rechtsdurcheinander, in dem jeder Einzelfall betrachtet werden muss.
Warum es immer wieder Streit gibt
Thomas Brinkmann ist Fachanwalt für Arbeit und Sozialrecht in der Wuppertaler Kanzlei Hopfgarten. Seit Jahren verfolgen er und seine Kollegen bundesweit Fälle und Urteile in Sachen Kopftuch. Deutsche Gerichte würden sich Entscheidungen dazu nicht leicht machen, versichert Anwalt Brinkmann. Es gebe nach seinen Beobachtungen weder eine Islam-Phobie noch ein unsachgemäßes Entgegenkommen gegenüber Muslimen vor den Gerichten, um nicht als muslimfeindlich zu gelten. "Das habe ich noch nicht erlebt", sagt Anwalt Brinkmann. Ein pauschales Gesetz, das die Streitigkeiten auf einen Schlag für immer beenden würde, könne es aufgrund der Religionsfreiheit nicht geben.
"Die Interessen jeder Seite sind zu berücksichtigen, also die Rechte von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern". Im Falle einer muslimischen Richterin hieß dies, dass sie kein Kopftuch tragen darf. In Berlin gilt ein komplettes Verbot religiöser Symbole für alle Staatsdiener. Zu den Symbolen gehören christliche Kreuze ebenso wie auch die jüdische Kippa. Berlin wolle im öffentlichen Raum deutlich machen, dass alle Religionen gleich behandelt werden.
Komplizierter sei es in vielen Fällen im privatwirtschaftlichen Bereich. "Da wird dann untersucht, ob bei der Gläubigen wirklich eine religiöse Einstellung tief verankert ist, seit wann und wie oft ein Kopftuch auch in der Freizeit getragen wird", berichtet Thomas Brinkmann von seinen Fällen. Andererseits habe es ein Arbeitgeber schwer, ein Kopftuchverbot durchzusetzen, wenn eine Angestellte gar keinen Kontakt zu Kunden habe, die vielleicht an dem Kopftuch Anstoß nehmen könnten. Der Arbeitgeber kann nur auf ein Kopftuch-Verbot drängen, wenn dies von vornherein ein Arbeitsvertrag festgelegt hätte. Bei konfessionell orientierten Arbeitgebern wie kirchlichen Einrichtungen zum Beispiel sei es naheliegend, dass Bekenntnisse von Arbeitnehmern zu anderen Religionen nicht hingenommen werden müssten.
Willkür jedenfalls herrsche vor deutschen Gerichten nicht, was erklärt, warum der Zentralrat der Muslime bisher nicht lautstark gegen Urteile protestierte. Thomas Brinkmann wird dazu deutlich: "Bisher konnte ich alle Urteile nachvollziehen." Die Tendenz der Gerichte gehe ohnehin dazu über, dass Entscheidungsrecht zu einer Religionsausübung zu stärken. "Das geschieht mehr als früher", sagt der Anwalt. Sein Eindruck wird von vielen weiteren Rechtspflegern geteilt. Ohnehin sei das Problem nicht allzu groß. Nach einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2009 tragen nur 25 Prozent der Musliminnen ab 16 Jahren in Deutschland ein Kopftuch. 70 Prozent tragen es nie.