Die Welt steht auf fürs Klima
20. September 2019Zum Auftakt des Klimastreiks in Deutschland haben Aktivisten am Morgen in mehreren Städten den Autoverkehr mit Blockaden und Fahrraddemonstrationen gestört. Es kam zu langen Staus, unter anderem in Frankfurt am Main. In Dutzenden deutschen Städten sind über 500 Aktionen und Demonstrationen angemeldet. Eine der größten Demonstrationen mit 10.000 erwarteten Teilnehmern soll es in Berlin geben. In den anderen deutschen Millionenstädten München, Hamburg und Köln sind ebenfalls größere Proteste geplant.
In Australien und der Pazifikregion begann der globale Streik für mehr Klimaschutz. Mindestens 300.000 Menschen beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter an verschiedenen Aktionen. Zehntausende Schüler blieben aus Protest gegen unzureichende Maßnahmen der Politik gegen den Klimawandel dem Unterricht fern. In der Stadt Alice Springs im Zentrum Australiens legten sich Hunderte Menschen demonstrativ auf den Boden und stellten sich tot. Auf den vom steigenden Meeresspiegels besonders bedrohten Inseln Vanuatu, den Salomonen und Kiribati starteten bei Sonnenaufgang Protestaktionen, Kinder sangen "Wir sinken nicht, wir kämpfen".
Auch in Indien und Indonesien prangerten Demonstranten die Erderwärmung an und forderten von der Politik sofortige Gegenmaßnahmen an. Weltweit erwartet die Jugendbewegung Fridays for Future eine große Beteiligung.
Anlass ist der bevorstehende Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York. Die Organisatoren der deutschen Proteste wollen zudem ein Signal an das Klimakabinett in Berlin senden, das an diesem Freitag sein Maßnahmenpaket vorstellen will.
Allerdings ringt der Koalitionsausschuss nach nächtlichen, mehrstündigen Beratungen über das geplante Paket zum Klimaschutz am Freitagmorgen noch um eine Einigung. Die Verhandlungen seien "sehr hart", verliefen aber sachorientiert, hieß es. Die Maßnahmen sollen sicherstellen, dass Deutschland sein Ziel erreicht, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken, verglichen mit dem Stand von 1990. Im Kanzleramt kam am frühen Abend Regierungschefin Angela Merkel (CDU) mit den Spitzen von Union und SPD zusammen. Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) stieß gegen 22 Uhr zu der Runde dazu. Die Verhandlungen dauern noch an.
Steuer - oder keine Steuer?
Im Anschluss soll das Klimakabinett der Regierung die Maßnahmen beschließen. Danach ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit vorgesehen. Ein zentraler Streitpunkt war bis zuletzt der Preis für den CO2-Ausstoß. Während die SPD auf eine CO2-Steuer drang, befürwortete die Union einen Handel mit Emissionsrechten. Doch dies war nicht der einzige Punkt, der Agenturberichten zufolge zuletzt noch strittig war.
Gesondert gesprochen wurde über den beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und die Akzeptanz beispielsweise von Windrädern. Gewünscht ist in dieser Frage, bis 2030 den Ökostrom-Anteil auf 65 Prozent zu steigern - gerade sind es etwa 38 Prozent. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz, 2038 soll spätestens Schluss sein mit der Kohle-Verstromung. Aber wie und wo genau mehr Solaranlagen und Windräder entstehen sollen, ist höchst umstritten. Denn vor Ort gibt es oft heftigen Widerstand der Anwohner.
Experte warnt die Koalition
Der Klimaexperte Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) warnte die Koalitionsparteien vor einer Mogelpackung. "Die Bepreisung von CO2 ist der entscheidende Hebel, um den Klimagasausstoß wirklich zu senken", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Notwendig sei ein System mit einem Mindest- und einem Höchstpreis pro Tonne CO2 und klaren Mechanismen für den Fall, dass die Obergrenze überschritten werde, mahnte Pahle. Der Wissenschaftler rief Union und SPD auf, sie sollten "sich nicht in Einzelmaßnahmen verfransen". Deutschland stehe auch international in der Verantwortung, "eine Politik umzusetzen, die CO2 umfassend und kostengünstig vermeidet und dafür einen klaren langfristigen Plan verfolgt".
Auch mit Blick auf die Proteste warnte die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer vor einer Spaltung der Gesellschaft beim Thema Klimaschutz. "Wenn wir die Klimawende, die Energiewende, die Verkehrswende und die digitale Wende meistern wollen, brauchen wir die gesamte Gesellschaft", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin der Deutschen Presse-Agentur. Es müsse auch Politik für die Menschen gemacht werden, die sich sehr um den Klimaschutz sorgten, aber nicht viel Geld hätten, weitere Strecken pendeln müssten und die kein Geld für neue Fenster oder eine neue Heizung hätten.
ml/ust/kis (dpa, afp, rtr)