Gefahr neuer Rüstungsdynamik in Nahost
5. August 2005DW-WORLD: Warum haben die Europäer so lange gezögert ihren Vorschlag zu präsentieren?
Oliver Thränert: Das hängt meiner Meinung nach vor allen Dingen damit zusammen, dass ein neuer iranischer Präsident gewählt worden ist, der auch zunächst mal seine Regierung aufstellen muss, einen neuen Außenminister benennen muss und es auch eine ganze Zeit lang fraglich war, ob der bisherige iranische Verhandlungsführer Rowhani diese Arbeit weiter machen würde. Den Europäern ist natürlich daran gelegen, einer sozusagen funktionierenden iranischen Verhandlungsdelegation ihren Vorschlag zu unterbreiten.
Wird Europas Rolle dadurch gegenüber den Amerikanern geschwächt?
Nein, ich denke, Europa hat hier eine wichtige Rolle gespielt, hat sich entschlossen gezeigt, nach dem Desaster um den Irak, hier ein Proliferationsproblem gemeinsam, aber kooperativ und auf diplomatischem Wege zu lösen, hat eine wesentliche Initiative ergriffen, hat dazu beigetragen, dass durch die Verhandlungen mit den Iranern auch das dortige Atomprogramm zunächst einmal verlangsamt wurde, denn die Iraner haben sich ja bereit erklärt, während der Dauer der Verhandlungen ihr Uran-Anreicherungsprogramm zu suspendieren. Somit haben die Europäer sehr viel Aktivität gezeigt, während die amerikanische Bush-Administration vergleichsweise passiv geblieben ist.
Glauben Sie, dass die Iraner die jetzige diplomatische Kooperation fortsetzen und dem Druck der Europäer nachgeben werden?
Ich glaube, den Iranern ist nach wie vor nicht daran gelegen, international isoliert zu werden, auch dem neuen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad wird sicherlich nicht daran gelegen sein, dass sein Land unmittelbar nach seinem Amtsantritt in den UN-Sicherheitsrat gebracht wird und dort behandelt wird. Äußerungen des religiösen Führers Chamenei bei der Amtseinführung von Ahmadinedschad am Mittwoch (3.8.2005), dass man keine überhasteten Aktionen durchführen sollte in der Außenpolitik, deuten darauf hin, dass die iranische Seite bereit ist, und so hat es ja Ahmadinedschad auch schon von vornherein gesagt, die Verhandlungen mit den Europäern im Prinzip fortzuführen. Man versucht allerdings, und das ist aber nicht unbedingt etwas Neues, sondern stellte sich von Anfang an als Problem, auf die Europäer einen gewissen Zeitdruck auszuüben.
Was ist von dem neuen Präsidenten zu erwarten? Man sagt, dass er ein Erzfeind der US-Amerikaner ist. Ist das tatsächlich so?
Es ist schwer zu sagen. Er ist außenpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Er ist im Grunde genommen auch innenpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Die ersten Äußerungen, die man von ihm gehört hat, deuten darauf hin, dass er im Moment kein gesteigertes Interesse daran hat, die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu normalisieren. Darin unterscheidet er sich ganz wesentlich von seinem Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf, Rafsanjani, der ja die Option oder die Perspektive eröffnet hatte, die Beziehungen zu den Amerikanern neu zu gestalten. Daran scheint Ahmadinedschad nicht interessiert zu sein. Aber auf der anderen Seite scheint mir auch klar zu sein, dass er die Versprechungen, die er seinen Wählern gegenüber gemacht hat, nämlich die Wirtschaft voran zu bringen, nur einlösen kann, wenn er sich auch auf eine gewisse Integration des Iran in die internationale Ökonomie einlässt.
Welche Gefahr stellt der Iran mittelfristig für den Westen dar?
Ich denke, dass es eine sehr gefährliche Entwicklung wäre, wenn der Iran tatsächlich Atomwaffen entwickeln würde. Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass der Iran zugleich ein sehr aktives Raketenprogramm unterhält. Sie können mittlerweile Raketen mit Reichweiten von bis zu 1500 Kilometern bauen. Sollte der Iran tatsächlich hier Atomwaffen entwickeln, dann könnte es zu einer Rüstungsdynamik in der ganzen Region kommen, was sicherlich zu einer Destabilisierung im Nahen und Mittleren Osten führen würde. Daran kann Europa kein Interesse haben.
Dr. Oliver Thränert ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.