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Gehört die Demokratie ins Museum?

Stefan Dege mit Agenturen
6. Juni 2024

Das deutsche Grundgesetz feierte gerade seinen 75. Geburtstag - in einer Zeit, in der Rechtsextremismus zunimmt. Passend dazu stellt die Bundeskunsthalle in Bonn die Demokratie in einer Ausstellung auf den Prüfstand.

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Kunstinstallation mit dem Spruch "Are we the people?"
Eine Installation der Künstlerin Lerato Shadi in der Ausstellung "Für Alle! Demokratie neu gestalten" in der BundeskunsthalleBild: Courtesy die Künstlerin Lerato Shadi, Foto: dewil.ch

Ein Berg aus gestapelten Stühlen empfängt das Publikum der Bundeskunsthalle in Bonn. Das Kunstwerk heißt "Sturzlage" - es handelt sich bei den Sitzgelegenheiten um die originalen Stühle, die kurz nach dem Mauerfall um den sogenannten Runden Tisch standen. Auf ihnen tagten Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler kurz nach dem Zusammenbruch der DDR über die demokratische Zukunft ihres Staates. Die Botschaft: Demokratie ist wertvoll, macht aber auch viel Arbeit. "Für alle! Demokratie neu erfinden" hat das Museum die Ausstellung genannt, nur wenige Tage nach dem 75. Geburtstag des deutschen Grundgesetzes und sehr passend zur Bedrohung liberaler Demokratien durch Rechtspopulisten und Autokraten.

Ein Mann pumpt mit einer Handpumpe eine weiße Plastikskulptur auf
Steht nur, wenn sie von Menschenhand aufgepumpt wird: die Göttin der Demokratie, ein Kunstwerk der Künstlergruppe zweintopfBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Auch in den Ausstellungsräumen gibt es einen "Runden Tisch". Hier können und sollen sich die Besucher im Gespräch darüber verständigen, was sie damit anfangen wollen. Tischtennis spielen? Reden? Bücher lesen? Gleich daneben kann man mit Luftpumpen eine überlebensgroße "Göttin der Demokratie" aus Plastik aufblasen. Pumpt niemand, fällt sie in sich zusammen - eine Idee des Künstlerduos zweintopf.

Blick zurück nach vorn

Auch eine sogenannte Kontroversenwippe der Künstlerin Esra Gülmen lädt spielerisch zum gemeinsamen Diskutieren über Kompromisse ein. Die Bundeskunsthalle will Demokratie in Handlung verwandeln und hat deshalb ein "Fitnessstudio" installiert. "Der demokratische Muskel muss immer wieder trainiert werden", sagt Eva Kraus, die Intendantin des Hauses. Was heißen soll: Demokratie ist kein Selbstläufer, sie muss ständig neu erarbeitet werden. "Wir sollten uns nicht als Kunden der Demokratie verstehen", ergänzt denn auch Kuratorin Johanna Adam, "denn Demokrat sein heißt nicht, nur alle vier Jahre zur Wahl zu gehen". Was sie noch bedeuten kann, davon gibt die Ausstellung ein Bild. 

Blick in die Ausstellung: ein weißes Kioskgebäude, dessen Rollläden geschlossen sind
Der "Kiosk der einfachen Antworten" bleibt geschlossen, ein Werk der Rostocker Künstergruppe SchaumBild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Die Schau wirft einen Blick zurück nach vorn. Sie bietet einen Streifzug durch die lange  Geschichte der Demokratie. So zeigt etwa der Nachbau einer hölzernen Losmaschine aus dem antiken Griechenland, wie vor 2.500 Jahren in Volksversammlungen politische Ämter ergeben wurden - per Los! Ämter sollten per Zufall und nur für kurze Zeit an eine Person vergeben werden, um so Korruption zu verhindern. Zum Vergleich: In Deutschland kann ein Bundeskanzler - wie zuletzt Angela Merkel - über mehrere Amtsperioden an der Macht bleiben, gewählt vom Volk.

Die Amerikanische Revolution (1765 - 1783), die Französische Revolution (1789 - 1799), die deutsche Märzrevolution von 1848: Auch diese Volksbewegungen werden in Fotos und Schauwänden erläutert. Nicht selten waren es gesellschaftliche Gruppen, die sich ihr Recht auf Mitbestimmung erkämpften: Die Künstlerin Beate Passow spannt in ihrer Tapisserie "Das Wahlrecht" (2023) den Bogen von bayerischen Frauen, die 1919 für das Wahlrecht kämpften, hin zu amerikanischen Frauenrechtlerinnen  der 1960er-Jahre.

Die Schau illustriert dies mit rund 60 Werken aus Kunst, Design, Film und Fotografie. Vertreten sind etwa der deutsche Aktions- und Politkünstler Joseph Beuys (1921-1986), die feministischen Aktivistinnen "Guerilla Girls", die US-Konzeptkünstlerin Jenny Holzer, Barbara Klemm, die über Jahrzehnte das politische Leben in Deutschland mit der Kamera festhielt, oder auch der Fotograf Wolfgang Tillmans, der sich mit einer Plakatkampagne gegen den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union stemmte. Nicht nur Politiker, auch Künstler erheben ihre Stimme im demokratischen Meinungsstreit.

Enttäuschte DDR-Bürgerrechtler

Drei junge DDR-Bürger auf einem historischen Foto aus dem Jahr 1990
Blickten freudig in eine demokratische Zukunft: junge DDR-Bürger im Wendejahr 1990Bild: Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Demokratiegeschichte erzählt bisweilen auch von vertanen Chancen: Als Bürgerrechtler der früheren DDR 1989/90 nach dem Mauerfall versuchten, das (westdeutsche) Grundgesetz um Aspekte wie Gleichberechtigung oder Umweltschutz zu ergänzen, drangen sie mit ihrem Verfassungsentwurf nicht durch. Die DDR-Volkskammer beschloss im August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik. Die Bundeskunsthalle dokumentiert das mit Videostatements enttäuschter Ex-Bürgerrechtler.

Doch auch heute ist Demokratie keine leichte Übung, wie etwa die Demonstrationen der letzten Monate auf Deutschlands Straßen gegen die rechtsextreme Partei AfD gezeigt haben. Die Künstlergruppe SCHAUM unterstreicht diese Erkenntnis mit einem "Kiosk der einfachen Antworten". Dieser sieht mit seinen weißgestrichenen Holzwänden zwar einladend aus. Doch Erfrischungen gibt es nicht, der Rollladen bleibt geschlossen. Sehenswert auch Oliver Resslers Acht-Kanal-Videoinstallation "Was ist Demokratie?" mit Antworten von Aktivistinnen und Aktivisten aus 18 Städten weltweit. Da beklagt eine Schweizerin die Dominanz der Wirtschaft, die demokratische Strukturen untergrabe. Und ein US-Aktivist weist auf die rechtsfreien Räume geheimer Militäranlagen hin.

Eine antike Losmaschine aus dem klassischen Griechenland.
Als Demokratie noch per Los funktionierte: In der Ausstellung ist auch ein rekonstruiertes Kleroterion (altgriechisch: "Los") zu sehen, eine antike Losmaschine aus Griechenland, mit deren Hilfe in Athen fast alle politischen Ämter vergeben wurden.Bild: Thomas Banneyer/dpa/picture alliance

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Mitmach-Angebote. Doch auch eine neue demokratische Idee ist in die Schau eingeflossen: Die Bundeskunsthalle und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden haben im vergangenen Jahr gemeinsam zwei sogenannte "Bürgerräte" einberufen. Aus zufällig angeschriebenen Personen wurden 64 ausgewählt, um Vorschläge zu machen, wie die Kulturinstitutionen offener, einladender und integrativer werden können. So führen jetzt ein Leitsystem und Audiobeschreibungen sehbehinderte Menschen durch die Schau. Die Saaltexte wurden in Leichter Sprache verfasst. Teilhabe, so die Botschaft, ist der Kern von Demokratie. Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle dauert noch bis zum 13. Oktober.