Verleger Klaus Wagenbach ist tot
20. Dezember 2021Im Laufe seines Lebens hat der gebürtige Berliner manche Illusion und viele Gerichtsprozesse verloren, aber nie den Humor und sein glucksendes Lachen. Klaus Wagenbach war eine facettenreiche Frohnatur und ein politischer Querkopf, streitlustig und zeitlebens bereit, sich einzumischen, sich Angelegenheiten zu eigen zu machen. Warum, erklärte er einmal so: "Wenn man will, dass dieser Staat funktioniert oder diese Gesellschaft funktioniert, dann kann man nicht alles, was einem angetragen wird, ablehnen. Und sagen, das interessiert mich nicht."
Eigenwilliger Querkopf
Ein Linker wurde Klaus Wagenbach, weil er eine Stinkwut auf den Fehlstart der Bundesrepublik nach 1949 hatte. Ein Leser wurde er aus Neugier, ein Buchproduzent aus Leidenschaft und Verleger zunächst aus einer Not heraus. In den Verlagen S. Fischer und Suhrkamp hatte sich der junge Mann ausbilden lassen, dann studierte er Germanistik, Kunstgeschichte und Archäologie, promovierte über Franz Kafka, seinen geliebten, verehrten Franz Kafka, und wurde schließlich Lektor beim S. Fischer Verlag. Das Glück währte freilich nicht lange, denn Klaus Wagenbach flog raus, wegen "Eigensinns", wie es so schön hieß.
In dieser prekären Situation gründete er 1964 den Verlag Klaus Wagenbach - und zwar im eingemauerten West-Berlin, das mitten in der DDR lag. Seine Idee: einen Ost-West-Verlag aufzuziehen.
Zwischen Ost und West
Für kurze Zeit erschienen hier tatsächlich neben Titeln der DDR-Autoren Johannes Bobrowski, Stephan Hermlin und Wolf Biermann auch Bücher der Westdeutschen Christoph Meckel, Günter Grass und Friedrich-Christian Delius. Dem machte die Staatssicherheit (kurz: Stasi) der DDR allerdings bald ein Ende. Denn Klaus Wagenbach hatte sich nicht wohlgefällig verhalten und musste dafür einen hohen Preis bezahlen. Trotz deutlicher Warnungen hatte er den Vertrieb des Buches "Drahtharfe" nicht eingestellt - dieser Sammlung polemischer, gesellschaftskritischer Gedichte von Wolf Biermann, gegen den im Dezember 1965 in der DDR ein totales Auftritts- und Publikationsverbot verhängt wurde.
Genosse Klaus
Damals, erinnerte sich Klaus Wagenbach später, sei er sehr deprimiert gewesen. "Ich hatte Lizenzverbot, Einreiseverbot, Durchreiseverbot. Ich kam überhaupt aus West-Berlin nur mit einem Flieger raus. Und das war natürlich für einen Anfang ein ungeheures Obstakel. Naja, und ein Jahr später begann dann die Studentenbewegung. Und da haben sich die Studenten umgeguckt, wo sie einen Verlag haben könnten, und da war der Genosse Klaus."
Der am häufigsten vorbestrafte Verleger
Fast ein Jahrzehnt lang - damals, in den wilden Jahren nach der Studentenrevolte 1968 - waren Wagenbachs Berliner Verlagsräume Nachrichtenbörse und Dienstleistungsbetrieb der Linken, mit entsprechend regelmäßigen Hausbesuchen der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Vor Gericht ließ er sich stets von Otto Schily vertreten, dem Wahlverteidiger von Mitgliedern der linksextremistischen terroristischen Rote-Armee-Fraktion, Mitbegründer der Grünen, späterem Bundesinnenminister und langjährigem Freund. Aber zumeist hatten die beiden das Nachsehen, weshalb Klaus Wagenbach für sich beanspruchen durfte, der am häufigsten vorbestrafte deutsche Verleger zu sein. "Aber wir haben erreicht, dass immer zähneknirschend am Schluss stand: Von einem Berufsverbot - das gibt es nämlich für Verleger - konnte für dieses Mal abgesehen werden. Und das war der Sieg. Da konnten wir weiter machen", erzählte er in Interviews.
Und zwar öffentlichkeitswirksam. Denn mit seinen politischen Büchern und Essays stieß Wagenbach in eine Marktlücke, an seinen "Rotbüchern", der Kulturzeitschrift "Kursbuch" sowie dem "Roten Kalender" für Schüler und Lehrlinge führte kein Weg vorbei. Hinzu kamen im Laufe der Jahre italienische Literatur und Kunst, die Lieblinge Erich Fried und Franz Kafka, die Kulturzeitschrift "Freibeuter", der "Tintenfisch", ein Jahrbuch für Literatur, und die Reihe "Salto", die in schönem rotem Leinen daherkam.
Schöngeist und Genießer
Kaum ein anderer deutscher Verleger hat sein Verlagsprogramm so kompromisslos geprägt wie Klaus Wagenbach. Und dabei wollte er nie nur gute, wichtige Titel verlegen, sondern immer auch haptische Sensationen, die man beschnüffeln und zärtlich umblättern mag. Aus manchen dieser Bücher sind dann Bestseller geworden. 2002 übergab Wagenbach die Verlagsleitung an seine dritte Frau, Susanne Schüssler. Acht Jahre später zog er sich dann endgültig aus der Lektoratsarbeit zurück und genoss den Ruhestand.
Zeit seines Lebens erhielt der undogmatische Verleger unzählige Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse oder den Ritterorden der französischen Ehrenlegion. Er selbst verlieh sich selbstironisch einen ganz eigenen Titel als "Kafkas dienstälteste, lebende Witwe" - schließlich hatte er nicht nur intensive Forschungen über den Autoren betrieben, sondern war auch stolz auf die weltweit wohl größte Sammlung an Fotografien zu Franz Kafka.
Wagenbach starb bereits am 17. Dezember in Berlin, wie sein Verlag jetzt mitteilte - "begleitet von seiner Familie und umgeben von seinen Büchern". "Seinem Lebensmotto entsprechend werden wir seinen Verlag weiterführen: 'Gewonnen kann durch Trübseligkeit nie etwas werden'."
Dies ist die aktualisierte Fassung eines früheren Artikels zum 80. Geburtstag von Klaus Wagenbach.