Kampf um Wohlstand, Gesundheit und Überleben
20. März 2023Steigende Temperaturen, Naturkatastrophen und die Veränderung der Ökosysteme werden immer lebensbedrohlicher für den Menschen und die Natur. Und das überall, in "jeder Region weltweit”. So stellen es die Mitglieder des wichtigsten wissenschaftlichen Gremiums zu Klimafragen (IPCC) in ihrem heute veröffentlichten Bericht zur Lage der Klimakrise fest. Der bisher geleistete Klimaschutz sei "nicht ausreichend", um diese Entwicklung aufzuhalten.
"Die Umsetzung wirksamer und gerechter Klimaschutzmaßnahmen wird nicht nur die Verluste und Schäden für Natur und Menschen verringern, sondern auch einen größeren Nutzen bringen", so der IPCC-Vorsitzende Hoesung Lee. Der Bericht unterstreiche die Dringlichkeit ehrgeizigerer Maßnahmen und zeige, dass man immer noch eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft für alle gewährleisten könne - vorausgesetzt, man tue jetzt auch was.
Klimaschutz kommt zu kurz
Die Kernbotschaft ist damit eindeutig: Der Mensch hat den Planeten in nur wenigen Jahrhunderten massiv verändert und ist durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas für den Klimawandel verantwortlich. In den vergangenen zwei Millionen Jahren waren die CO2-Konzentrationen in der Erdatmosphäre zu keinem Zeitpunkt so hoch wie heute.
Schon heute hat sich die Erde deshalb um mindestens 1,1 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten erwärmt. 2015 hatten sich die Staats- und Regierungschefs in harten Verhandlungen auf das gemeinsame Ziel geeinigt, die Erderwärmung auf idealerweise 1,5 Grad zu begrenzen. Bisher liegt kein größeres Land im Zeitplan, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Szenarien zur weiteren Entwicklung des Klimas zeigen laut IPCC deutlich, dass nur mit einer radikalen Energiewende der Klimawandel aufgehalten werden kann. Außerdem müssten Maßnahmen zur Anpassung an die heute schon sichtbaren Effekte des Klimawandels ergriffen werden. Dies werde Leben retten und sei sogar günstiger als die Folgekosten eines ungebremsten Klimawandels auf Wirtschaft und Gesellschaft. Vor allem die Risiken bei Nichteinhaltung des 1,5-Grad-Ziels werden im Vergleich zu vorherigen Berichten noch deutlicher hervorgehoben.
"Ohne unverzügliche, wirksame und gerechte Maßnahmen zur Eindämmung und Anpassung, bedroht der Klimawandel zunehmend Ökosysteme, die biologische Vielfalt , die Lebensgrundlagen, die Gesundheit und das Wohlergehen heutiger und künftiger Generationen", so die Autoren.
Das Zeitfenster dies zu erreichen, schließt sich allerdings schnell, so die Wissenschaftler. Bis 2030 müsste die Weltgemeinschaft ihre Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas fast halbieren, ansonsten drohen deutlich höhere Temperaturen.
"Ein rascher und gerechter Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen sowie ein Umstieg auf erneuerbare Energien ist unabdingbar und birgt darüber hinaus großes Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung auf der ganzen Welt," kommentiert Sven Harmeling von der Nichtregierungsorganisation CARE den Bericht in einer Pressemitteilung.
Kritik an den Modellen
Der Weltklimarat oder Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist ein UN-Gremium, das die aktuelle Forschung zur Klimakrise analysiert. Die Experten werten dann gemeinsam tausende wissenschaftliche Studien und auch Regierungs- und Industrieberichte aus, um daraus eine umfassende Analyse zu den Veränderungen und den Risiken durch den Klimawandel zu erstellen. Der aktuelle Bericht ist eine übergreifende Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse.
Der IPCC-Bericht ist unabhängig. Über den Inhalt der Zusammenfassung und den Empfehlungen an die Politik, stimmen allerdings die Vertreter von 195 Ländern ab. Die Wortwahl wird dadurch oft vage.
"Die Zusammenfassung ist immer auch ein Gradmesser dafür, was die Länder gerade bereit sind umzusetzen," so Annika Schroeder Klimaexpertin bei der Entwicklungsorganisation Misereor. Für Schroeder nehmen beispielsweise Mechanismen zur CO2-Abscheidung und -Entnahme aus der Atmosphäre einen zu prominenten Teil bei den Klimaschutzszenarien ein. Einige der sogenannten CDR-Technologien (Carbon Dioxide Removal) sind bisher noch gar nicht für den Massenmarkt vorhanden. Zwar könne die Temperatur teilweise mit solchen Methoden wieder gesenkt werden. Schäden, wie das Schmelzen der Gletscher, des arktischen Eises oder der Anstieg des Meeresspiegels könne allerdings nicht rückgängig gemacht werden, heißt es in dem Bericht.
Das Bundesumweltamt hatte kürzlich einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass sich die Schäden durch den Klimawandel allein in Deutschland bis 2050 auf bis zu 900 Milliarden Euro belaufen könnten. Zwar müsse in diese Technologien investiert und daran geforscht werden, so Schroeder. Beim Klimaschutz dürfe man aber nicht darauf warten bis sie soweit sei. "Und das ist die große Gefahr, die jetzt auch in der Berichterstattung des IPCC Berichts liegt."
Mit der Aussicht Mechanismen zu entwickeln, die die Temperaturen leicht senken können, könnte es verlockend sein die Emissionen nicht so drastisch zu reduzieren, ergänzt Matthias Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität München, einer der 93 Autoren dieses Syntheseberichts. Davon rät er allerdings ab. "Aus Risikosicht ist es nicht verlockend. Es birgt ernste Risiken. Wir sollten wirklich versuchen, dies zu vermeiden."
Was heißt 1,5 Grad und mehr?
Jedes zehntel Grad mehr oder weniger Erderwärmung machten einen Unterschied und könnten über den Kollaps ganzer Ökosysteme entscheiden, Inselstaaten wegspülen oder Küstenregionen unbewohnbar machen. So wäre zum Beispiel der Anstieg des globalen Meeresspiegels bis zum Jahr 2100 bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad im Vergleich zu zwei Grad um 10 cm niedriger.
Die Antarktis würde wahrscheinlich nur einmal pro Jahrhundert im Sommer eisfrei sein, bei einer zwei Grad-Erwärmung einmal pro Dekade. Außerdem wären schon bei zwei Grad 99 Prozent der Korallenriffe verloren. Starke Regenfälle, die früher einmal pro Jahrzehnt auftraten, sind bereits heute um 30 Prozent wahrscheinlicher geworden. Bei einer weiteren Erwärmung um 3 Grad werden sie jedoch zwei- oder sogar dreimal pro Jahrzehnt auftreten und ein Drittel mehr Wasser freisetzen.
Dürren, die früher alle zehn Jahre auftraten, werden den Boden viermal pro Jahrzehnt unfruchtbar machen. Hitzewellen, die bereits heute 2,8-mal wahrscheinlicher und 1 Grad heißer sind als vor der industriellen Revolution, werden 9,4-mal wahrscheinlicher und 5 Grad heißer sein. "Klimagerechtigkeit ist von entscheidender Bedeutung, denn diejenigen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, sind unverhältnismäßig stark betroffen", so Aditi Mukherji Co-Autorin des Berichts.
Nicht hilflos - Lösungen gibt es genug
Möglichkeiten weniger Treibhausgase zu verursachen, gibt es zuhauf: Sei es durch eine Diät mit weniger Fleischanteil, die Elektrifizierung des Verkehrs, die Umstellung der Stahlindustrie auf Wasserstoff, das Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs oder den Schutz der Artenvielfalt und der Wälder.
Um dies zu verhindern, brauche es jetzt "massive und parallele Maßnahmen", so Tom Mitchell, geschäftsführender Direktor des Internationalen Instituts für Umwelt und Entwicklung (IIED). "Ob es uns gefällt oder nicht, die einzige Option ist eine solidarische und gemeinsame Verantwortung, bei der jeder seinen Teil beitragen muss."
Für die Begrenzung der Klimakrise sind nicht nur Staaten gefragt. Der ökologische Fußabdruck von Städten und Regionen, der Landwirtschaft und des Konsumverhaltens müsste ebenfalls auf ein Minimum reduziert werden. An erster Stelle stehe allerdings der schnelle Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas und die gleichzeitige Elektrifizierung des globalen Energiesystems hauptsächlich basierend auf Wind- und Sonnenenergie. Die Kosten für erneuerbare Energien seien seit 2010 um bis zu 85 Prozent gesunken.