Manipulationsvorwürfe bei Wahlen in Russland
5. Dezember 2011Die Partei von Regierungschef Wladimir Putin ist Sieger der Parlamentswahl – so viel steht seit diesem Montag (05.12.2011) fest. Sie verliert zwar ihre Zweidrittelmehrheit, kann aber
auch künftig allein in der Duma regieren. Nach Angaben der zentralen Wahlkommission kam die "Geeintes Russland" auf knapp 50 Prozent der Stimmen. 2007 waren es noch 64,3 Prozent.
Wahlverlierer und Regierungsgegner kündigten an, auf der Straße gegen die Abstimmungsergebnisse protestieren zu wollen. Denn auch wenn Kremlchef Dmitri Medwedew die Vorwürfe zurückweist – unabhängige Wahlbeobachter sprechen von den "schmutzigsten" Wahlen des letzten Jahrzehnts. "Diese Wahlen zeigen klar, wie man die 'notwendigen' Prozente erreichen und dabei gegen alle Vorschriften verstoßen kann", sagte am Sonntag in Moskau Lilia Schibanowa, Leiterin der Organisation "Golos" ("Stimme"). Ihre Organisation beschwerte sich über massiven Druck russischer Behörden. Außerdem wurden die Online-Portale von "Golos" und einigen anderen russischen Medien durch Hackerattacken am Wahltag lahmgelegt.
Manipulation ohne Zeugen?
Beobachter hätten sowohl vor den Wahlen als auch am Tag der Abstimmung zahlreiche Verstöße festgestellt, sagte Schibanowa. So seien Wahlbeobachter aus den Wahllokalen entfernt worden. "Nach Schließung der Wahllokale um 20.00 Uhr abends haben wir zahlreiche Meldungen über die Verbannung von Wahlbeobachtern sowohl von 'Golos' als auch von Parteien aus Wahllokalen erhalten", sagte Schibanowa. Das Ergebnis der Abstimmung könne so ohne Zeugen manipuliert werden.
Außerdem wurden mehrfache Fälle von Mehrfachabstimmung festgestellt. Wahlbeobachter zeigten in Moskau ein Video aus der Stadt Jekaterinburg am Ural, auf dem ein Bus von einem Wahllokal zum anderen fährt – bestückt mit denselben Wählern. Ähnliche Verstöße werden aus ganz Russland gemeldet.
"Mehr Ideenwettbewerb in der Duma"
In Deutschland zeigten sich Politiker sowohl der Regierungsparteien als auch der Opposition überrascht über die vorläufigen Ergebnisse der Parlamentwahl. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), verwies auf die Berichte aus Moskau, "dass es im Vorfeld der Wahlen Druck gegeben hat, dass auch Wahlbeobachter zum Teil massiv behindert wurden". "Umso erstaunlicher" sei es, sagte Schockenhoff im Interview mit DW-WORLD.DE, dass die Kreml-Partei "Geeintes Russland" laut ersten Wahlumfragen vom Sonntagabend weniger als 50 Prozent der Stimmen bekommen haben soll. Ein solches Ergebnis zeige, dass Russland vielfältiger werde, so der Politiker. "Und ich hoffe, dass es in der nächsten Duma einen echten Wettbewerb der Ideen gibt".
"Es kommt insbesondere darauf an, zur Kenntnis zu nehmen, dass Gesellschaften nicht ständig manipuliert werden können", meint Ralf Mützenich von der SPD. In dem sich andeutenden schlechten Abschneiden der Regierungspartei "Geeintes Russland" sieht er einen Beweis dafür, "dass man mit der bisherigen Führung so nicht mehr einverstanden gewesen ist".
"Für Putin wird es schwieriger"
Doch welche Folgen werden diese Parlamentwahlen für den russischen Regierungschef Wladimir Putin haben, der bei der Präsidentenwahl am 4. März 2012 als Kandidat der Regierungspartei "Geeintes Russland" antreten wird? Seine Wahl gilt als sicher, doch die Wahlschlappe für seine Partei setze Putin unter Druck, meinen deutsche Politiker wie Wolfgang Gehrcke von der Linken: "Er wird sich kritischen Fragen stellen müssen und es wird Veränderungen geben müssen". Ähnlich sieht es Marina Schuster von den Liberalen. Sie glaubt, dass es für Putin nun schwieriger werde. "Er muss sich natürlich behaupten und auch die gewünschten Reformen für die Bevölkerung umsetzen", sagt Schuster.
Auch Deutschland solle von Russland in der Zukunft mehr Reformen fordern, meint die FDP-Politikerin. Die von der SPD ins Leben gerufene "Partnerschaft für Modernisierung“ zwischen Berlin und Moskau müsse sich vor dem Hintergrund der "fehlenden Rechtsstaatlichkeit" ändern, sagte Schuster. Es sei wichtig, "das Augenmerk ganz besonders auf die Defizite zu legen und Russland an den eigenen Reformversprechungen zu messen". Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung sieht es so: "Putin hat in seiner letzten Parteitagsrede das Wort 'Modernisierung' kein einziges Mal mehr benutzt." Die Frage sei, wie Russland selbst seine Zukunft sieht, sagte Andreas Schockenhoff. Die Modernisierung sei "in allerersten Linie eine innerrussische Agenda". "Wenn Russland diese Modernisierung will, dann braucht es dazu eine lebendige Partnerschaft mit Europa", meint der CDU-Politiker.
Autor: Nikita Jokver / Roman Goncharenko
Redaktion: Hans Spross