Linksruck bei der Linken
3. Juni 2012Die deutsche Linke will mit einer neuen Parteispitze einen Weg aus der Krise finden. Auf dem Bundesparteitag in Göttingen wurden Katja Kipping und Bernd Riexinger Nachfolger des nicht mehr kandidierenden Klaus Ernst und der schon vor einigen Wochen aus persönlichen Gründen zurückgetretenen Gesine Lötzsch. Der Wahl war ein monatelanger Streit über das Führungspersonal vorausgegangen. Mit dem neuen Duo haben sich auf den ersten Blick die Verfechter eines strikten Oppositionskurses gegen die Befürworter von Regierungsbeteiligungen durchgesetzt.
Vor allem die Wahl des außerhalb der Partei weithin unbekannten Gewerkschaftsfunktionärs Riexinger ist überraschend. Er setzte sich in einer Kampfabstimmung mit 297 zu 251 Stimmen gegen den stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Dietmar Bartsch durch. Riexinger hatte erst wenige Tage vor dem Parteitag seine Kandidatur bekannt gegeben, nachdem der frühere Vorsitzende Oskar Lafontaine einen Rückzieher gemacht hatte. Bartschs Niederlage schwächt den Einfluss des Reformflügels, der unter bestimmten Voraussetzungen Regierungsbeteiligungen mit Sozialdemokraten und Grünen befürwortet.
Der Riss geht durch Ost und West
Das neue Führungsduo steht nun vor der schwierigen, von vielen für unlösbar gehaltenen Aufgabe, die verschiedenen Strömungen der Linken zu versöhnen. Auf jeden Fall haben die Ereignisse der vergangenen Monate tiefe Spuren und auch Verletzungen hinterlassen. Dabei geht der Riss quer durch Ost und West, den die Linke durch ihre Gründung 2007 zu überwinden hoffte. Damals vereinigten sich die aus der DDR-Staatspartei SED hervorgegangene Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und die maßgeblich von enttäuschten Sozialdemokraten gegründete Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG).
Die großen Hoffnungsträger waren der aus dem Osten stammende Bundestagsfraktionsvorsitzende der neuen Linken, Gregor Gysi, und der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine. Wie sehr das Verhältnis zwischen den beiden abgekühlt ist, war auf dem Göttinger Parteitag unübersehbar. Gysi empfahl den Delegierten angesichts der ungelösten Streitigkeiten, sich notfalls lieber fair zu trennen als "weiterhin unfair, mit Hass, mit Tricksereien, mit üblem Nachtreten und Denunziation eine in jeder Hinsicht verkorkste Ehe zu führen".
Gysi kritisiert "Arroganz" der Westdeutschen
Das Verhalten westdeutscher Landesverbände erinnere ihn mitunter an die Arroganz der Westdeutschen nach der deutschen Vereinigung, sagte Gysi. Auch mit der von ihm geführten Fraktion im Bundestag ging er hart ins Gericht. Es herrsche Hass zwischen den verschiedenen Strömungen. Gysis Fazit: Die Linke zerstöre sich selbst. "Es muss nicht sein, aber ich schließe es nicht aus."
Einen ganz anderen Ton schlug Oskar Lafontaine an. Er könne keinen Grund für eine Trennung erkennen. Im vergangenen Jahr sei das Grundsatzprogramm der Linken mit 95 Prozent Zustimmung verabschiedet worden, sagte der Saarländer. Diesen Zuspruch interpretierte der ehemalige Sozialdemokrat als Zeichen der Einigkeit. Trotz aller Schwierigkeiten gebe es "keinen Grund, das Wort Spaltung in den Mund zu nehmen“, meinte Lafontaine. Befindlichkeiten dürften nicht mit programmatischen Differenzen verwechselt werden.
Lafontaine schwärmt von Frankreich
Wie es seines Erachtens besser gemacht werden könnte, sei in Frankreich zu sehen. Der neue sozialistische Präsident François Hollande verkünde höhere Steuern für Reiche, kämpfe für Eurobonds zur Bekämpfung der Währungskrise und ziehe die französischen Truppen aus Afghanistan ab.
In einem Punkt waren sich Lafontaine und Gysi bei allen erkennbaren Gegensätzen einig: "Eigentlich haben wir kein Recht, unsere Partei zu verspielen", sagten beide wortgleich. Dieser Verantwortung will das neue Führungsduo gerecht werden. "Lasst uns die verdammte Ost-West-Aufteilung beenden", forderte Katja Kipping. Und Bernd Riexinger kündigte an, "alles daran zu setzen, die Polarisierung der letzten Monate zu beenden".
Ex-Vorsitzender spricht von "Zerfallserscheinungen"
Wie ernst die Lage der Linken ist, wurde auch beim Auftritt des bisherigen Vorsitzenden Klaus Ernst deutlich. Es gebe "Zerfallserscheinungen", sagte der Lafontaine-Vertraute aus Bayern und listete die Bundesländer auf, in denen zuletzt Wahlen verloren wurden. Im Mai flog die Partei aus den Parlamenten in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Schon 2011 war sie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz an der Fünf-Prozent-Sperrminorität gescheitert. Eine Niederlagen-Serie in vier westdeutschen Ländern, die eines überdeutlich macht: Die im Osten starke Linke ist im Westen der Republik auf dem besten Weg zur Splitterpartei. "Momentan driftet der Laden auseinander", sagte Ernst in seiner letzten Rede als Vorsitzender.
Der Machtkampf zwischen den beiden Flügeln hatte die Linke schon vor ihrem Parteitag an den Rand der Handlungsunfähigkeit gebracht. Klaus Ernst befürchtet, dass diese Gefahr weiterhin besteht. "Wenn wir jetzt auseinanderrennen, dann begehen wir Wahlbetrug", sagte er in seiner Abschiedsrede. Man würde dann nämlich das Versprechen brechen, eine Linke für ganz Deutschland zu sein.
Viel Zeit zur Trendwende bleibt nicht
Ob die Partei mit dem neuen Personal an der Spitze für die deutschen Wähler attraktiver wird, ist fraglich. Der Reiz des Neuen ist verflogen, der Richtungsstreit wird höchstwahrscheinlich weitergehen. Zwar hat sich das Lafontaine-Lager weitestgehend durchgesetzt, aber den von ihm unterstützten Leuten an der Spitze fehlt die in einer Medien-Demokratie unverzichtbare Ausstrahlung.
In Umfragen liegt die Linke bundesweit zur Zeit nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Sperrminorität. Und viel Zeit, den Trend umzukehren, bleibt nicht mehr. Im Herbst 2013 wird ein neuer Bundestag gewählt.