Umstrittene Sicherheitslage
16. Januar 2014Afghanistan hat für die Bundeskanzlerin auch im neuen Jahr höchste Priorität. Angela Merkel griff in dieser Woche zum Hörer, um mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zu sprechen. Man habe sich über das deutsche und das internationale Engagement in Afghanistan in diesem Jahr und über eine mögliche Verlängerung ausgetauscht, sagte ein Sprecher der Bundesregierung der DW.
Mehr Gewalt in Nordafghanistan registriert
Hintergrund des Gespräches war auch die Sicherheitslage im Verantwortungsbereich der Bundeswehr in Nordafghanistan. Dort hat die Gewalt im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Ein Indiz dafür ist der Anstieg der "sicherheitsrelevanten Zwischenfälle" (SRZ). Dazu zählt die Bundeswehr Angriffe auf internationale oder einheimische Truppen ebenso wie Bombenanschläge und Schusswechsel - aber auch das erfolgreiche Entschärfen von Sprengfallen. Laut Einsatzführungskommando der Bundeswehr wurden von Januar bis November 2013 insgesamt 1660 SRZ erfasst. Im gesamten Vorjahr waren es 1228.
Unterschiedliche Sicherheitslage in den Provinzen
Für Maruf Rasikh ist die Sicherheitslage ein Dauerthema - ein eher unangenehmes. Er kandidiert für den Provinzrat der ganz im Nordosten Afghanistans gelegenen Provinz Badachschan und gibt zu, dass die Situation dort vielerorts schwierig ist. "In den Distrikten Jirm und Tagab haben wir gravierende Probleme. In einigen Dörfern ist es nicht sicher." Die afghanische Polizei hätte versprochen, dass sich die Lage bis zu den anstehenden Provinzwahlen verbessern würde. Diese finden zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl im April 2014 statt.
Sayed Sarwar Hussaini will die jüngsten Meldungen über deutlich gestiegene Anschlagszahlen in Nordafghanistan hingegen nicht bestätigen. Im Gegenteil: Der Polizeisprecher von Kundus stellt die Situation im Gespräch mit der DW anders dar: "Die Sicherheitslage in unserer Provinz hat sich seit dem Abzug der deutschen Truppen verbessert." Man habe einen deutlichen Rückgang von aufständischen Aktivitäten feststellen können.
Positive Bilanz des afghanischen Polizeisprechers
Mehr als zehn Jahre war die Bundeswehr in Kundus vor Ort. Im Oktober 2013 dann hatten der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Ex-Außenminister Guido Westerwelle das Feldlager an die einheimischen Sicherheitskräfte übergeben, die letzten deutschen Soldaten verließen Kundus am 19. Oktober. Die kleineren Feldlager wie das im nordöstlichen Faisabad wurden bereits zuvor aufgelöst.
Polizeisprecher Sayed Sarwar Hussaini gibt sich betont dankbar für die Unterstützung der vergangenen Jahre. "Ganz offensichtlich hatte die Bundeswehr einen großen Anteil daran, die Sicherheit hier zu verbessern." Die Soldaten hätten der lokalen Regierung beim Aufbau einer effektiven Verwaltung und bei der Ausbildung afghanischer Polizeikräfte geholfen. "Nur dank dieser Unterstützung ist unser Personal jetzt in der Lage, selbst für Sicherheit zu sorgen." Die Sorge vor einer Machtübernahme der Taliban in Kundus - wie es die radikalen Islamisten selbst angekündigt hatten - habe sich als unbegründet herausgestellt, so Hussaini weiter.
Zweifel an der Aussagekraft der Zahlen
Konkrete Zahlen über die sicherheitsrelevanten Zwischenfälle wollte die Bundeswehr eigentlich nicht mehr veröffentlichen, da die Angaben der für die Erfassung zuständigen afghanischen Sicherheitskräfte nicht zuverlässig seien. Die Lage könne man zudem nicht allein an der Anzahl der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle festmachen, sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums auf Anfrage der DW. Diese sei nur eines von mehreren Kriterien für die Bewertung. In Zukunft wolle man weitere Kriterien berücksichtigen: unter anderem die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, die Wahrnehmung der Sicherheitslage innerhalb der Bevölkerung und die Bedrohung durch regierungsfeindliche Kräfte.
Insgesamt habe sich die Sicherheitslage im Norden Afghanistans etwa ein Jahr vor dem Ende des Kampfeinsatzes verbessert, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium. Die Bundesregierung stuft die Bedrohungslage in Nordafghanistan je nach Provinz unterschiedlich ein: In Badachschan gilt sie beispielsweise als niedrig, in Teilen von Kundus als erheblich - dort sei in naher Zukunft mit Angriffen zu rechnen.
"Fakt ist, dass die Sicherheitslage nicht so ist, wie sich die internationale Staatengemeinschaft das erhofft hatte", sagt der Politikwissenschaftler Sebastian Feyock von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Für die deutsche Politik sei die zunehmend instabile Sicherheitslage in Nordafghanistan problematisch: "Wenn man solche Zahlen hat wie jetzt, ist es schwierig, die Mission weiterhin innenpolitisch als Erfolg zu verkaufen", so Feyock.
Weiteres deutsches Engagement in Afghanistan ist noch unklar
Eine verlässliche Auskunft über die Sicherheitslage ist aber für die deutsche Politik von besonderem Interesse. Damit die Bundeswehr für die letzten Monate des Kampfeinsatzes überhaupt in Afghanistan bleiben darf, muss der Bundestag das Ende Februar auslaufende Mandat verlängern.
Deutschland hat sich zudem für ein weiteres Engagement der Bundeswehr in Afghanistan nach dem Abzug der ISAF-Truppen ausgesprochen. Für die Anschlussmission "Resolute Support" sollen 600 bis 800 Soldaten am Hindukusch bleiben, die vor allem bei der Ausbildung der afghanischen Streitkräfte helfen.
Bislang verweigert Präsident Karsai allerdings die Unterschrift unter ein Sicherheitsabkommen zwischen seinem Land und den USA. Dieses soll auch die Grundlage für eine formelle Regelung zwischen Afghanistan und den NATO-Truppenstellern sein, die ebenso noch aussteht. Ob das Telefonat zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Karsai Fortschritte im Streit um das Truppenabkommen gebracht hat, wollte man von Seiten der Bundesregierung nicht kommentieren.