Merkel und Corona: "Öffnung keine Lösung"
2. Februar 2021Schon wieder Angela Merkel im deutschen Fernsehen, nur 24 Stunden nach dem sogenannten Impfgipfel im Kanzleramt am Montag. Da waren die wichtigsten Vertreter von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft dabei und hatten anschließend vor laufenden Kameras festgestellt, dass das schleppende Tempo der Impfungen gegen das Coronavirus so bald nicht anziehen wird. Die Hersteller können nicht mehr Impfstoffe liefern oder sind mit Verträgen an andere Staaten gebunden.
Das war eine ernüchternde Botschaft, und deshalb lautet die Erklärung für das ARD-Interview an diesem Dienstag schlicht: Merkel muss um viel Geduld bitten in diesen Tagen - oder zumindest Präsenz zeigen. Denn was die deutsche Politik unternimmt in Sachen Pandemie, das lässt viele Menschen ratlos zurück.
"Europas Gründlichkeit war kein Fehler"
Warum etwa geht das Impfen in Israel, in Großbritannien und in den USA so viel schneller voran als in der EU, also auch in Deutschland? Merkel erklärt jetzt, in Großbritannien habe es für den Impfstoff des Herstellers AstraZeneca eine Notzulassung gegeben. In Europa sei der Impfstoff aber mit der auch sonst gültigen Gründlichkeit geprüft worden. "Das war kein Fehler, wir sind auf das Vertrauen angewiesen."
Das hat man so schon oft von der Regierung gehört. Warum aber die EU wesentlich langsamer und offenbar auch weniger verbindlich im vergangenen Jahr mit den Pharmafirmen verhandelt hat, dazu schweigt Merkel auch an diesem Dienstag.
Zur Situation in Deutschland sagt die Kanzlerin dann, einen klaren Impfplan für die nächsten Monate - wie schnell oder langsam auch immer - könne sie nicht vorlegen. Die Hersteller hätten erläutert, dass sie Impfstoffe unter Hochdruck produzierten und dass sich exakte Vorhersagen über die Mengen nicht so lange im Voraus treffen ließen. Im Übrigen: "Wenn Sie mich vor einem Jahr, als wir die ersten Fälle hatten, gefragt hätten, wann haben wir einen Impfstoff? Dann hätte ich nicht darauf gewettet, dass wir das so schnell hinbekommen!"
"Mutationen könnten uns einen Strich durch die Rechnung machen"
Die harten Beschränkungen, die zur Zeit in Deutschland gelten, die Kontaktverbote, die geschlossenen Restaurants und Kinos und Schulen, zerren derweil an den Nerven der Menschen. Manche Beobachter raunen, dass die Beschränkungen bis in den April hinein verlängert werden könnten.
Merkel hat jedenfalls keine andere, positivere Botschaft mitgebracht: "Eine Öffnung für 14 Tage, bei der wir anschließend wieder in ein exponentielles Wachstum kommen, wäre nicht die Lösung", so die Kanzlerin. Im Übrigen zeige die sinkende Zahl an neuen Infektionen, dass die Maßnahmen wirkten. "Das ist eine gute Leistung, da waren wir lange nicht. Aber damit haben wir noch nicht wieder die Kontrolle über das Virus durch die Gesundheitsämter."
Aber dann gebe es ja noch die Ungewissheit, die die Mutationen des Virus auslösen, die weitaus ansteckender sein sollen. Also lobt Merkel die Disziplin der meisten Menschen in Deutschland. Das Land sei auf einem guten Weg, aber: "Das einzige Risiko ist, dass uns die Mutation aus Großbritannien oder Südafrika einen Strich durch die Rechnung machen könnte, weil es sehr viel aggressiver ist."
Merkel und ihre seltenen Fernsehinterviews
Merkel gilt eigentlich als eine Politikerin, die sich eher selten im direkten Dialog an die Bürger wendet. Als 2015 besonders viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wagte sie sich einige Male in TV-Befragungen in die Öffentlichkeit. Im vergangenen Jahr, während des ersten Corona-Lockdowns, hielt sie dann Ende März eine vielbeachtete Fernsehansprache. "Es ist ernst, nehmen Sie es ernst", rief sie den Menschen damals zu. Und in den Monaten danach war sie stets nach den zahlreichen Treffen mit den Ministerpräsidenten der Ländern bei Pressekonferenzen im Kanzleramt präsent.
Im Januar diesen Jahres überraschte sie dann mit einem kurzfristig angekündigten Besuch in der Bundespressekonferenz in Berlin, jetzt das ARD-Interview. Sie bitte alle Menschen in Deutschland, noch "ein wenig" durchzuhalten, sagt Merkel dann. Wirklich positive Botschaften hat die Kanzlerin also nicht, aber immerhin überbringt sie diese eher frustrierenden Einschätzungen persönlich.