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Argentinien: Mileis Schocktherapie beginnt

Tobias Käufer aus Rio de Janeiro
13. Dezember 2023

Dem wirtschaftlichen Totalschaden Argentiniens will die neue Regierung um Präsident Javier Milei mit harten Gegenmaßnahmen begegnen. Doch erst einmal kommen schwere Monate auf die Menschen zu.

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Menschen in einem Café verfolgen die TV-Ansprache von Wirtschaftsminister Luis Caputo
Menschen in einem Café verfolgen die TV-Ansprache von Wirtschaftsminister Luis CaputoBild: Santiago Filipuzzi/Newscom/GDA/IMAGO

Die mit Spannung erwartete Rede von Wirtschaftsminister Luis Caputo verzögerte sich um mehr als zwei Stunden. Am Ende setzte die neue Regierung des libertären Ökonomen Javier Milei auf ein aufgezeichnetes Statement des Ministers, um nichts zum Zufall zu überlassen.

Das Sofort-Programm sieht drastische Maßnahmen vor, um das krisengeschüttelte Argentinien wieder auf Kurs zu bringen. Dazu zählt unter anderem eine deutliche Abwertung des argentinischen Peso, ein Stopp von öffentlichen Werbeausgaben für mindestens ein Jahr, eine Halbierung der Ministerien von 18 auf neun und der Unterabteilungen von 106 auf 54, eine Reduzierung der finanziellen Unterstützung der Provinzen, ein Stopp öffentlicher Bauaufträge, Reduzierung der Subventionen für Energie und Transport, keine Verlängerung von Arbeitsverträgen in staatlichen Stellen, die weniger als ein Jahr alt sind sowie eine Anhebung zweier Sozialprogramme für die Bedürftigsten. Es werde dem Land einige Monate schlechter gehen als jetzt, sagte Caputo. Erst danach sei ein Aufschwung möglich.

Die Landeswährung geriet nach Bekanntwerden der neuen Maßnahmen und brach um über 50 Prozent zum Dollar ein. 

Luis Caputo, Ex-Finanzminister und Notenbankchef in Argentinien, jetzt Wirtschaftsminister der neuen Regierung, gestikuliert mit seiner Hand bei einer Ansprache
Luis Caputo, Ex-Finanzminister und Notenbankchef in Argentinien, jetzt Wirtschaftsminister der neuen RegierungBild: Analia Garelli/dpa/telam/picture alliance

Katastrophale Ausgangslage

Argentinien wird derzeit von einer schweren Wirtschaftskrise erschüttert. Die Regierung Milei hatte die Amtsgeschäfte nach Zahlen der Universität UCA mit einer Armutsrate von 44,7 Prozent und einer Kinder- und Jugendarmut von 62 Prozent übernommen. Die Jahresinflation lag bei rund 140 Prozent. Im Wahlkampf hatte Milei eine Deregulierung der Wirtschaft, eine Hinwendung zum Dollar, einen Abbau des Staatsapparates und eine Entbürokratisierung versprochen. 

IWF begrüßt Maßnahmen

Der Internationale Währungsfonds (IWF) begrüßte in einer ersten Reaktion "die mutigen ersten Maßnahmen". Die entschlossene Umsetzung werde dazu beitragen, die Wirtschaft zu stabilisieren und die Grundlage für ein nachhaltigeres und vom Privatsektor getragenes Wachstum zu schaffen, hieß es in einer am Dienstagabend veröffentlichten Stellungnahme. Argentinien hatte vom IWF zuletzt einen Hilfskredit von 44 Milliarden Dollar erhalten.

Argentiniens Präsidentschaft Javier Milei, hier im Wahlkampf mit einer Dollarnote, die sein Konterfei ziert
Hatte mit der Dollarisierung Wahlkampf gemacht: Argentiniens neuer Präsident Javier Milei, hier auf der Wahlkampfveranstaltung Mitte SeptemberBild: Natacha Pisarenko/AP Photo/picture alliance

"Mit dem heute angekündigten Maßnahmenpaket nutzt die Regierung Milei ihren Amtsbonus, um umgehend drastische Schritte zur Sanierung der Staatsfinanzen und Belebung der Wirtschaft einzuleiten", kommentierte Hans-Dieter Holtzmann, Leiter des Büros der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Buenos Aires, die angekündigten Schritte gegenüber der DW. "Die vorgesehenen Maßnahmen gehen in die richtige Richtung und dürften auch dazu beitragen, das Vertrauen im In- und Ausland in die Handlungsfähigkeit Mileis zu stärken." Voraussetzung sei aber, dass Milei eine parlamentarische Mehrheit für seine Vorhaben erreiche und die Bevölkerung die erforderlichen Einschnitte mehrheitlich mittrage. Hierfür sei die angekündigte finanzielle Unterstützung für die Schwächsten in der Gesellschaft ein wichtiger Beitrag, so Holtzmann.

Konzentration auf das Defizit

Die Maßnahmen stünden im Einklang mit dem, was der Präsident in seiner Antrittsrede angekündigt habe: die Konzentration auf das Steuerproblem, das die Ursache für die makroökonomischen Ungleichgewichte ist, sagte Wirtschaftswissenschaftler Eugenio Mari von der Fundación Libertad y Progreso aus Buenos Aires im Gespräch mit der DW. "Dies ist die notwendige Voraussetzung für die Lösung des Währungsproblems. Die Alternative wäre eine Spirale der Hyperinflation." Die sozialen Kosten einer solchen Krise wären enorm und müssten um jeden Preis vermieden werden. "Leider hat uns die Verantwortungslosigkeit der Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren keine schmerzfreien Alternativen dazu gelassen", kommentierte Mari.

"Soziale Proteste werden zunehmen"

Ricardo Aronskind von der Nationalen Universität General Sarmiento und der Universität Buenos Aires kritisiert die Maßnahmen auf Anfrage der DW dagegen scharf: "Das angekündigte Paket beschleunigt die Inflation, wodurch die Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung auf ein sehr niedriges Niveau sinken werden." Die drastische Kürzung der öffentlichen Arbeiten auf nationaler Ebene und die Streichung der Finanzhilfen für die bedürftigsten Provinzen würden zu einem beschleunigten Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, prognostiziert Aronskind.

Es sei absehbar, dass viele kleine und mittlere Unternehmen Schaden nehmen und in Konkurs gehen würden. Damit würden große Teile der Mittelschicht getroffen, die geglaubt habe, dass sie die Maßnahmen sie nicht erreichen würde. "Es wird zu einem enormen Vermögenstransfer von den unteren 70 Prozent der Bevölkerung zu den reicheren Schichten kommen. Soziale Konflikte und staatliche Repressionen gegen soziale Proteste werden zunehmen", sieht Aronskind turbulente Zeiten auf das Land zukommen. "Diese konfliktreiche und politisch instabile Situation wird ein Szenario der Ungewissheit schaffen, das der Anziehung ausländischer Investitionen nicht förderlich ist."

Außenansicht eines Carrefour-Supermarkts in Buenos Aires. Es ist dunkel und die Werbeanzeigen leuchten.
Supermärkte wie dieser der französischen Kette Carrefour in Buenos Aires ließen ihre Kunden nicht ein, um die Preise auf das neue Niveau anzupassen. Bild: Daniel Garcia/AFP/Getty Images

Ein erstes Kräftemessen wird unmittelbar vor Weihnachten erwartet. Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft, die in Argentinien traditionell dem bislang regierenden Peronismus nahestehen, kündigten für den 20. Dezember erste Proteste an.