Nicht nur Fleiß allein
26. April 2003Auf dem quirligen Markt von Namdaemun in der koreanischen Hauptstadt Seoul steht eine Händlerin und klagt über Kopfschmerzen. Das sei auch kein Wunder, sagt sie, schließlich stehe sie auch jeden Tag bis zu 14 Stunden an ihrem Gemüsestand, bevor sie sich zu Hause um ihr Kind kümmere.
2200 Stunden pro Jahr arbeiten, 5 Tage Urlaub
Ähnlich, wenn auch bei besserer Bezahlung, mag es manchem koreanischen Arbeiter und Angestellten ergehen. Koreaner sind bekannt für ihr gewaltiges Arbeitspensum. Die Einführung der Fünf-Tage-Woche steht zwar auf der politischen Agenda, ist aber noch nicht flächendeckend umgesetzt. Im Schnitt hat jeder Arbeitnehmer nur fünf Tage Urlaub im Jahr. Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit eines Industriearbeiters liegt bei ungefähr 2200 Stunden - in Deutschland sind es rund 1600. "Und in diesen 2200 Stunden verdient der Koreaner nur annähernd so viel wie der Deutsche", sagt Florian Schuffner, Geschäftsführer der Deutsch-Koreanischen Industrie- und Handelskammer.
Schuffner lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Korea. Er sieht im Fleiß der Koreaner einen Hauptgrund dafür, dass sich das Land so schnell von der Asienkrise erholen konnte, die Südkoreas Wirtschaft 1997 an den Rand des Kollaps' gebracht hatte. Wie ernst die Lage damals war, zeigt allein schon die Höhe des Kredites, mit dem der Internationale Währungsfonds IWF dem angeschlagenen Land unter die Arme griff: 58 Milliarden US-Dollar, das größte Hilfspaket in der Geschichte des IWF. Die Rettungsaktion ging einher mit harten Auflagen: Entlassungen, hohe Steuern und Zinsen mitten in der Rezession, Umstrukturierung des Finanzsektors und die Möglichkeit für ausländische Unternehmen, koreanische Firmen aufzukaufen.
Vorsprung durch Bildung
Allein mit dem IWF-Kredit und dem legendären Fleiß der Beschäftigten ist die schnelle Genesung der koreanischen Wirtschaft aber nicht zu erklären. Ein anderer Faktor kommt hinzu: Das hohe Bildungsniveau an Schulen und Universitäten. Korea ist längst kein Billiglohnland mehr. Viele Firmen lassen ihre Waren im benachbarten China für einen Bruchteil der Lohnkosten fertigen.
Um sich seinen technologischen Vorsprung zu bewahren, setzt das Land auf Ausbildung. In der PISA-Studie belegten südkoreanische Schüler vordere Plätze, rund die Hälfte der Schulabgänger besucht ein College oder eine Universität. Dietrich von Hanstein, Präsident von BASF Korea, hält die gute Ausbildung für einen wichtigen Standortvorteil des Landes. "Wir haben im Durchschnitt eine sehr viel höher und besser ausgebildete Schicht, als wir sie in Deutschland heute vorfinden", weiß er aus Erfahrung.
Probleme gibt es dennoch
Die Macht der großen Konzerne wie Hyundai, Samsung und LG ist nach wie vor ungebrochen. Die riesigen Konglomerate werden noch immer von Familienclans gelenkt, ihre engen Verbindungen zur Politik lassen viele Beobachter daran zweifeln, dass das Land über eine wirklich offene Wirtschaftsstruktur verfügt. Hinzu kommt, dass das exportabhängige Korea unter der weltweiten Wirtschaftsflaute zu leiden beginnt. Die Koreanische Zentralbank senkte ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum 2003 von 5,7 auf nur noch 4,1 Prozent und nannte als Gründe sinkende Investitionen und Konsumrückgang.
Und das Problem der Nähe zum Krisenherd Nordkorea ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Viele Investoren fragen sich, wie sicher ein Engagement in Südkorea ist, wenn nur wenige Kilometer nördlich der Hauptstadt nordkoreanische Raketen drohen, die sogar mit Atombomben bestückt sein könnten. Die Ratingagentur Moody's hatte die Kreditwürdigkeit des Landes deshalb im Februar herabgestuft.