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Franz Liszt

22. Oktober 2011

Frauenheld, Virtuose, Salonlöwe und Abbé: Franz Liszt steckte voller Widersprüche. Bis auf ein paar ewige "Hits" ist Liszts Musik bis heute ein weitgehend dunkler Kontinent geblieben.

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Undatiertes Bildnis des Komponisten Franz Liszt. Der am 22.10.1811 geborene Liszt gilt als einer der bedeutendsten Komponisten und Pianisten des 19. Jahrhunderts. Er starb 1886 in Bayreuth. Copyright: picture-alliance/dpa
Franz Liszt, Undatiertes Bildnis des KomponistenBild: picture-alliance/dpa

An einem Herbststag im Jahre 1811 erblickte Franz Liszt in einem burgenländischen Marktflecken namens Raiding, der damals zu Ungarn gehörte, das Licht der Welt. Noch ahnte niemand, dass das Kind einmal zu einer Musikgröße des 19. Jahrhunderts heranwachsen würde.

Listzs väterliche Wurzeln waren deutsch, ungarisch die der Mutter; und weil es bei den Großen der Geschichte immer auch darum geht, welche Nation sie für sich reklamieren kann, ist es kein Wunder, dass am schlichten Geburtshaus zwei Gedenktafeln angeschraubt sind: die eine auf Ungarisch, platziert vom Ödenburger Verein für Literatur und Kunst, die andere auf Deutsch: "Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk."

Der kleine Franz war alles andere als ein Wunderkind, wurde vom selbst musizierenden Vater aber mit einigem Ehrgeiz erzogen. Das Klavierwunder sollte erzwungen werden. "Es ist schon fantastisch, dass der Vater von Franz Liszt sich wie ein zweiter Leopold Mozart vorgekommen ist", kommentiert Nike Wagner, Ururenkelin des Komponisten und Intendantin des pèlerinages Kunstfestes Weimar, das alljährlich im Zeichen von Franz Liszt steht. "Alle Frustrationen, die der Vater selbst in seinem Leben erlebt hat, sollte sein Sohn durch die Karriere wieder gut machen. Auf der anderen Seite erstaunt mich, dass er doch richtig investiert hatte. Obwohl der kleine Franz ein schwächliches Kind war, hat er alle Bestimmungen erfüllt, die der Vater ihm aufbürdete."

Mit einem Plakat vor dem Residenzschloss Weimar für die Landesausstellung "Franz Liszt _ Ein Europäer in Weimar" vom 24. Juni bis 31. Oktober 2011 anlässlich des 200. Geburtstages von Franz Liszt geworben. ( Foto: Martin Schutt)
Werbung fürs Liszt-Kunstfest in WeimarBild: picture alliance/dpa

Eine europäische Erscheinung

Als Pianist eroberte Franz Liszt die Welt; neben dem Teufelsgeiger Paganini ist er der erste Popstar in modernem Sinn, skandalöse Frauengeschichten, Alkoholexzesse und hysterisches Publikum inklusive. Liszt war ein Kosmopolit, eine europäische Erscheinung. Er war auch ein Getriebener, der ewig zwischen Paris und Rom und Budapest und Weimar hin- und herreiste, nie wirklich sesshaft und immer auf dem Sprung. Erst in Weimar kam er zur Ruhe; die Stadt erfuhr in den Jahren seines Wirkens dort eine zweite goldene Ära (nach Goethe).

Hier widmete sich Liszt zunehmend dem Komponieren. Er wolle den Speer seiner Kunst weit in die Zukunft werfen, hat er mal gesagt, und das tat er. Doch seine visionäre Musik wurde sowohl von seinen Zeitgenossen als auch von der Nachwelt oft missverstanden.

Gemälde Franz Liszt von Wolfgang Horwath (Künstler: Wolfgang Horwath, Copyright: Hans Wetzeldorfer, Quelle: www.lisztomania.at.)
Listzts visionäre Zukunftsmusik erschien nicht nur den Zeitgenossen rätselhaftBild: Hans Wetzeldorfer

Ein dunkler Kontinent

Vielleicht ist es für die gerechte Bewertung von Liszts Rang als Komponist ein Nachteil, dass er zu Lebzeiten eher wohlhabend und fraglos berühmt war, denn die Deutschen mögen Genies möglichst arm und verkannt. Wenn jetzt der 200. Geburtstag Liszts (und kurz zuvor der 125. Todestag) begangen wird, werden die Geschichten vom Frauenhelden, der sich zum Abbé weihen lässt, der die Massen mit seinem wahnsinnigen Klavierspiel hypnotisierte, aber letztlich einsam und unglücklich blieb, gern neu erzählt.

Dabei scheint die Musik des Komponisten Liszt wieder einmal zu kurz zu kommen. Bis auf ein paar ewige Hits, den "Liebestraum", die "Ungarischen Rhapsodien", geschätzte Virtuoseneinlagen wie "La Campanella" oder das von den Nazis zum Jingle für Kriegsmeldungen missbrauchte Thema der Symphonischen Dichtung "Les Préludes", ist Liszts Musik ein weitgehend dunkler Kontinent geblieben. Das lag an einer – vor allem: deutschen Musikkritik, die Liszts Kompositionen als Oberflächenkunst abtat: alles hohles Könnertum, circensisches Blendwerk, das gegenüber den wahren Echtheitswerten deutscher Musik denn eben doch nicht bestehen konnte, hieß es da. Und die repräsentierte sich eben nicht in dem Kosmopoliten und Grenzgänger Liszt, sondern in dem symphonisch solideren Brahms oder in Richard Wagner.

Wagner als Liszt-Verhinderer?

Nicht selten steht zu lesen, dass es vor allem der lange Schatten Wagners beziehungsweise der "lange Arm Bayreuths" war, der Liszts Nachruhm als Komponist verhindert habe. Bei der ersten Begegnung der beiden 1840 in Paris, bei einem Empfang im Hotel des gefeierten Klaviervirtuosen, will Wagner sich "aufrichtig gelangweilt" haben. Ein Gespräch über Musik endet schnell und belanglos, und der berühmte Mann schenkt ihm eine Eintrittskarte für den nächsten Klavierabend. Wagner trägt aber nach eigenen Angaben "eigentlich keinen andren Eindruck als den der Betäubung davon".

Acht Jahre später ist es Liszt, der Wagner in Dresden besucht. Jetzt redet man über Kunst, und jetzt ist es immer häufiger Wagner, der über Geld reden will: Liszt wird eine seiner bevorzugten Anpumpstationen, und er hilft, wo er kann.

Richard Wagner / Stahlstich von Froer Wagner, Richard Komponist Leipzig 22.5.1813 - Venedig 13.2.1883. - Portraet. - Stahlstich, 1883, von Veit Froer (geb. 1828) nach Photographie, um 1871.
Fand Listzs Musik gewöhnungsbedürftig: Richard WagnerBild: ullstein bild - Granger Collection

1857 schreibt Wagner einen Aufsatz über Franz Liszts Symphonische Dichtungen, in dem er diese gegen den Vorwurf der "Formlosigkeit" in Schutz nimmt, ja, in der Symphonischen Dichtung gar den entscheidenden Schritt über die Symphonie hinaus erkennt. Solche Literarisierung der Instrumentalmusik stößt das Tor zur Musik der Zukunft auf: "Und hierin liegt wirklich das Geheimnis und die Schwierigkeit, deren Lösung nur einem höchst begabten Auserlesenen vorbehalten sein konnte, der, durch und durch vollendeter Musiker, zugleich durch und durch anschauender Dichter ist." Kein Zweifel, wen Wagner damit meint - und so zu einem Vorläufer machte.

Am besten: Liszt hören!

Der so Gepriesene seinerseits wirkt an der Durchsetzung Wagners etwa durch die Uraufführung des "Lohengrin" 1850 mit, die Liszt als Weimarer Hofkapellmeister dirigierte: immerhin Werke eines steckbrieflich Gesuchten. Als Wagners Affäre mit Liszts verheirateter Tochter Cosima offenbar wird, kühlt sich das Verhältnis ab: Vater Liszt steht auf der Seite des Noch-Ehemanns Hans von Bülow. 1867 kommt es zu einer Aussprache, drei Jahre später zur Versöhnung: Liszt wird Wagners Schwiegervater.

Original-Manuskript einer Schubert-Liszt Komposition
Zukunftsmusik aus Listzs FederBild: picture-alliance/dpa

Der Mensch Wagner konnte ihm auf die Nerven gehen, die Loyalität gegenüber dem Musiker blieb ungebrochen. Hingegen konnte Wagner mit der kargen Zukunftsmusik des späten Liszt nichts anfangen. Deshalb ist er aber wohl nicht verantwortlich dafür, dass der Komponist Liszt übersehen wurde. Beste Methode zur Neubewertung: Man höre den unbekannten Liszt, zumal die späten Klavierstücke, und staune.

Autor: Holger Noltze
Redaktion: Suzanne Cords