Rücktritt von Sheikh Hasina: Ende einer Ära in Bangladesch
5. August 2024Zum zweiten Mal verändert eine Auslandsreise Sheikh Hasinas den Lauf der Geschichte Bangladeschs: Von heftigen Protesten in die Enge getrieben, hat die 76-Jährige ihr Amt als Ministerpräsidentin aufgegeben und sich von einem Helikopter nach Indien bringen lassen.
Damit endet die Herrschaft der erfahrensten Regierungschefin weltweit: Mit Unterbrechungen stand sie mehr als 20 Jahre lang an der Spitze des 170-Millionen-Einwohner-Landes in Südasien. Unter Sheikh Hasina blühte die Wirtschaft des Landes auf, während ihre politischen Gegner zunehmend unter der Härte der machtbewussten Politikerin litten.
Ein Schicksalsschlag - und ein glücklicher Zufall
Ein erster Schlüsselmoment für sie und ihr Land war der 15. August 1975: Putschisten ermordeten den damaligen Präsidenten Sheikh Mujibur Rahman und Teile seiner Familie. Dass seine Tochter Sheikh Hasina überlebte, verdankt sie einer Auslandsreise: Sie war zuvor nach Deutschland aufgebrochen, wo ihr Ehemann Wazed Miah damals als Atomphysiker forschte. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihren beiden Kindern weilte sie also in Karlsruhe, während in Bangladesch eine Militärdiktatur die Macht an sich riss.
Beide Schwestern lebten vor ihrer Rückkehr nach Bangladesch zunächst unter falschem Namen im Exil in Indien. 1981 kam es erneut zu einem Präsidentenmord; diesmal kam General Zia-ur-Rahman bei einem fehlgeschlagenen Militärputsch ums Leben. Im selben Jahr wurde Sheikh Hasina an die Spitze der Awami-Liga gewählt: Die Partei ihres Vaters hatte maßgeblich zur Unabhängigkeit von Pakistan 1971 beigetragen.
Dass die beiden rund 1500 Kilometer voneinander entfernten Staaten überhaupt einmal zusammengehört hatten, war ein Erbe der britischen Kolonialzeit. Im Zuge der Unabhängigkeit Indiens waren die beiden Gebiete mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit in eine selbstverwaltete Kolonie zusammengeführt worden.
Zwei Erzrivalinnen an der Macht
Die 1980er-Jahre waren geprägt von einem brutalen Militärregime unter General Hussain Mohammed Ershad. Sheikh Hasina schmiedete dagegen eine Allianz mit anderen Oppositionsparteien - darunter auch die Bangladesh National Party (BNP) unter Führung von Khaleda Zia, der Witwe des 1981 ermordeten Präsidenten.
Die beiden Frauen, die jeweils einen nahen Angehörigen bei Putschen verloren hatten, erreichten Ende 1990 ihr Ziel: Ershad musste nach landesweiten Protesten die Macht abgeben. Bei den darauffolgenden demokratischen Wahlen 1991 wurde Khaleda Zia zur ersten Regierungschefin Bangladeschs gewählt. Nach einer Amtszeit folgte Sheikh Hasina, dann noch einmal Zia, ab 2009 regierte wieder Hasina. Seitdem gab es keinen Wechsel mehr - auch, weil die BNP seitdem alle Parlamentswahlen boykottierte, zuletzt Anfang dieses Jahres.
Einmal an der Macht, wurde aus der Zweckgemeinschaft der beiden Frauen eine zunehmend bittere Rivalität, die auch vor persönlichen Anschuldigungen nicht zurückschreckt. Auch ihre beiden Parteien sind zu Gegnern geworden: So warnt die säkulare Awami-Liga, die BNP dulde Islamisten in ihren Reihen und öffne damit dem Extremismus Tür und Tor. Die BNP wiederum wirft ihrer Konkurrentin diktatorische Methoden vor. Umgekehrt äußerte sich jedoch auch Hasina ähnlich über Zia. Letztere wurde 2018 in einem Korruptionsprozess zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt, dieses Strafmaß wurde später noch verdoppelt. Zia steht bis heute unter Hausarrest. Die 78-Jährige ist inzwischen gesundheitlich angeschlagen.
Sheikh Hasina wurde im Laufe ihrer politischen Karriere selbst immer wieder Ziel von Gewalt: Nach eigener Zählung entging die Premierministerin 19 Mordanschlägen; 2004 wurde sie bei einer politischen Kundgebung verletzt, als Sprengsätze 24 ihrer Anhänger töteten.
Aufschwung und Unterdrückung
Sheikh Hasina glänzt vor allem mit ihrer wirtschaftspolitischen Bilanz: Sie ließ zahlreiche Kraftwerke und ein leistungsfähiges Stromnetz bauen, das die Energie lieferte für eine rasante Industrialisierung. Bangladesch ist heute aus der globalen Textilwirtschaft kaum wegzudenken - allerdings auch durch niedrige Löhne und schwachen Arbeitsschutz: Beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza nahe der Hauptstadt Dhaka wurden 2013 mehr als 1100 Menschen getötet.
Zugleich verantwortete Sheikh Hasina jedoch auch immer stärkere Unterdrückung der Zivilgesellschaft: Immer wieder kam es zur gewaltsamen Niederschlagung von Protesten; während ihrer Regierungszeit wurden viele Oppositionelle verhaftet. Seit 2018 laufen kritische Journalisten ständig Gefahr, wegen "negativer Propaganda" angeklagt und mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft zu werden. Zuletzt belegte Bangladesch Platz 165 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.
Protest gegen die Langzeit-Regierungschefin
Im Juli türmte sich schließlich eine Protestwelle auf, die Sheikh Hasina nicht mehr stoppen konnte: Ursprünglich forderten Demonstrierende die Abschaffung eines seit langem existierenden Quotensystems, wonach 30 Prozent der begehrten Stellen im öffentlichen Dienst an Kämpfer des Unabhängigkeitskriegs von 1971 oder deren Nachkommen vergeben werden. Aufgrund der herausgehobenen Rolle der Awami-Liga damals wurden damit bis heute Parteifreunde Hasinas begünstigt.
Das Oberste Gericht stutzte die Quotenregelung stark zusammen, doch die Proteste gingen weiter. Erst am Sonntag erreichten sie einen neuen blutigen Höhepunkt; inzwischen sind mehr als 300 Menschen bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften ums Leben gekommen. Die Regierung rüstete sich zunächst mit einer Ausgangssperre und erhöhter Militärpräsenz in Dhaka - als Demonstrierende dennoch den Regierungspalast stürmten, setzte Sheikh Hasina sich nach Indien ab. Der Armeechef versprach im Staatsfernsehen die Bildung einer Übergangsregierung. Wohin sich Bangladesch nach der langen Ära unter Sheikh Hasina weiter entwickelt, ist ungewiss.