Hilferuf aus Athen
6. März 2015"Wir wissen nicht genau, wie die finanzielle Lage in Griechenland ist, ob es aktuelle Liquiditätsprobleme gibt oder nicht", sagte ein hoher EU-Beamter in Brüssel zum angespannten Haushalt in Athen. Deshalb würden sich auch die Finanzminister der Euro-Gruppe, die sich am kommenden Montag in Brüssel treffen werden, wohl nicht mit möglichen Zahlungsschwierigkeiten Griechenlands befassen können.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras (Artikelbild) hatte am Donnerstag den Präsidenten der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, offenbar telefonisch um Hilfe gebeten, berichten die "Süddeutsche Zeitung" und die griechische Zeitung "Ekathimerini". Tsipras möchte erreichen, dass die Finanzminister der Euro-Staaten früher als geplant neue Hilfskredite freigeben. Seinen Plan wollte der griechische Regierungschef Kommissionspräsident Juncker noch diesen Freitag persönlich erläutern. Juncker lehnte ein Treffen aber ab. Die Sitzung der Euro-Gruppe am Montag solle abgewartet werden, heißt es von EU-Diplomaten. Jetzt wird Alexis Tsipras voraussichtlich am Mittwoch nach Brüssel reisen.
"Schneesturm in Athen"
Eine Auszahlung von Hilfkrediten aus dem gerade verlängerten zweiten Programm sei noch "sehr weit weg", bestätigte ein hochrangiger EU-Beamter in Brüssel in einem Hintergrundgespräch. Zunächst müssten EU-Kommission, Europäische Zentralbank und der Internationale Währungsfonds prüfen, welche finanziellen Auswirkungen neue Reformvorschläge aus Athen hätten. Erst nach einem positiven Gutachten würden dann die Finanzminister der Euro-Gruppe und schließlich auch nationale Parlamente, darunter der Bundestag, einer Auszahlung zustimmen können.
Die Überprüfung der griechischen Reformen durch die drei Institutionen, vormals Troika genannt, habe noch gar nicht begonnen, sagte der EU-Beamte. Ein erstes Treffen mit den Vertretern des griechischen Finanzministeriums war eigentlich für kommenden Montag in Athen angesetzt. "Es wurde aber wegen Schneesturms in Athen wieder abgesagt", scherzte der EU-Beamte und wollte damit sagen, dass die Links-Rechts-Regierung in Griechenland im Moment doch keine internationalen Buchprüfer ins Land lasse. "Wir stehen erst ganz am Anfang eines Prozesses. Den müssen wir beschleunigen."
Reformliste ist eingetroffen
Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat mittlerweile einen Brief mit sechs konkreten Reformvorschlägen an den Vorsitzenden der Euro-Gruppe, den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem, geschickt. Der Inhalt des Briefes konnte von den Experten der EU-Kommission, der EZB und des IWF aber noch nicht geprüft werden. Varoufakis will die sechs Punkte am kommenden Montag seinen 18 Kollegen in der Euro-Gruppen-Sitzung präsentieren.
Eine unmittelbare Entscheidung über Auszahlung von Geldern auf Grundlage dieses Programms sei nicht möglich, betonen die Experten der Euro-Gruppe in Brüssel. Das ist aber offenbar die Stoßrichtung des Telefongesprächs von Alexis Tsipras und zahlreicher anderer Telefonanrufe von Finanzminister Varoufakis. Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem hatte in einem Interview mit der "Financial Times" vor einigen Tagen angedeutet, dass vorgezogene Auszahlungen möglich seien, sobald die Regierung in Athen bestimmte Bedingungen erfülle. "Die Telefonleitungen glühen, zumindest im politischen Bereich", sagte ein EU-Beamter. Auch über das Wochenende werde es noch Kontakte geben.
Nach Angaben der griechischen Zeitung "Ekathimerini" will Finanzminister Varoufakis am kommenden Montag eine Reform der Verwaltung, eine Verbesserung der Steuereinnahmen und eine Erhöhung sozialer Leistungen vorschlagen.
Varoufakis will außerdem einen neuen "Finanzrat" und eine neue Behörde für Steuerprüfungen einrichten. Der griechische Finanzminister hatte in einem Fernsehinterview versprochen, dass Griechenland bis Ende März seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Kreditgebern nachkommen werde. Was im April passieren soll, ist unklar.
EU-Beamte in Brüssel sind der Auffassung, dass Griechenland mit einem Bündel von finanziellen Maßnahmen für die nächsten Wochen wohl zahlungsfähig bleiben könne. Allerdings muss sich der griechische Staat bereits bei den Rentenkassen und anderen Sozialkassen kurzfristig Geld leihen, um liquide zu bleiben. Nach griechischen Presseberichten hat die Regierung in dieser Woche nicht alle Löhne und Gehälter für Staatsangestellte auszahlen können.
Die letzte Geld-Quelle
Die Europäische Zentralbank ist im Moment die einzige Quelle, über die sich Griechenland frisches Geld besorgen kann. Die EZB hat die Notkredite für griechische Banken (ELA) noch einmal um 500 Millionen Euro aufgestockt. Damit stehen ungefähr noch drei Milliarden an ELA-Hilfen als Liquiditätsreserven zur Verfügung. Die griechische Regierung hatte sich in dieser Woche über den Verkauf von kurz laufenden Staatsanleihen (T-bills) 1,3 Milliarden Euro beschafft. Diese T-bills werden zu drei Vierteln aber von griechischen Banken gekauft, die wiederum am Tropf der EZB hängen. Der Präsident der EZB, Mario Draghi, hatte nach einer Sitzung des Zentralbankrates am Donnerstag gesagt, die EZB habe Griechenland in den vergangenen Monaten rund 100 Milliarden Euro beschafft und sei damit quasi die Zentralbank Griechenlands. Zurzeit nimmt die EZB griechische Staatsanleihen nicht als Sicherheiten für neue Kredite an. Das gehe erst wieder, wenn Griechenland die Bedingungen der Euro-Gruppe für Reformen erfülle, stellte Mario Draghi klar.
Keine Verschwörung
"Die finanzielle Klemme in Griechenland wird auf jeden Fall das Wirtschaftswachstum in Griechenland drücken", sagte der griechische Parlaments-Abgeordnete Haris Theoharis der Nachrichtenagentur "Bloomberg". "Alle Investitionen wurden angehalten, weil erst die Ergebnisse der Verhandlungen abgewartet werden", so Theoharis, der der opositionellen "Potami"-Partei angehört.
Der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, hatte Vorwürfe aus Athen, es gebe bei manchen Euro-Staaten eine Verschwörung gegen die radikale Links-Rechts-Regierung, zurückgewiesen. In einer Pressekonferenz in Madrid sagte Juncker am Mittwoch, es gebe keinen "teuflischen Plan" der konservativen Regierungen in Portugal und Spanien zum Sturz der Regierung in Griechenland. Ministerpräsident Tsipras hatte vermutet, dass Konservative ihn mit einer Falle in den finanziellen Ruin treiben wollten.
"Es geht zu langsam voran"
Bei EU-Diplomaten in Brüssel herrscht nach wie vor ein gewisses Unbehagen über die griechische Verhandlungstaktik. Zwar sei die Übereinkunft Griechenlands mit der Euro-Gruppe über eine Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms noch nicht verletzt worden, aber die weiteren Schritte würden zu langsam angegangen. Die griechischen Ansprechpartner seien unerfahren und hätten teilweise Schwierigkeiten, die technischen Abläufe zu verstehen und konkrete Schreiben zu formulieren. Die Interview-Äußerungen von Yanis Varoufakis, die Vereinbarung mit der Euro-Gruppe sei absichtlich vieldeutig formuliert, seien da wenig hilfreich. Varousfakis hatte unter anderem auch gesagt, "ich bin der Finanzminister eines Landes, das bankrott ist." (Die Zeit, 04.02.2015)
Der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut IFO, Hans Werner Sinn, teilt die Analyse von Finanzminister Varoufakis. Auch er hält Griechenland für pleite und plädiert für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Varoufakis will das Land allerdings in der Euro-Zone halten.