Semenya gegen IAAF
24. Februar 2019Der Internationale Sportgerichtshof (CAS) entscheidet in Kürze über die Klage der zweimaligen Olympiasiegerin Caster Semenya gegen die umstrittene neue "Testosteron-Regel" des Leichtathletik-Weltverbands IAAF. Sie und andere Frauen, die von den Vorschriften betroffen seien, sollten "ohne Diskriminierungen in der Frauen-Klasse starten", ließ Semenya im Februar zu Beginn der CAS-Anhörungen mitteilen. Die neuen Bestimmungen der IAAF, so Semenyas Anwälte, würden "niemanden stärken", sie stellten vielmehr "einen weiteren fehlerhaften und verletzenden Versuch dar, das weibliche Geschlecht zu überwachen".
Die britische Marathon-Weltrekordlerin Paula Radcliffe warnte vor einem "Ende des Frauensports", sollte Semenya Recht bekommen und Transgender-Sportlerinnen im Frauenbereich ihre Testosteron-Werte nicht anpassen müssen. Der UN-Menschenrechtsrat dagegen stärkte Semenya den Rücken. Die IAAF-Regel verstoße "möglicherweise gegen internationale Menschenrechtsnormen und -standards", hieß es in einer Resolution des Gremiums Ende März.
Was hat Caster Semenya bisher im Sport erreicht?
Die 28 Jahre alte Südafrikanerin dominiert seit 2009 den 800-Meter Lauf der Frauen. Damals gewann sie bei der Leichtathletik-WM in Berlin Gold. Sie ließ zwei weitere Weltmeistertitel folgen: 2011 in Daegu in Südkorea und 2017 in London. Bei den Olympischen Spielen in London 2012 und in Rio de Janeiro 2016 wurde Semenya jeweils Olympiasiegerin über 800 Meter. In ihrer Heimat genießt sie wegen ihrer Erfolge den Status einer Volksheldin. Die südafrikanische Regierung beklagte wiederholt, dass die Topsportlerin international diskriminiert werde.
Semenya ist eine hyperandrogene Sportlerin, das heißt ihr Körper produziert eine für Frauen ungewöhnlich hohe Menge an Testosteron. Bereits nach ihrem ersten großen internationalen Titel, dem WM-Triumph in Berlin, ordnete die IAAF einen Test an, um zu überprüfen, ob die Südafrikanerin wirklich eine Frau sei. Semenyas maskulines Aussehen und ihre tiefe Stimme hatten für Diskussionen gesorgt. Die Südafrikanerin wurde zunächst gesperrt, ab Mitte 2010 durfte sie wieder starten.
Was sieht die neue Testosteron-Regel der IAAF vor, gegen die Semenya vor dem CAS Klage beantragt hat?
Die IAAF will für Läuferinnen, die bei internationalen Wettkämpfen über Distanzen zwischen 400 Meter und einer Meile antreten, einen Testosteron-Grenzwert von fünf Nanomol pro Liter (nmol/l) einführen. Frauen, die einen höheren Wert aufweisen, sollen diesen durch die Einnahme von Hormonpräparaten wie z.B. Anti-Baby-Pillen unter die zugelassene Grenze drücken - über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten vor dem Wettkampf.
Wie begründet die IAAF den Grenzwert?
Der Leichtathletik-Weltverband verweist darauf, dass sehr hohe Mengen an natürlich produziertem Testosteron bei Sportlerinnen sowohl Muskelmasse, als auch Muskelkraft steigern könnten, ebenso die Produktion roter Blutkörperchen - "und damit auch deutlich ihre sportliche Leistungsfähigkeit". Laut einer von der IAAF in Auftrag gegebenen Studie liegt der Testosteron-Wert bei Frauen normalerweise zwischen 0,12 und 1,79 und bei Männern zwischen 7,7 und 29,4 nmol/l. Ein Wert zwischen 5 und 10 nmol/l, so die IAAF, verschaffe einer Frau einen klaren Wettbewerbsvorteil: 4,4 Prozent mehr Muskelmasse, zwischen 12 und 26 Prozent mehr Muskelkraft sowie 7,8 Prozent mehr rote Blutkörperchen. Der Zeitraum von sechs Monaten für die Hormontherapie sei gewählt worden, um sicherzustellen, dass der Hämoglobin-Wert vor dem Wettkampf auf ein normales Niveau gesunken sei. Die Lebensdauer eines roten Blutkörperchens beträgt ca. 120 Tage, also rund vier Monate.
Warum soll die neue Regel nur für Laufwettbewerbe zwischen 400 Metern und einer Meile und nicht auch für andere Leichtathletik-Disziplinen gelten?
Die IAAF berufen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse, nach denen der größte Wettbewerbsvorteil von Sportlerinnen mit sehr hohem Testosteronwert eben auf den Mittelstrecken liege. Dort komme es besonders auf die Mischung von Grundschnelligkeit, Kraft und Ausdauer an, so der Verband.
Gab es früher ähnliche Regeln?
Schon Mitte des vergangenen Jahrhunderts versuchte die IAAF sicherzustellen, dass wirklich Frauen bei Frauen-Wettbewerben starteten. So forderte der Verband 1946, dass alle weiblichen Sportlerinnen vor dem Start ein ärztliches Attest vorlegten, das ihr Geschlecht bestätigte. Später mussten sich Athletinnen ärztlichen Untersuchungen unmittelbar vor den Rennen unterziehen. 1967 führte die IAAF einen Speichelabstrich ein, um die Zusammensetzung der Chromosomen zu testen. 1992 wurde das umstrittene Verfahren abgeschafft, man ging zu einer DNA-Analyse über. Als sich auch diese als fehleranfällig erwies, verzichtete man seit 1999 vorübergehend darauf, das Geschlecht zu überprüfen.
Der Fall Semanya sorgte 2009 für eine Neuauflage. Die IAAF führte 2011 einen Testosteron-Grenzwert von 10 nmol/l ein, verbunden mit der Aufforderung, ihn medikamentös zu senken, um an den Start gehen zu dürfen. Die indische Sprinterin Dutee Chand erstritt 2015 vor dem Internationalen Sportgerichtshof die vorübergehende Aufhebung der Regel. Der CAS forderte die IAAF auf, innerhalb von zwei Jahren neue wissenschaftliche Daten vorzulegen.
Wie viele Sportlerinnen wären von der neuen IAAF-Regel betroffen?
"Wir haben in mehr als zehn Jahren Forschung herausgefunden, dass unter 1000 Topsportlerinnen 7,1 Prozent der Frauen einen erhöhten Testosteronspiegel aufwiesen, die meisten davon in den Bereichen, für die die neue Regel gelten soll", sagte Stephane Bermon, einer der Autoren der IAAF-Studie und selbst im Weltverband tätig. Caster Semanya müsste erneut Medikamente schlucken - wie schon zur Zeit der alten IAAF-Vorschrift. Damals war die Südafrikanerin meist deutlich hinter ihrer persönlichen Bestzeit geblieben. "Wenn die neue Regel durchkommt, sage ich voraus, dass Semanya über 800 Meter fünf bis sieben Sekunden langsamer sein wird", schrieb der renommierte britische Sportwissenschaftler Ross Tucker.
Wie geht es nach dem Urteil des CAS weiter?
Sollte Semanya mit ihrer Klage scheitern, würde die Regel wohl bald in Kraft treten. Ursprünglich sollte die Vorschrift bereits vom 1. November 2018 an gelten. Wegen des bevorstehenden CAS-Urteils hatte die IAAF den Termin jedoch aufgeschoben. Der Weltverband hat angekündigt, das Urteil zu akzeptieren - egal wie es ausfällt. "Wir können nicht und wir werden nicht ständig zum CAS laufen", sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe.